ORNAMENT & VERBRECHEN - Der TIP tip
“Mit unserem Namen gab es immer Ärger” resümiert Ronald Lippok heute, der Sänger von Ornament & Verbrechen. “Das ging soweit, daß er in Musikzeitungen nicht gedruckt wurde und uns Veranstalter mit diesem Namen nicht auftreten lassen wollten.” Entdeckt hatte ihn Lippock in einem Traktat des österreichischen Architekten Alfred Loos aus dem Jahre 1908. Darin wetterte der Purist Loos gegen die Tätowierungen der Wilden und die Verzierungen und Bemalungen ihrer Gebrauchsgegenstände. Er verdammte jede Art von Zierat und Schmuck, doch die Band begreift ihren Namen eher als Paradoxon. Inspiriert von Throbbing Gristle begannen Sänger Lippok und sein Bruder Robert 1983 als Duo in Ost-Berlin ihre eigenen Tapes zu produzieren und zu vertreiben. Eine erste Plattenaufnahme von Ornament & Verbrechen findet sich auf dem Sampler “Live in paradise” von 1985 - die Bänder wurden illegal aus der DDR herausgeschmuggelt und gelangten so nach West-Berlin auf die LP.
Danach begann die Band mit jungen Underground-Dichtern wie Papenfuß-Gorek, Schedlinski oder Döring zu arbeiten, die sie bei Lesungen und Performances begleiteten. Ihr Markenzeichen waren verfremdete und verknappte Texte sowie antiklassische Vorlieben. Letztere galten Ezra Pound, William Blake, John Donne oder Bob Kaufmann. “Wir suchten etwas passendes zu unserer Musik und sind dabei auf diese toten Dichter gestoßen, die strukturell recht gut zu unserer Sachen passen”, bekennt Lippok.
Stark an allem Künstlerischen interessiert, suchte Ornament & Verbrechen immer wieder neue offene und freiere Arbeitsformen. Nie war genau klar, wer eigentlich alles zur Band gehört. “Wir haben keine feste Bandstruktur, sondern arbeiten wie ein Pilz, der seine Sporen über die ganze Stadt verteilt”, so Ronald, der sich an inzwischen zwei Dutzend ehemaliger Mitspieler erinnern kann. Doch zurück zur Kunst. Neben unterschiedlichsten Performances arbeiteten sie 1988 auch am Deutschen Theater: sie schrieben die Musik für Brendan Behans Stück “Die Geisel”, das von Thomas Langhoff inszeniert wurde, und setzten die Musik auch live auf der Bühne um. Zwar gab es damals Ärger um die Phonstärken, aber insgesamt sind O&V von solchen Projekten begeistert.
Durch die Zusammenarbeit mit Emilio Winschetti, dem Sänger von The Mint, entstand nun ihre erste LP “On eyes”, die auf dem jungen Berliner Label Hidden Music herauskam. Aufgenommen wurde diese LP übrigens in einer Autowerkstatt in Marzahn, zwischen Autoteilen, Motorblöcken und alten Batterien. So ähnlich klingt dann auch das Resultat: harte, knallende Rhythmen, durchfetzt von einer gratigen Gitarre, verschraubt mit Bläserfetzen, Jazzsplittern und Zitatbolzen. Die Stimme von Ronald Lippok verschweißt dies alles zu einem druckvollen, hochenergetischem Gemisch mit hoher Dichte.
R. Galenza November 1990 TIP-Stadtmagazin Berlin 23/90 S. 206