SANDOW – Suche nach dem kreativen Weiter

 

Die andere Band. Die erfolgreiche. Erstes Beispiel: Da hast du einen Auftritt in einem Dorf, nur acht Kilometer vor Cottbus, fast ein Heimspiel also. Muggen-Alltag denkste. Aber das Leben ist so vielfältig! Kaum versuchen einige ganz junge Kids zu deiner Musik loszurocken, wälzen sich ein paar dickliche Typen auf die Tanzfläche und drängeln die Enthusiasten zurück auf ihre Holzsitze, wo sie nur noch verschüchtert mitwippen. Seltsam, seltsam denkst du noch, da lauern dir eben diese finsteren Gestalten schon in einem schmalen Gang auf und schicken dich mit einer Geraden zu Boden. Noch einige Tritte in die Nieren und du fragst dich wieder – meint das Rock’n’Roll? Zweites Beispiel: Du bist 19, spielst in einer Band, tourst umher und plötzlich bekommst du einen Preis bei einem Nachwuchs-Rockwettbewerb für deine Musik, die dir doch nur Spaß machen soll. Dann kannst du in einem DEFA-Dokumentarfilm über junge Rockfans und –bands mitmachen und ein Viertel einer verspäteten Amiga-Kleeblatt-LP bespielen. Die andere Band, die erfolgreiche eben. Kai-Uwe Kohlschmidt, der Bandleader, meint lakonisch: „Die Erfolge sind eigentlich nur Steine auf dem eigenen Weg, so eine Art Belohnung für unsere harte Arbeit.“  Aha.

Sandow ist ein Stadtteil von Cottbus, ein beliebiges, austauschbares Wohngebiet mit all seinen Vorzügen und Widersprüchen. Für Kai und seinen Schulfreund Chris Hinze fing hier alles an, aus Gaudi begannen sie 1982 Musik zu machen, aus dem Radio schwappte gerade die Neue Deutsche Welle. Sie bespielten von Schülerdisco, Fasching, Pressefesten und Brigadefeiern alles mögliche. Sie nannten sich dann auch gleich Sandow, erhielten anfangs Unterstützung von WK 13, einer anderen Cottbusser Combo, schafften die Einstufung, bekamen einen Fördervertrag mit dem ansässigen Fleischkombinat, der aber nicht so recht funktioniert. Sie tingelten durch die Clubs. Nun kann man ja leider fast jede hiesige Amateurband auf ihre internationalen Vorbilder zurück führen. Wenn diese internationalen Bands als musikalischer Ausgangspunkt genommen werden, von dem man sich dann selbst weiter entwickelt, ist das in Ordnung; wie zum Beispiel die anderen, die verblichenen Elektro Artists oder Herbst in Peking. Wenn man aber gar nichts neues mehr dazu lernt und ausprobiert und trotzdem sehr zufrieden mit sich ist, ist das vielleicht angenehm, aber sehr bedenklich und schade. Der Stolz der eigenen Bequemlichkeit.

Genau das wollen Sandow nicht! So schmeißen sie auch recht erfolgreiche eigene Titel (bisher ca. 70 live aufgeführt) aus dem Programm, wenn neue, interessantere da sind. Auf der Suche nach dem kreativen Weiter. Kai, der auch die Texte schreibt, erklärt: „Wir wollen die existierenden Widersprüche nicht aufheben oder glätten, sondern aufzeigen. Und damit die Leute bewußter machen und aktivieren. Nicht nur negatives zeigen, sondern Mut machen und Aktivität erzeugen, Alternativen anbieten.“ In ihrem Song „Es sind alles nur Spiele“ heißt es: „Im Gefängnis meines Kopfes/ sind die Träume eingeschlossen./ Auf dem Hof der Selbstzensur/ werden Illusionen erschossen.“


Im Juni 1988 erschien die Kleeblatt-LP Nr. 23 „die anderen bands“, zu der Sandow die drei Titel „Wir?“, „Er ist anders“ und „Fliegen“ beisteuerte. Nun ist es ja erstmal recht angenehm, auf Platte veröffentlichen zu können, aber so ganz zufrieden ist die Band heute damit nicht mehr. Pfingsten 87 hatten sie Amiga fünf Titel angeboten, wovon drei ausgewählt wurden. Im Januar 88, als Sandow ins Studio ging, fragten sie an, ob denn nicht andere, neuere Titel produziert werden könnten, da ihnen diese drei nicht mehr als geeignet erschienen. Das lehnte die Plattenfirma ab. „Der Sound ist einfach alt, es ist nicht mehr das, was wir jetzt machen. Es klingt alles sehr brav“ schildert Chris Hinze. Hört sich fehlfarbig an, nicht vielfarbig.

Sandow läuft heute, nach vielen Wechseln, in dieser Besetzung auf: Kai-Uwe Kohlschmidt (voc, git), Chris Hinze (git, voc), Tilman Berg (dr), Andrea Spiegelberg (b) und Jan Petrikowski (sax). Da es aber auch für erfolgreiche Amateure nur wenige Auftrittsmöglichkeiten gibt (Veranstalter erwachet!), hat Kai ein Schauspiel mit experimenteller Musik geschrieben. Darin treten drei typische Gestalten gegeneinander an: ein Produktionsarbeiter, ein Kleinbürger und ein Intellektueller. Vielleicht ist es Kabarett mit Film und Musik. Aber kein Possenspiel! Die Uraufführung soll am 3. September in Cottbus sein, drei Sandow-Leute, andere Musiker und Freunde schauspielern. Denn, so nochmal Kai, „wir wollen neben dem normalen Muggenleben auch ein anderes, größeres Spektrum erreichen, viele verschiedene Sachen ausprobieren; eben Platten, Film oder ähnliches. Der Weg dahin ist gute, eigene Musik“.

R. Galenza     Unterhaltungskunst   Heft 9/1988       S. 9-10