TAUSEND TONNEN OBST - Der tip TIP
Alles grünt, viele leckere Früchte reifen, und auch das Berliner Zong-Label verabreicht jetzt ein gebündeltes Vitaminpaket: Tausend Tonnen Obst! Nun kommt diese fruchtige Kost nicht von den saftigen Havelwiesen, sondern reift in den lichtlosen Hinterhöfen des Prenzlauer Bergs. Aber der eigenbrödlerische Bandname ist schon ein Stück verblichener Geschichte, stießen die Jungs doch im einstigen FDJ-Zentralorgan Junge Welt auf die Jubelmeldung: “Mit tausend Tonnen Obst den Plan erfüllt!” Das war die Aussaat. Bandchef Uli Baum war jedoch schon lange vorher aktiv. Als “Überrannte Nachbarn” böllerte man Anfang der Achtziger Punk-Rock,von ‘84 bis ‘87 firmierte seine Combo dann als “Die Schönste Muziek” im Ostberliner Underground. An der Seite des heute bei “Ornament & Verbrechen” spielenden Bo Müller sucht man mit Dia-Projektionen und Bläsern nach Abwechslung und Eigenständigkeit. Seit Oktober ‘88 ist Sänger und Texter Baum nun mit Frank Tetz (Gitarre), Stefan Schwalbe (Baß) und neuerdings mit Mike Lebinski (Drums) als marktschreierischer Vitaminstoß unterwegs, allzeit bereit, alle taub zu spielen und niederzuschreien. Nicht umsonst nennen sie Baum Schandmaul!
Tausend Tonnen Obst zelebrieren Brüll-Core, dabei gar nicht so sehr auf Geschwindigkeit setzend, sondern mehr auf Rauheit und stingente Härte. Allerings orientiert sich Baum kaum an aktuellen Ami-Trash-Auswürfen, sondern legt sich zu Haus vielmehr Old-School-Bands wie die Sex Pistols auf. Und irgendwie ältlich klingt auch die Obst-Musik, fast so, als hätte es Boston, Minneapolis und Washington-Krach nie gegeben. Trotzdem sucht Baum schon nach musikalischer Differenzierung, läßt er doch mal ein Cello wispern und in “Fox” sogar Erich Honecker nuscheln. Liver würde er gern auch mit Stahlgerüst, Metal-Percussion und Staubsauger arbeiten - auch nicht mehr die allerneuesten Ideen. Absprechen kann man den Obstlern allerdings nicht den Druck, die treibende Härte und die schmirgelnde Verdichtung bei ihren Konzerten. Da tobt Schandmaul Baum als entfesselte Killerwespe über das Bühnen-Schafott, seine englisch-deutschen Texte herausschleudernd.
Für den Tausend-Tonner bestand nun das Problem, diese lohderne Energie auch im Studio umzusetzen. Die Band entschied sich für das Vielklang-Studio und orderte mit Uwe Bauer (Fehlfarben, Mint) und Jacob Friederichs (Element of Crime) zwei kundige Lärm-Experten als Produzenten, die aber eben auch ein Ohr für verschüttete Melodien haben. Das TTO-Debüt “Dirty chickens” wirkt am Stück aber eben doch etwas überlagert und uninspiriert.
Trotzdem gehört dieses Obst zum Frischesten der Prenzlauer-Berg-Szene, obwohl sich Baum da ideologisch gar nicht festnageln lassen will: “Uns ist es eigentlich wurscht, wo wir unsere Musik machen, Hauptsache die Leute kommen hin und haben Spaß”. Und den kann man schon haben, zumindest beim Abspecken beim Pogo.
R. Galenza April 1991 TIP Stadtmagazin Berlin 13/91 S. 200