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BLUMFELD - Jenseits von jedem

(Wea/ Zick Zack)

Jenseits von jedem.jpg"Jenseits von Jedem" ist eine Platte zwischen Pop und Botschaft. Und kann sich leider nicht entscheiden. Es ist kein wirklicher Pop und sie hat keine klare Botschaft. Und wird wohl doch Blumfelds erfolgreichste Platte werden. Falls das ein Maßstab sein sollte.
Auffällig ist, das in all den Rezensionen und Interviews absolut niemand nach der entscheidenden Veränderung fragt. Als junge, neue Band war Blumfeld wütend, fragend und fordernd und formulierte ihre Ansprüche auf einem sehr eigen, autonomen Beat. Bloß, damit erreichten sie nicht sehr viele Leute. Sie waren ernsthaft und unbequem, gaben keine Interviews für Postillen wie Bild, Spiegel oder Stern. Aber irgendwann reichte ihnen das nicht mehr, sie wechselten zu einer Major-Company, änderten ihre Ästhetik vollständig, die Videos und Cover wurden glatter, ich nenn's gefälliger. Und dummerweise passierte genau das auch mit ihrer Musik. Vielleicht ist es ihnen dadurch gelungen, Leute zu erreichen, die die Band vorher nicht kannten. Aber zu welchen Preis.

Früher sang Jochen Distelmeyer aus einer jugendlichen Wut heraus, einem begründeten Unglücklichsein, einem nicht dulden wollenden Leiden an den Umständen. Seine Sprache war Trauer und Aufbruch. Heute spricht Distelmeyer als älter gewordener Beobachter, müde geworden an den nicht zu ändernden Zuständen. Er singt aus einer distanzierten Sänger-Subjektivität heraus. Er leidet und flucht nicht mehr hörbar, sondern reflektiert nur noch. Da singen eine uneinlösbare Erlösungssehnsucht mit Drang zum Ewigen und Pathetischen, divergent und widersprüchlich. Die Blumfeld-Texte sind manchmal überraschend naiv, Bilder und Klischees verwendend, die verbraucht und abgenutzt klingen. Er singt zum Beispiel: Gib nicht auf, es kommt ein neuer Morgen. Laß es rauß, den Schmerz und deine Sorgen". Distelmeyers Sprache scheint manchmal in einem didaktischen Siebziger-Duktus daher zu kommen, belehrend und sinister. Erreicht oder beeinflußt man so junge Leute?

Und die Musik? Ja, irgendwie ist die auch da. Aber nicht so wichtig. Eigentlich ist sie nur der singende, klingende Teppich, für Distelmeyers Gedicht-Musik. Die Titel heißen heutzutage "Wir sind frei", "Krankheit als Weg", "Jugend von heute" oder "Die Welt ist schön". Caramba! Blumfeld sind schon bemüht, die Musik zu variieren, mehr Bläser, von Saxophon bis Flügelhorn. Es finden sich Bluesphrasen, Gitarrenpop-Schlager und dylaneske Gebetsteppiche. Aber sie Songs berühren einen nicht, sie ergreifen nicht. Obwohl Jochen Distelmeyer mittlerweile passabel singt, bekommen die einfach kein Charisma, kein Leben. Diese neue musikalische Leichtigkeit funktioniert und paßt nicht zu Diestelmeyers metaphorisierenden, prätentiösen Reflexionen.

Auf ein Wort: Jochen Distelmeyer, den ich seit 1991 kenne und schätze, schreibt manchmal immer noch um Meilen bessere, intensivere und interessantere Texte als viele andere deutschsprachigen Bands. Aber er verschenkt sein Talent. Das sei festgehalten und betont. Und ich glaub, auf der nächsten Platte rocken sie auch wieder. Denn ich vertrau auf so etwas wie politische Prägungen und gesunden Alterstarsinn. Aber erst mal macht alles weiter: Verstärker, Ghettowelt, Zeittotschläger, Pickelface, Penismonolg und die Ich-Machine. Genauso machen immer weiter: Blumfeld, das Popbiz, die Verhältnisse, das Aufgebrachtsein, die Ratlosigkeit und die Kompromisse.

R. Galenza 10.09.2003 für ZONIC, Greifswald