AG Geige - Yachtclub & Buchteln
"Wir wollen immer auch laut und hart sein!" meint die AG Geige heute. Die Musiker Frank Bretschneider, Jan und Ina Kummer und Torsten Eckhardt experimentierten schon einige Jahre im Stillen, zum Beispiel mit Improvisationen, Toncollagen, bevor sich des Palastes Tore und der Medien Kanäle öffneten. Und während in ihrer Heimat Karl Marx Stadt die zuständigen Kommissionen noch ratlos hin- und herberieten, was das denn sei, was da auf der Bühne passiert und in welche Kategorie, auf welcher Stufe es anzusiedeln sei, wurde es ein "Volkskunstkollektiv der ausgezeichneten Qualität". Die AG Geige trat derweil schon in der Hauptstadt zu den "Tagen der Jugend" im Palast der Republik auf.
Die Band wurde alsbald in den schön blinkenden, neuen Topf "die anderen Bands" geworfen. In ihrem Titel "Perfekte Welt" singen sie dazu: "... sie funktioniert erbarmungslos, wir sind versorgt vom Glück". Aber nicht deshalb ist die AG Geige anders als all die anderen Bands, denn sie kommt aus einer ganz anderen Ecke: der Welt der Bilder. Maler machen Musik. So fing es an. Stellt sich sofort die Frage, kann das gut gehen? Es kann. Musik und Wort als eine andere Ebene, um die Gefühle, die sie auch in ihre Bilder legen, auszudrücken. Und um die Gefühle geht es! Also Band erreicht man plötzlich, wovon man als Maler nur träumt - breite Beachtung, Medienpräsenz und Räume mit einigen hundert Leuten gefüllt. Die gekommen sind, das Produkt der Künstler gemeinsam anzusehen und hören.
Auch im vergangenen Jahr war die Geige schon eine Band, heute spricht Frank B. anders, es ist mehr Ernst, Zielgerichtetheit darin. Man will eine Platte machen, eine LP, will touren, im Rundfunk präsent sein, alles was dazu gehört zum Rock-Zirkus. Aber wer kann sich schon Jan als Rocker und Ina Kummer als Rock-Lady vorstellen? Niemand. Sie stehen selbst sehr kritisch zu ihrer Arbeit und ihrem Publikum.
Bei der AG Geige trifft sich Kopfmusik mit kristallinem Pop. Soll sagen, Geige-Songs nur so nebenbei gehört, versanden nach kurzer Zeit. Da ist mehr Aufmerksamkeit gefragt, denn die gehen nicht nur durch den Bauch, sondern in den Kopf. Ihre Texte singen sich immer wieder in den Vordergrund. Ganz zurecht, denn die sind teilweise phantastisch, vergleiche"Sind so kleine Finger", wer erkennt, auf welchen Originaltitel sich das bezieht, wird viel Freude haben. Die Inhalte sind vielschichtig, lassen obskure, eigenen Sichten entstehen ("Küchenlied"), man kann sich wunderbar in ihre skurile, abstruse Welt zwischen "Yachtclub & Buchteln" ziehen lassen. Die Bilder dazu wachsen im Kopf. Es ist diese Leichtigkeit, diese Ironie, mit der sie alltägliche Dinge sehen und beschreiben können. Keine konkretelnden Rocktexte, kein mit Metaphern verbrämter Liedermachersud.
Live werden Text und Musik durch Filme unterstützt, die als Idee in der Gruppe entstanden, technisch von Dieter Wuschanski umgesetzt werden. Das Medium Film als visuelle Kunstform liegt bei Malern auch näher als die Musik. Wieviele der Gilde mögen schon auf Zelluloid herum gekratzt haben? Aber hier werden die Filme durch interessante Ideen und mittels schneller, harter Schnitte zu Videoclips die fesseln. So werden zu "Gesichter" in kurzem, heftigem Rhythmus Fotos von 116 Leuten eingespielt. Das lebt. Oder einfach wunderbar: der gesprochene Todesexkurs zu einer Bacon'schen Bildbeschreibung samt kränkelnd-mondäner Orgelbegleitung. Sie tragen eine Musik vor, die trotz der verwandten technischen Apparaturen (Computer, Sequenzer, Synthesizer, elektrische Banane usw.), innovativ wirkt. Voltaires Cabaret residiert auf den Tonspuren und ab und an wächst eine Totentrompete aus dem Moos!
Die Band agiert dazu in selbst entworfenen, süffisant-bunten Fantasy-Kostümen: Verkappung.
Es ist ja nicht schlechtes, gute Vorbilder zu haben, wenn aus diesen Orientierungen eine eigenständige Musizierweise wächst. Das was als Gesamtklangbild dasteht, hör- und sichtbar wird, hat diese Eigenständigkeit schon. Bretschneider und Kollegen stehen ihrer eigenen Entwicklung und Musik keineswegs naiv gegenüber. Heute kling die AG viel härter, straffer und organisierter. Das wollten sie eigentlich immer schon, nur fehlte anfangs immer das richtige Equipment.
Frank Bretschneider zu ihren Anfängen: "Wir kannten das ja alles, wir kannten ja Throbbing Gristle und wir waren nicht irgendwelche Doofen aus der Provinz, die keine Ahnung von Musik hatten." Dazu höre man sich nur an, welche Stücke die ATOMINOES, so nennt sich die AG Geige wenn sie ihr Programm ausschließlich mit Coverversionen bestreitet, ausgewählt hat: Tackhead, Led Zeppelin, Count Five u.a. Wie singen sie doch?, "... verloren die Tage der Zeychen & Wunder". Die AG Geige ist aber so ein Wunder.
Ronald Galenza Journal für Unterhaltungskunst 8/1989 S. 10-11