Kante – Zombi
(Kitty Yo)
Kante waren mal groß, und mir wichtig. Wie ein leises, starkes Zittern. Ich saß im Bus auf dem Weg von Santa Cruz de Tenerife runter zur Fähre nach Gomera. Eine endlose, schlingernde Fahrt zum Hafen im Süden. Das fühlte sich an wie leichtes Fieber. Durch die maroden Kopfhörer sangen sie mir direkt in den Kopf und vergleichbare Erinnerungen. Ich lebte in ihrem „Zwielicht“, hab diese gesungenen und geschunden Worte inhaliert, als Option auf Felsenküsten, Leuchttürme und Trostlosigkeit. Das war weit mehr als die Summe der einzelnen Teile, eher ein Anker im ersten Licht des Morgens. Draußen eilte Landschaft vorbei, aber wir waren drinnen wie draußen heil. Nur ein stiller Schmerz der Sehnsucht nach Weite und Flucht blieb unterwegs. Ein großartiges Unterwegssein, gegen die Regeln der Vernunft. Ich bin wie auch immer angekommen, ohne es wirklich zu spüren. Hier wo die Nacht nicht dunkel wird und der Tag nicht wirklich hell. Ein Schiff wird kommen...
Nun gibt es eine neue Platte von Kante: „Zombi“. Und nur wenig ist beim alten geblieben. Die Songs haben Titel, scheinbar von ambitionierten Germanisten: „Ich kann die Hand vor meinen Augen nicht mehr Sehen“ oder „Wenn man im Atmen innehält“ oder „Wo die Flüsse singen“. Es könnte ein Segen sein, wenn man eine große, alte Plattensammlung hat und das Erbe kennt. Das aber kann auch zu einem Fluch werden. Zur Referenz- und Zitaten-Hölle. Einer Art unfrei sein. Die neue Platte enttäuscht. Kaum Weite, kaum Visionen. Wenig Horizont. Viele Tracks tuckern und surren so vor sich hin. Aber was wollen die vom Leben? Nix! Reflexionen nach innen, auf Ambient-Jazz. Alles klingt so ambitioniert und stimmig arrangiert. Aber so ganz ohne ernstgemeinte Leidenschaft, so voller Wissen um das Woher. Und so selbstreflektiv. Das wird leider schnell langweilig. Texte vom Ich, das nichts erlebt, sondern sich an sich selbst ab- und aufarbeitet. Aber wen könnte das in dieser hier aufgeführten, lokalen Bescheidenheit interessieren? Die haben einst Road-Movie-Musik zum Klingen gebracht. Peter Thiessen versucht schon emotional zu singen, aber irgendwie funktioniert das diesmal nicht glaubwürdig. Sozusagen wie ein „Schleier auf dem Sinn“. Die Umrisse werden wichtig, aber nicht mehr Erfahrungen und Probleme. Das klingt ebenso gewollt schön wie gut gemeint. Trotzdem gibt es auf der neuen Platte ein Lied, das mich sehr berührt und wieder mit nimmt: „Warmer Abend“. Da kann man wieder den alten Atem hören und spüren. Das ist schön und groß. Das klingt nach ewigem Unterwegssein und Nichtankommen wollen. Hier klingen Kante wieder subtil und zeitlos. Vielleicht werden wir uns irgendwann wieder berühren, wo auch immer. Es wird ein warmer Abend sein, irgendwo da draußen...
R. Galenza, August 2004, Zonic-Magazin