The National - Slow Show
Berlin, Postbahnhof – 6.12.2007
Soviel Wärme. Soviel Licht. Im Gleichgewicht. Sechs Wuschelköpfe aus Brooklyn verzaubern knapp tausend Leute pünktlich zum Nikolaus. Eine Band, die zwischen 29. Mai und 2. Juni 2007 an fünf aufeinander folgenden Abenden das legendäre Bowery's Ballroom in New York City ausverkauft hat, muß groß sein. „Start a war“ war der erste Track. Ein ruhiger Einstieg, in ein Konzert, das später wellenartig auf das Publikum niedergehen wird. Sänger Matt Berninger, die beiden Brüderpaare Dessner und Devendorf, sowie Violinist Padma Newsome steigern sich bald in ihren besessenen Sound aus gekonnter Dynamik und Dramaturgie. Der kauzige Padma Newsome springt an den dramatischsten Passagen plötzlich in den Vordergrund, um wild seine Violine zu bearbeiten, die er oft einfach wie ein Gitarre schrubbt. Berninger taumelt über die Bühne und schlägt exzentrisch seine Handballen gegeneinander. Immer wieder webt einer der Gitarristen einen noisigen, manchmal krachigen Zwischenpart ein, die deutlichste Neuerung ist aber die immer wieder zum Einsatz kommende und entfesselte Geige. Besonders ekstatisch wird es, wenn Matt Berninger im Chorus mit allen anderen seine eher ruhige Stimmlage verläßt und sich in kraftvolles Schreien steigert. Das wirkt weder kitschig noch rockistisch. Perfekt spielen sie mit dem Wechsel zwischen laut und leise, genauso wie zwischen Melancholie und Aggression. Sein emphatischer Gesang erinnert manchmal an die Kühle Joy Divisions. Soviel Stille ohne Ziel.
Berninger schreibt und singt noch immer über merkwürdige, traurige oder lustige Begebenheit, über Plattensammlungen, verschollene Personen und mittelgroße amerikanische Herzen. Er geht jedes Stück so an, als sei's das letzte. Seine Texte irren zwischen Idealen und Wirklichkeit umher, wobei er immer wieder schmerzhafte Kompromisse bilanzieren muß. Mit Hingabe dengeln sie die Strom-Gitarren für den wissenden Sound. Berninger singt, als stünde dem Song ein jahrzehntelanger Frondienst als Hymne bevor. Als ob plötzlich alle Worte verstummen und sich die Biographien vermummen. The National können sich an diesem Abend auf die berührende Größe ihrer Songs verlassen, die bezeugen Souveränität und Erhabenheit. Die Audience feiert explizit die ganz ruhigen Songs hysterisch. Das Bier machte uns gelassen, der Tequilla feurig. Ein wonniges Rauschen rings. Auf unseren Herzen wohnten schwere Schatten, die wir noch nicht verscherbelt hatten. Wir hatten Angst vor soviel Glanz.
Was also will Musik eigentlich von uns? Oder wir von ihr? Helfen? Wer denkt sich solche Songs aus, wie geht das wirklich? Wann machen die das? Von wirklich verloren bis ekstatsich, The National können alles. Bei den Zugaben noch gesteigert in feierliche Emphase hinein in Hysterie. Definitiv mein Konzert 2007! Stille, wissende Hits, die einen auch nach vielen Jahren nicht verlassen haben werden. Wir summten still ins Taxi. Könnten abhauen oder bleiben, ohne uns je zu entscheiden. Polizei-Sirenen in Moll, ach was, was ich nu soll? Wir hatten Angst vor all dem Glanz. Und: Draußen machte einfach alles weiter… „Mistaken for Strangers“.
Playlist von »The National« (Postbahnhof Berlin) 6.12.2007
01. Start A War
02. Mistaken for Strangers
03. Secret Meeting
04. Brainy
05. Baby We’ll Be Fine
06. Snow Show
07. Squalor Victoria
08. Abel
09. All The Wine
10. Racing Like A Pro
11. Ada
12. Gospel
13. Apartment Story
14. Daughters of the Soho Riots
15. Fake Empire
16. Green Gloves
17. My Wife
18. Val Jester
19. Lucky You (Zuschauerwunsch)
20. About Today