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BOLSCHEWISTISCHE KURKAPELLE SCHWARZ-ROT - Kämpfe

(David Volksmund Produktion, 2008)

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Feuerwasser, Pauken und Posaunen oder: Protestschlager

Kann man Ironie blasen? Klassenkampf singen? Die Bolschewistische Kurkapelle kann das. Es geht ihr um Verunsicherung, lustvolle Anarchie und Haltung. Die Cover ihrer CDs gestalten sie leger im Dekor marxistisch-leninistischer Gesamtausgaben. Die Debütplatte gleich "Werke" zu nennen, verweist auf starkes Selbstbewusstsein. Es folgten „Tänze“, „Kurkonzerte“ und nun also die neue:  „Kämpfe“. Die vierte Scheibe vereint wieder antagonistisches Liedgut: Brecht/Eisler, Ton Steine Scherben, Rio Reiser, aber auch Foyer des Arts, Mediengruppe Telekommander und be-hip-hopt wird das „Kommunistische Manifest“ – mundgeblasener Hip-Hop! Sie blasen Pop und Propaganda den Marsch! Als wichtige Einflüsse geben sie an: Alkohol! Hanns Eisler, Schostakowitsch, Rio Reiser, Megapolis, Heiner Goebbels, Das Sogenannte Linksradikale Blasorchester, Max Goldt, Kurt Cobain und die russische Seele. Alkohol trifft Agitation!

1986 als soziales, musikalisches Experiment in Ostberlin formiert, war das Amateurblasorchester eine künstlerische Antwort auf geistige Enge und Zensur. Es probte „Blasnost“. Urkonzept war, das proletarische Lied wieder jenseits der DDR-Propaganda hörbar zu machen. Seit 22 Jahren spielt die BKK einen intelligenten, politischen Blas-Punk-Pop voll animalischer Kraft. Auf der neuen Platte „Kämpfe“ erklingt trotzige Marschmusik voll revolutionären Mutes. Das musikalische Spektrum ist enorm: Frönte man anfangs agitatorischen Liedern des Ostens – die Hymne der Sowjetunion, „Soldati Put“, das Weltjugendlied samt Junge-Pioniere-Heimat-Kampf-Potpourris,  so ging die man später dazu über,westliche Protestformen in der Musik auszuloten und blies mit Nirvana, Jimi Hendrix, Led Zeppelin, Laibach und den Einstürzenden Neubauten zur Attacke. Ab 2002 wandte sich die BKK intensiv dem Schaffen Rio Reisers zu. Dazu kamen Popperlen von DAF, Abba, Village People, Pet Shop Boys und Coldplay. In jüngster Zeit wurde das Programm durch eigene Titel/Kompositionen angereichert. Gebläse und Glauben an das Richtige.

In all den Jahren entstand eine vielfältige Zusammenarbeit mit renommierten Theatern. Sie entwarfen die Bühnenmusik zu „Ernst Jünger“ von Kresnik, traten in „Werwölfe“ am Deutschen Theater auf, Beteiligung an „Rocky Dutschke, 68“ von Schlingensief, Arbeit mit Hrdlicka an der Oper „Mörder, Hoffnung der Frauen“, Bühnenmusik zu Brechts „Jae Fleischhacker“ von Thomas Heise am Berliner Ensemble und zu Rolf Hochhuths „Heil Hitler!“. Dazu kommen einige kundige Filmmusiken. Es wuchsen gemeinsame Projekte mit Dichtern wie Peter Wawerzinek, Brigitte Struzyk oder Elke Erb. Zu der Produktion von "Keilter Schwaß" mit Bert Papenfuß sandte die Kurkapelle eine Abordnung. Daraus entstand der melancholisch-bissige Abgesang auf den DDR-Untergrund, längst eine Hymne.

Das Blas-Kommando ist strikt hierarchisch organisiert. Die Führung schreibt Jahresbriefe an die Basis und erwartet wohlwollenden Gehorsam. Dafür gibt es in der Band aber auch
Frauen-, Schwulen- und Wessi-Beauftragte. Wenige Musiker blieben für immer, die Mitglieder wechselten immer wieder. Heute schmettert die 4. Generation von jungen Musikern am Blech. Inzwischen vollziehen Musiker aus allen Teilen der Bundesrepublik hier die innere Einheit. Die ca. 20 Mitglieder betreiben akademische Berufe im sozialen Milieu - der Rest Studienabbrecher. Keine professionellen Musiker, aber alle mit musikalischer Ausbildung. Die Band stimmt mit den Füßen ab, nicht mit den Händen.

Moderation als lebenskluge Belehrung. Dispute, die manchmal fast in Saalschlachten ausufern. Am Beginn machte Jürgen Kuttner den Lautsprecher. Es folgte Frank Kehding, der Aufklärer, heute rockt Wolfram Krabiell, der Provokante, das Publikum. Sie wiesen immer wieder auf die Schwachstellen des Kapitals hin, geändert hat sich nichts. Sie sind der Meinung, daß es nicht ausreicht, mit einer Kerze in der Hand gegen die Globalisierung zu demonstrieren. Auch deshalb halten sie unerbittlich an ihren Protestschlagern fest.

Die Band wirkt manchmal im schwarzen Anzug galant, in Seemannsanzügen schwejkesk, in Kittelschürzen proletarisch. Dabei unehrgeizig und gelassen im Handwerk. Die BKK musiziert mit Vorliebe zu Schiffstaufen, Seebestattungen und Straßenumbenennungen! Aber auch zur Räumung besetzter Häuser, Straßenfesten und politischen Saufgelagen. Denn feiern können sie. Also richtig! Sich, die Lieder und das Leben. Die politischsten Bläser Deutschlands. Aber auch die Lustigsten. Und lässigsten. Die Bolschewistische Kurkapelle - Ein Spielmannszug der Geschichte! Herolde des Ungehorsams. Volker, hör die Signale!

Ronald Galenza, Herbst 2008


Am 5. Dezember erscheint der vierte Tonträger des 20-köpfigen Ensembles mit dem Titel  „Kämpfe“.


"Kämpfe"-Record Release Partys:
7. November 2008 um 21.00 Uhr im Festsaal Kreuzberg, Skalitzer Straße 130, 10999 Berlin-Kreuzberg
15. November 2008 um 21.00 Uhr im Roadrunners Paradise, Saarbrückerstraße 24, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg