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SANDOW - Stationen einer Sucht 

(Amiga - 1990)

Grandios. Wichtig. Toll. Einmalig. Phantastisch. Furios. Keck. Groß. Bedeutend. Super. Fulminant. Reif. Dynamisch. Eigenwillig. Herrlich. Diszipliniert. Wegweisend. Brilliant. Knackig. Frech. Ausgeruht. Genau. Ehrlich.

Ich neige nur selten zu Euphorie, hier aber gehört sie her. Zeychen & Wunder. Welch eine Platte! “Stell dir vor, ein großer Saal, stell dir vor, auch du wärst da/ Stell dir vor, es lacht keiner, stell dir vor, ich war auch so einer. Weißt du was ich meine mit Doppelkinn? Und Deppen sind nette Leute? Weißt du warum ich so bekleckert bin? Ich war zwischen oben und unten.” (aus “Stille Invasion”).

Stell dir vor, Sandow spielt in deinem Ort. Stell dir vor, dein Tag war nicht so toll, nach Sandow wird er strahlen. Sandow ist ein Stadtteil in Cottbus und Sandow ist eine Band aus Cottbus. Sandow war einst so leicht und unbeschwert in alten, beschwingten NDW-Tagen aufgebrochen durch die schmalen Clubs. Sandow mußte für die Songs auf dem Kleeblatt-Sampler “die anderen bands” (1987) viel Schelte einstecken. Sandow war dann schon irgendwie eigen; naiv und melancholisch in Fahrrad-Romantik in “Flüstern & Schreien”. Und nun, 1990, ist Sandow GROSS und WICHTIG. Sandow zeigen, wie man wachsen und reifen kann. Unausweichlich ist Sandow für alle, die sich hierzulande mit Rockmusik befassen. Ein Muß für jeden Berufs-Rocker!

Natürlich will ich nicht unkritisch erscheinen. Was wollt ihr hören? Das man diese Riffs schon mal irgendwie, irgendwo, irgendwann gehört hat? Klar doch! Natürlich ist das keine neue Musik, worauf soviele Kritiker warten. Nein. Aber ich sage auch: das ist einfach nur Sandow - frisch, unverbraucht, kreativ, ganz eigenständig für die DDR-Rock-Szene. He da, frisch aufgemerkt! Wie langweilig und berechenbar sind doch die LP des Jahres geworden, wie schlicht-routiniert die Sieger-Argumente? Wollt ihr das hören?

Rockmusik galt einmal als progressiv und auch als Identifikationsmöglichkeit. Das haben leider zu viele über ihre technisch-tollen Produktionen vergessen. Es ist ja auch so bequem, die E-Gitarre im Sessel zu spielen. “Du bist nervös und wartest. Ich küß dich wach, du bleibst gezähmt. Du meinst Krach und bist bequem und das Schweigen wird lauter.” (Aus “Schweigen & Parolen”)

Die Anfänge der Stücke sind oft euphorisch, fesselnd, mitreißend (packende lead-guitar!). Sie greifen dich am Gürtel und ab geht’s! Zwischendurch gibt’s mal ein stop and go, eine verhaltene Phase, aber ansonsten gehen sie hohes Tempo. Aber immer kontrolliert, nie des Effekts wegen. Da wird gebolzt und herumgebalgt; am Ende steht doch immer wieder ein einfacher, klarer Rocksong. Ohrige Melodien. Einsickenrde Harmonien. Federne Rhythmik.

Was wollt ihr hören? “Peinlich oft sprichst du von Erosion.” Diese Musik macht mir Angst in ihrer kraftvollen Melancholie, mit ihrem mutlosen Optimismus, mit ihrer hemmungslosen Freude und ihrer bitteren Abrechnung. Worauf Hoffen? Worauf Warten? Banal: auf neue Sandow-Platten? Was wollt ihr hören: Feedback oder Harmonie?

Okay, hier Feedback, Teil 1: die meisten Titel dieser LP wurden vor der Wende eingespielt und da traf Sandow der Bannstrahl der Zensur der Amiga-Gewaltigen. Der Grund: der Text von “Born in the GDR”, den Sandow in Bezug auf das Springsteen-Konzert in Weißensee geschrieben hatte. Der war den Verantwortlichen denn doch zu arg. Ein Textauszug: “Jetzt, jetzt lebe ich und jetzt, jetzt trinke ich ... Wir bauen auf und tapezieren nicht mit, wir sind sehr stolz auf Katherina Witt! Born in the GDR ... Wir können bis an unsere Grenzen gehen, hast schon mal darüber hinweg gesehen?” Aber jene Amiga-Häuptlinge hieften “Born in the GDR” nach dem November eilfertig und recht wendig wieder auf die Platte. So geht das. Aber Kai Kohlschmidt kennt das schon: “Sie labern dich voll bis an den Rand, man wird dich kaufen, wirst du als unbequem erkannt.” (Aus “Schweigen & Parolen”)

Feedback, Teil 2: “... wir hatten keine Tränen mehr.” Aber wir haben Tränen für all die langen, traurigen Jahre, für all die Gegangenen. Tränen für: Hard Pop, Aufruhr zur Liebe, Klick & Aus, Happy Straps, Demokratischer Konsum, Wutanfall... Das war eine komplette Generation junger, innovativer Musiker, die dieses Land verließen. Wo sind: This Pop Generation, Fett, Kashmir und all die anderen? Sie fehlen. “You’re my homeland, we’re the homeless people” (aus “Factory”). Sandow singen zweisprachig, englisch und deutsch. Und es ist in Ordnung so. Sandow entschuldigen sich für nichts, müssen nichts erklären und sind vor allem in den Texten nicht so klar, kleinlich und billig. Alles ist offen, nichts festgelegt. Dieses Land hat zu viele Parolen.

Sandow sind: Kai-Uwe Kohlschmitdt (g, voc), Chris Hinze (ld-g, voc), Andrea Spielberg (b, key) und Tilman Berg (dr). Die Bassistin wurde inzwischen ausgewechselt. Komponiert und getextet hat aber all diese Titel Kai-Uwe Kohlschmidt. Produziert wurde nicht bei Amiga, sondern in einem kleinen Studio im südlichen Lengenfeld, wo die Band offensichtlich angenehmere Bedingungen vorfand. Wie ich weiß, sitzt Sandow schon an neuem Material. Hoffen. Warten. Und natürlich hat Sandow mit Hans Scheuerecker für das Cover auch Cottbus’ eigenwilligsten Künstler gewinnen können. Gut so.

Was wollt ihr hören? Ich habe diese Platte 28mal gehört, so oft wie keine sonst. Und was soll ich sagen: die beste Rock-LP, die je bei Amiga erschienen ist. Da habt ihr’s. “... und mein Herz schimmelt.”

Ronald Galenza   

März 1990         Journal Art & Action 3/90    S.41/ 42