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FEHLFARBEN – Knietief im Dispo

(K 7)

 

Caramba! Hier rockt grantig gute, alte Wut. Und das kompakt und böse. Gegen Verlogenheit, Karrierismus, Angepaßtheit, Verrat und soziale Kälte. Vielleicht fehlt längst wieder mal ein langer Marsch an allen Institutionen vorbei, denn auf dieser Platte wird die Börse entkernt. Peter Hein grantelt glaubhaft gegen die Langeweile seiner Generation, schnauzt gegen faule Kompromisse und die angeblichen Bescheidwisser in allen Lagern. Das rockt und swingt und groovt auch noch. Das hat Schmackes! Dieses Comeback der Fehlfarben konnte man so nicht erwarten, geriet doch ihr erster Versuch 1991  mit der „Platte des himmlischen Frieden“ eher halbgar und unentschlossen. Es herrschte noch Aufbruchstimmung, das Wechselfieber der Wende, die Irritationen der Vereinigung, die Unsicherheit alles Neuen. Techno war im Haus, niemand brauchte Gitarren-Platten.

 

Und dann kamen die Neunziger so richtig in Schwung, die New Economy boomte, viele waren privat auf der Hatz nach dem Goldesel, die Schlipse radebrechten von Aktien und Renditen. Soziale Wirklichkeit fand nicht mehr statt. Gegen diese Sommergeilheit ließ sich schwer anstinken. Man wollte Musik nicht mehr hören, nur noch sehen. Lachleute & Nettmenschen. Die Aktivisten der westdeutschen Punk-Szene waren längst andere Menschen geworden, die Vergangenheit schlief tief. Aber mittlerweile rult Punk wieder, DAF sind zurück, Punk gammelt im Museum, junge, picklige Kinder nennen sich MIA(au) und andere Abiturienten spielen die achtziger Jahre nach. Alle auf der verzweifelten Suche nach Inhalt und Glaubhaftigkeit. Dabei geben sie nur mit Parolen an. Kebap-Träume.

 

Heute freuen sich viele wieder über ein paar Bier & Botschaften. Oder wie die Fehlfarben schmettern: „Sieh nie nach vorn“. Die sozialen Risse werden tiefer, die Innenstädte sind heute längst andere, egal ob Leipzig oder Hamburg. Auf dieser Platte geht es tatsächlich noch und wieder um Standpunkte und Haltungen. Denn die Trends tragen Bart und die Miete ist immer noch hoch. Wer singt heute noch über Pennplätze in fremden Städten, Stellenabbau, alleinerziehende Mütter, Sleeper und Sperrmüll im Regen? Die hier. Hallo Erlebnis-Gesellschaft und Pop-Literaten, was wißt ihr schon? Denn ihr verwechselt eine gute Story mit dem Leben. Innenstadtfront.

 

All das haben die Fehlfarben längst durch, wurde doch ihr nichtgewollter Hit „Keine Atempause – Es geht voran“ schnell vereinnahmt. Eine Hymne für alles: Startbahn West, Bankangestellte, Krawallmacher, Atom-Protest bis zu jeder Party krakeelender Kindchen und Lackaffen ohne Eier. Das möge diesen leisen, neuen Schlachtrufen auf immer erspart bleiben. Ideale schlagen immer die tiefsten Wunden. Denn wir sind hier nicht in der Gefühlswäscherei. Sondern in der „kleinen Geldwäscherei“. Und da wird nicht rumgeeiert, sondern Klartext genölt. Hallo Toskana-Fraktion! „In das Leben zum Buch“ stellt Hein seine Meinung über das „Verschwende deine Jugend“-Buch über die Punk-Szene der BRD klar. Und das hört sich schon differenzierter an: „Erinnern und Wahrheit sind wie Post und Pest. Der einzige Sieg nach all dieser Zeit, daß du immer noch hier bist und nur noch manchmal breit.“ Wer sich wie auch immer für deutschsprachige Rockmusik interessiert, sollte die Platte kennen. Und dann laßt und drüber reden, denn darum geht es. Etwas frisches, ehrlicheres und authentischeres gibt es derzeit in diesem Land nicht. Die Fehlfarben fragen zu recht: „Gibt’s noch mehr, die so fühlen wie wir?“

 

Electric Galenza  (Jan 2003)