Wir Sind Helden – Von hier an blind
(Labels)
Als Wir Sind Helden noch selber Promotion für ihr Debüt machten und ihre Scheibe an ausgewählte Radio-Stationen verteilten, hat mich ihr Zeug rasch gelangweilt, ich hab die CD schnell verschenkt. Mit so was wollte man dann doch nicht erwischt werden. Das klang zu berechenbar und sehr Ideal. Neue Deutsche Welle im xten Aufguß, clever gemacht natürlich. Aber inzwischen waren genug junge Leute nachgewachsen, die darauf reinfielen und das Ding zu einem Überraschungserfolg kauften. Ziemlich schöne Frauen bestellten das beim irritierten DJ. Immerhin haben sie "Die Reklamation" eine halbe Million mal verkauft. Hm. So geht das eben manchmal. Und Wir Sind Helden wurden ungewollt sofort zum role modell für eine ganze Schwemme von Klonen, siehe Mia, Juli, Silbermond und all die. Schade eigentlich, das können sie nicht gewollt haben.
Alles an der neuen Platte ist nun ebenso klischeehaft wie berechenbar. Außer fünf Songs. Und die haben es! Keine Ahnung, wo sie die plötzlich her haben, aber die sind wirklich tuff. Unverschämt schön. Zerschunden und rauh. Die halten länger als ein Herzschlag. Da will man dabei sein, wenn es passiert. Und ihr werdet euch fragen, wo ihr wart, als das wahr wurde. Die erste Single „Gekommen um zu bleiben“ zielt berechenbar auf die Fans und den Massengeschmack an den Kassen. Aber Tracks wie „Echolot“ und „Ein Elefant für dich“ kicken richtig und haben betörend gute Texte. Wir gehen tiefer auf den Grund. Und endlich, endlich haben sie die Gitarren nach vorne gemischt und das Wave-Keyboard aus dem vorigen Jahrhundert weiter hinten versteckt. Und endlich hört man auch die Pauke. Geht doch. Das klingt erfrischend modern und selbstbewußt. Etwas kitschig wird es dann allerdings mit dem Song "Ich werde mein Leben lang üben, dich so zu lieben, wie ich dich lieben will, wenn du gehst". Hui! Und obligatorisch wird auf dieser Platte auch gegen Sexismus und die Musikindustrie angesungen. Wenns hilft? Judith Holofernes schmettert: „Ich will da sein, wenn die Zeit gefriert / ich will dasein, wenn’s passiert“. Jetzt ist sie dabei, als es passiert. Insgesamt ein hörbarer Schritt nach vorn. „Darf ich das behalten?“ Übrigens: „Ein Elefant für dich“ ist der ganz wunderbarste, wahrhaftigste und strahlendste Song, den diese Band je aufgenommen hat, ebenso schön wie tapfer. Wie heißt es da: „Am Ende des Wegs werden wir groß“.
R. Galenza 9/2005