Big Savod - Großes Werk, viel Minus
Meißen liegt sehr idyllisch, besonders von Elberaddampfer aus - Albrechtsburg, Dom, Porzellan-Manufaktur, "Vincenz Richter" - man kennt das ja. Aber wir wollen hinter die Rebstöcke schauen, auf der Suche nach dem Meißner Rock'n'Roll. Wir finden ihn schnell, er backt im Buddelkasten schräge Kuchen und spielt mit dicken Lupen. Unter diesen Brenngläsern sehen wir ihn wachsen, pulsen, reifen. Bald wird er BIG SAVOD and the deep Manko heißen, er wird groß und Meißen zu klein sein, aber der Reihe nach.
Reinhard, Andreas und Vinco sind inzwischen schon elf, zwölf Jahre alt und inhalieren den Blues, den einige ältere Freunde in einer Garage zelebrieren. Also wollen sie die Meißner Musikschule besuchen, werden aber mit dem Hinweis "... ihr seid zu alt" (!) wieder nach Hause geschickt. Das ist aber nur Ansporn, sie drängeln sich in die Pionierhaus-Musikgruppe, die ihnen das erste Klampfen-Feeling vermittelt. Wild times - alle schon in properen FDJ-Blusen, nur sie noch im Pionier-Ehrenkleid. Mit 14 baut sich Reinhard dann den ersten Tonabnehmer an die eigene Gitarre. Sie schaffen sich die ersten Bluesriffs drauf, es macht einfach Spaß.
Väterchen Punk hält Einzug in Meißen. Ein guter Freund meint eines Tages im Probeschuppen: "Das ist ja Wave, was ihr da spielt; ja, schlechter New Wave." Diese "Welle" spült sie in die Garage zu einem ausgedienten Radio, einer großen, dicken Trommel und ihren Gitarren. Ganz nebenbei entdecken sie, daß Vinco richtig Rhythmus halten kann, fortan wird er auf die Schießbude festgelegt. Sie nennen sich Plutonius Dachstein oder Billy Shears and the One and Onlies (Hauptsache schön lang). Eigene Songs und deutsche Texte entstehen.
Ihren ersten großen Gig knallen sie der halbvollen Schulaula an die Ohren. Hier dominieren aber noch die Altvorderen, Doors, Beatles, Stones; von den neuesten Entwicklungen hatten sie kaum eine Ahnung. Wie auch? Was treibt denn einen Newcomer in der Rock-Provinz überhaupt vorwärts? Reinhard meint: "Du mußt es ganz alleine schaffen, dir hilft niemand. Du hast keine Bühnen, die dich locken, wenn du anfängst. Du hast nicht die Bands, mit denen du dich messen und vergleichen mußt. Du hast überhaupt kein Publikum, du hast eigentlich keinen Antrieb, dich zu entwickeln. Du hast nichts. Du machst also, was dir selbst Spaß macht, aber das reichte uns auf die Dauer nicht."
Big Savod erduldeten jedenfalls jede Menge Ärger und Anfeindungen. So meinte ihre zuständige Kultur-Betreuerin: "Der Bandname geht überhaupt nicht, in meinem Stadtgebiet gibt's keine englischen Namen!" Bei ihrer ersten Einstufung bekamen sie noch den deutlichen Hinweis: "Nehmt doch internationale Schlager ins Programm, spielt mal was nach, was die meisten kennen! Was macht ihr denn, wenn die Leute sich Roland Kaiser wünschen??!" Geschichten, die das Leben schreibt.
Sie galten bald als intellektuelle Punkband, obwohl sie genau das nie waren. Es war jedenfalls nur noch mühsam auszuhalten. Nach dem Abitur hatten sie alle gebuchte und verstreute Studienplätze, also die gesicherte Laufbahn in Aussicht. Aber: man ging über Rot und wählte das große Risiko - ein Leben für die Rockmusik! Die Band war ihnen einfach schon zu wertvoll. So sind sie zwischen schriftlicher und mündlicher Prüfung nach Berlin getrampt und haben sich nach Arbeit umgesehen. Es klappte auch.
Sie wußten nur, da tanzt der Rock'n'Roll-Bär, aber wer den füttert und an der Leine führt, das wußten sie nicht. Sie wußten überhaupt nichts - sie kannten niemanden, hatten keine Kontakte, kannten die Stadt nicht, nicht ihren Hunger, nicht ihr Tempo. Wieder Reinhard: "Der Anfang war die blanke Härte! Wir sind hierher gekommen, haben dagesessen und hätten heulen können. Es war entsetzlich. Wir hatten dadurch extreme Probleme miteinander, standen kurz vor Bruch und Trennung. Wir haben uns einfach nicht mehr verstanden." Der Rock als Freßmaschine. Bitter-sweet.
Nach drei, vier Monaten hatten sie endlich einen Proberaum gefunden, aber jeder Groove war dahin. Im Januar ‚88 winkte ihr neuer Einstufungstermin, sie faßten wieder Vertrauen zueinander, Mut und Energie. Das große Werk sollte wieder arbeiten, möglichst ohne Manko. Sie schafften die Mittelstufe. Aber danach? Keine Auftritte in Sicht, keine Technik, keine Transportmöglichkeiten - so garstig kann der Rockbär sein. Also haben sie ihr Programm überarbeitet, Demo-Aufnahmen eingespielt und sind durch diverse Klubs gehechelt, um sich anzubieten. Irgendwann trafen sie dann die richtigen Leute und sind heute eine feste Größe der Live-Szene.
Ihr Sound ist frisch und treibend, lappt hier zum Gitarrenpop, hier zum Ska und da zum harten Beat. Irgendwie stoisch und doch voller Leichtigkeit. Und sie sind zäh, wollen die Instrumente besser beherrschen, ihre Musik soll differenzierter werden. Deshalb haben sie auch Anfang '89 den Saxophonisten Norbert Knaack (sonst Torpedo Mahlsdorf) dazu geholt. Mittlerweile haben sie erste Rundfunkaufnahmen eingespielt und demnächst geht es wieder ins Studio, immer ein Herausforderung. Big Savod sind drei sehr sypathische, gelassene Sachsen: R. Grahl (g), A. Maier (b) und V. Hake (dr). Immer selbstkritisch, mit ironischem Abstand zu sich selbst. Knorke, wie wir Bärliner sagen.
R. Galenza Mai 1989 Journal für Unterhaltungskunst 6/89 S. 12/13