Underground in Ostberlin: Zum Pogo kam noch Bandsalat
Sie waren die ersten Punk- und New-Wave-DJs in der DDR: Vor fast genau 25 Jahren, Anfang 1986, riefen Ebi Fischel und Ronald Galenza auf der Insel der Jugend die "X-Mal"-Party ins Leben - eine legendäre Veranstaltungsreihe, bei der die Musik vorher aus dem Westradio aufgenommen und dann von Kassette abgespielt wurde. Für die kreative Ostberliner Pop-Szene wurde "X-Mal" zum wichtigsten Ort; eine ganze Generation späterer Bands, DJs, Künstler und Klub-Betreiber wurde hier musikalisch geprägt. Heute wird in Treptow das Jubiläum gefeiert.
25 Jahre "X-Mal": Erklären Sie doch bitte den Nachgeborenen und später Zugezogenen wie mir, was das für eine Veranstaltung war.
Ebi Fischel: Das war eine Veranstaltungsreihe auf der Insel der Jugend in Treptow im Kreisjugendklub "Pablo Neruda". Dort haben wir beide immer Sonntags Punk-, New-Wave- und Indie-Musik aufgelegt: die erste Underground-Disko in Ostberlin!
War denn sowas nicht verboten?
Fischel: Die Reihe geht letztlich sogar auf ein FDJ-Plenum zurück. 1985 wurde beschlossen, dass die Jugendklubs sieben Tage die Woche aufhaben sollten, also musste auch Sonntags was angeboten werden. Unser Freund Lars Wünsche, der in dem Jugendklub arbeitete, hat uns angeheuert, weil er wusste, dass wir bei privaten Partys von Kassette auflegten; so begann im Frühjahr 86 die "X-Mal"-Reihe. Zunächst als Klubabend, weil wir keine Einstufung hatten...
Ronald Galenza: ...wir waren keine SPUs: Schallplattenunterhalter! Die mussten Programmgestaltung lernen, bevor sie auftreten durften: Quiz, Spielerunden, niveauvolle Unterhaltung.
Fischel: Wollten wir nicht.
Galenza: Nee, um Gottes Willen. SPU: Das war das Schlimmste, was man werden konnte. Wir waren einfach Musik-Fans, wir haben die Musik aus dem Radio aufgenommen, aus den Sendungen von John Peel, Alan Bangs und so weiter. Auf unsere schönen ORWO-Kassetten.
Fischel: Und Lars hat dann gesagt: Legt doch Eure Bänder einfach mal bei uns auf, das kann sowieso keiner kontrollieren, was da im Einzelnen gespielt wird.
Wer kam zu Ihren Partys?
Galenza: Alle, die nicht in die normalen DDR-Diskos gingen: Punks, Grufties, New Waver, aber auch Künstler, Freaks, Individualisten. Für die halblegale Szene in Ostberlin war das eine völlig neue Erfahrung: dass man plötzlich einen Versammlungsort hatte.
Fischel: Es gab natürlich Punks - die aus dem Umfeld der Erlöserkirche -, die gesagt haben: In so ein staatliches Haus gehen wir nicht.
Galenza: Klar. Aber man muss mal sehen: Wo gab es sonst für einen Jugendlichen aus Ostberlin die Möglichkeit, Sex Pistols zu hören und The Clash und dazu auch noch zu tanzen? Wir haben sogar den "Mussolini" von D.A.F. gespielt, da waren manche ganz schön verwirrt.
Und die Musik wurde komplett aus dem Westradio aufgenommen?
Galenza: Auch meine Oma spielte eine Rolle, die wohnte im Westen und hat mir Platten rübergeschickt.
War es prinzipiell möglich - wenn man denn rankam -, sich jede beliebige Platte aus dem Westen zuschicken zu lassen? Auch Punk?
Galenza: Das wechselte. Es gab eine sogenannte Zollkommission in der DDR, da saßen drei hohe Offiziere des DDR-Zolls drin, die natürlich komplett keine Ahnung hatten. Aber auch je ein Vertreter vom DDR-Fernsehen, vom Rundfunk und von Amiga waren dabei - die haben je nach politischer Wetterlage entschieden, was reingelassen wurde und was nicht.
Fischel: Später hatten wir auch Kontakt in den Westen, etwa mit den Betreibern des Schöneberger Loft: Monika Döring hat uns oft Platten mitgebracht.
Galenza: Aber am wichtigsten war das Radio. Punk ist über den Äther in die DDR eingereist. Man muss dazu sagen: Als wir anfingen, hatte sich das Klima schon sehr entspannt. Von 80 bis 86 war Punk in der DDR extrem verfolgt worden, von der Stasi, von den Bullen. Ende 86 setzte eine gewisse Lockerung ein: Der Asozialen-Paragraf wurde nicht mehr so strikt auf die Punks angewandt, und nach "X-Mal" haben sich auch andere Jugendklubs solcher Musik geöffnet.
Also: Auch wenn Sie ein paar Platten hatten, Sie haben bei diesen Abenden nur Kassetten aufgelegt.
Fischel: Genau. Es gab im Klub auch gar keine Plattenspieler.
Galenza: Ich hätte meine Westplatten sowieso nicht auf einen Ostplattenspieler gelegt.
Fischel: Wir haben uns vorher überlegt, was wir spielen wollen, und die Kassetten dann so vorgespult, dass sie an den richtigen Stellen waren. Und wenn das Stück vorbei war, haben wir schnell zum nächsten vor- oder zurückgespult.
Galenza: Die Punk-Stücke dauerten ja nie länger als drei Minuten - da können Sie sich vorstellen, was wir spulen mussten!
Gab es denn wenigstens Kopfhörer in der DDR, oder auch nicht?
Fischel: Ja doch, die gab’s. Man musste auch immer reinhören, wo man gerade war, auf die Zählwerke konnte man sich nicht verlassen.
Galenza: Dann wurde Pogo getanzt, irgendwelche Bierflaschen fielen auf die Rekorder, wir hatten ständig Bandsalat... furchtbar.
War es schwierig, an die Kassetten zu kommen, an das Rohmaterial?
Fischel: Gab’s, waren nur teuer.
Galenza: Eine normale Kassette kostete 20 Mark, eine Chromdioxid 30. Zum Vergleich: Ich hab damals im Prenzlauer Berg 52 Mark Monatsmiete bezahlt.
Fischel: Wenn uns irgendwelche Stücke nicht gefielen, haben wir die auch immer mit neuen überspielt, so mittenrein. Jeder Bandzentimeter wurde genutzt.
Gab es Light Shows, Diskokugeln?
Galenza: Dias! Ich hatte einen holländischen Freund, der kam einmal im Monat rüber und hat mir das aktuelle Spex-Magazin mitgebracht. Da haben wir die Bands dann abfotografiert und als Dia projiziert, während deren Musik lief, damit die Leute einen Eindruck bekamen: Wie sieht Nick Cave denn nun aus? Oder der Gun Club? Das wusste niemand.
Fischel: Kamen ja auch selten im DDR-Fernsehen.
Galenza: Zu Beginn der Abende haben wir kleine Vorträge gehalten: "Die Independent-Szene in Neuseeland", "Neofolk"; oder über bestimmte Künstler: Sonic Youth, The Smiths... Das Gequatsche hat aber eigentlich keinen interessiert.
Fischel: Ach, na ja, ein paar doch schon! Wer sich dafür interessierte, ist eher gekommen, und wer nur saufen und rumpogen wollte, der wartete eben bis später.
Wann haben Sie angefangen, zugleich Konzerte zu veranstalten?
Fischel: Das war wiederum Lars, der die Bands ranholte.
Galenza: Das erste Konzert war am 23. Februar 1986. Mit den Bands Die Anderen, Die Art, WK13, KomaKino - und mit der Nummer 1 der damaligen britischen Independent-Charts: Billy Bragg!
Ach! Wie kam der da hin?
Galenza: Der spielte beim "Festival des politischen Liedes" im Palast der Republik, und von da haben wir ihn weggelotst.
Fischel: Ein Kumpel hat ihn in seinem Trabi nach Treptow gefahren und nach dem Konzert zurück. Ich weiß bis heute nicht, warum die Stasi das zugelassen hat.
Welche Bands traten dann später bei Ihnen auf?
Galenza: Vor allem natürlich einheimische Gruppen. Das Spektrum reichte von HipHop - den es ja früh schon, ab 1987, auch in der DDR gab - über härtere Punkbands bis zu experimentellen Gruppen wie AG Geige mit Carsten Nicolai und Frank Bretschneider. Aber auch normale Wave-Bands, Rockabilly-Gruppen undsoweiter.
Gab es eigentlich irgendeine Verbindung zwischen dieser Szene und den Bands, die heute das musikalische Erbe der DDR für sich reklamieren? Silly, Karat, Puhdys und so?
Fischel: Die Dinosaurier... ach, das war ja gerade das, was man nicht mehr hören wollte.
Galenza: Wir haben sie zutiefst verabscheut! So wollte man nie werden! Diese seltsamen, offiziell anerkannten DDR-Bands - das war das Trostloseste, was man sich überhaupt vorstellen konnte. Und am Ende der DDR wollte deren Musik sowieso niemand mehr hören. Die sind entweder gar nicht mehr aufgetreten oder nur noch im Westen. Waren ja alles Reisekader - was damals kaum jemand wusste. Aber müssen wir über die reden? Da krieg ich sofort schlechte Laune.
Nee, ist schon gut, ’tschuldigung. Wie ging es bei Ihnen nach dem Mauerfall weiter?
Galenza: Die Szene ist schnell auseinander gelaufen, wir selbst wollten ja auch anderswo hin.
Fischel: Die Veranstaltungen mit den Bands liefen weiter, auch noch ein paar Jahre unter diesem Namen. Aufgelegt haben wir beide aber nicht mehr. Das wäre nun auch ziemlich irre gewesen, nach dem Fall der Mauer noch mit Kassetten aufzulegen.
Galenza: Ich hab begonnen, als Journalist zu arbeiten, als Ostberlin-Korrespondent für den "Tip" und beim Radio DT 64, da war "X-Mal" nicht mehr so wichtig.
Fischel: Ich hab noch bis 1998 auf der Insel gearbeitet und zwischendurch auch als Konzertveranstalter. Seither bin ich beim Jugendamt Treptow unter anderem für Jugendklubs zuständig. So hat sich der Kreis geschlossen.
Was erwartet uns heute zum Jubiläumsauftritt?
Galenza: Am Anfang gibt es wie üblich einen Vortrag - diesmal zur Geschichte des DDR-Underground. Mit Musik, die heute kaum noch einer hat! Und mit Fotos und Videos, die noch niemand gesehen hat! Und dann legen wir auf - nicht von Kassette, aber mit ganz viel Musik, die wir uns von Kassette auf CD überspielt haben und die es sonst nirgends zu finden gibt, weder im Internet noch sonstwo.
Fischel: Und nur Musik, die vor 1991 entstanden ist. Wenn die Leute sich was anderes wünschen, dann sagen wir: Sorry! Da werden wir keine Ausnahmen machen.
Jubiläumsparty
"25 Jahre X-Mal Musik zur Zeit:" Freitag, 20 Uhr, Insel Berlin, Alt Treptow 6