die anderen Bands - Kleeblatt Nr. 23
(Amiga)
So, da ist sie nun, die lang ersehnte erste Plattenproduktion von Amiga aus einem Bereich der Amateurszene, in dem wohl die innovativste, eigenwilligste und interessanteste Musik unserer Rockszene entsteht. Sie kommt spät. Warum hat man mit all diesen jungen, kreativen Bands nicht längst z.B. Quartett-Singles produziert? Im offiziellen Werbetext zu dieser Platte heißt es: „... das ist unkonventionelle Rockmusik für die unter 20.“ Was soll das? Abqualifizierung zum Pubertäts-Rock? Auch scheinen die Auswahlkriterien für die Gruppen undurchsichtig, ja uneinsichtig. Nun gehören diese hier zwar zweifellos zur 1. Liga, die Tabellenführer (z.B. die anderen) bleiben draußen.
Zu loben ist das Cover (Gestaltung Karl Groß), das die verschlissenen Normen der meisten Amiga-Hüllen verläßt und den Inhalt der Platte auch optisch adäquat anbietet. Dank auch an Lutz Schramm, der originelle, abwechslungsreiche und unübliche Plattentexte beisteuerte. Leider wurden beim Druck zwei Texte vertauscht, peinlich! Schade und unverständlich auch, daß die Songtexte nicht mit abgedruckt wurden.
Hört man die Platte, bleibt der Gesamteindruck zwiespältig. Während auf Seite 1 (Feeling B, Hard Pop) der Sound noch ansprechend ist, baut er aus der zweiten Seite (Sandow, WK 13) doch ab. Die beiden Cottbusser Kapellen mit Bandnamen als baubezogene Kunst, wurden im 1981/82er Neue Deutsche Welle-Sound produziert. Alte Pfefferkuchen im Sommer. Man muß Amiga mit seinen Produzenten Gerd Puchelt (Titel 1-6), Dieter Ortlepp (Titel 7-9) und Siegbert Schneider (Titel 10-11) hier den Vorwurf machen, diesen jungen Bands, die ja kaum oder keine Studioerfahrungen haben, bei der Produktion ziemlich allein gelassen zu haben. Woher sollen die Amateure das Wissen und die Erfahrungen um studiotechnische Möglichkeiten und Kniffe haben? Da hätten mehr einfühlsame Beratung und Hilfe wohl gut getan.
Zu den einzelnen Bands: Die Musik von Feeling B ist ja nun auch nicht mehr ganz neu, eher abgedroschen; hat aber weiterhin ihre Berechtigung. Lobenswert immerhin, daß sie versuchen, ihren straighten Punk mit Flügel-, Tenorhorn und Keyboards aufzulockern und zu bereichern. Aber ansonsten – die längst abgehakten Muster: Der Klopfer prügelt hurtig seine Schießbude, die Gitarre rotzt im üblichen, rasanten Tempo aus den Boxen. Andererseits, sound- und produktionstechnisch bieten Feeling B schon das Beste und Originellste auf dieser Platte und tragen wesentlich zu deren Belebung bei. Die kontrollierte Offensive der guten Laune!
Hard Pop gebührt eigentlich Lob, ist doch Chef Günther Spalda der große, „alte“ Mann der Szene und hat sich immense Verdienste um diese Musik erworben. Leider hatte er in letzter Zeit etwas Pech und produzierte manch Eigentor. So auch sein Gesang hier, der holprig und tapsig in der Musik herumstakst. Trommler, bleib bei deinen Fellen. Die Texte von Karma (2) und Döring (1) verlassen die gängige Rocknorm, kommen frech und aggressiv, sind aber oft nur schlecht zu verstehen. Die Hard Pop-Musik ist wunderbar eigenwillig, in sich grade schräg zum Ziel. Markiges Schlagzeugspiel von Martin Leeder. Insgesamt dufte Unterhaltung.
Sandow bietet live ein schmissiges New-Wave-Konzert, fällt hier auf Vinyl aber klar ab. Das klingt hausbacken, ältlich und irgendwie unfertig. Sandow wußte das und bot neuere Titel und aktuelleren Sound an, wurde aber von Amiga auf diese drei Titel festgelegt. Interessanter dagegen die Texte von Kai-Uwe Kohlschmidt. Er ringt mit Themen wie Falschheit oder Andersein. Aber man sollte sich Sandow besser live ansehen. WK 13 spielen spröden, unprätentiösen Rock und könnten wohl am ehesten ins große Rocklager abdriften. Wie viele Jugendliche haben eigentlich Probleme mit ihrer Neubauwohnung (Titel „P2“)? Ganz am Schluß gelingt ihnen mit „Sonntag“ noch ein feines Eckentor!
Was alle Gruppen eint, ist das Bemühen um ehrliche und realistische Texte. Es werden Probleme behandelt, mit denen Jugendliche hier wirklich zu tun haben („Artig“, „Grau“, „Er ist anders“ oder „Sonntag“). Was auffällt, es ist nicht ein Liebessong zu finden, wie sonst auf so vielen Rock-Platten. Nun sind da beileibe nicht alles traurige, vergnatzte, junge Männer am Werk. Nein, diese Bands wollten stänkern, lamentieren, schimpfen, frech sein. Sie haben etwas zu sagen und spielen nicht für die jährliche LP-Veröffentlichung, sondern für die Leute, die in ihre Konzerte kommen. Bei aller Schelte und notwendigen Kritik an dieser Platte, die Bands, ihre rauhe, ungeschliffene Musik, die ehrlichen Texte, ihr Habitus sind mir allemal lieber und wichtiger, als die superschick, technisch perfekt und teuer produzierte Rocker-Gilde. Nun sollen ja vierblättrige Kleeblätter Glück bringen, aber so ganz glücklich kann man mit dieser Produktion leider noch nicht sein. Aber Schallplatten dieser Art sind wichtig und notwendig! Und man legt diese Scheibe wirklich gern auf.
R. Galenza - Melodie und Rhythmus Heft 9/1988 S. 8