AG Geige - Eine fremde, seltsame Welt

Die AG Geige zählt zweifellos zu den innovativsten DDR-Bands und sie ist die Band mit dem besten Bühnengebaren! Diesen Aufstieg haben die vier Kar Marx-Städter relativ schnell geschafft. Frank Bretschneider, Kopf der Band, fing zu Beginn der Achtziger mit Klang-Installationen und experimentellen Toncollagen an. Inspiration waren ihm dabei Bands wie Throbbing Gristle und Psychic TV. Daraus entwickelte sich sein Cassetten-Label "Klangfarbe", das experimentelle Musik veröffentlichte und vertrieb, was nach geltendem DDR-Recht eindeutig illegal war.

Ab 1985 begannen Frank B., Jan und Ina Kummer und Torsten Eckardt dann als AG Geige zu arbeiten. Ihre ersten Auftritte zu Vernissagen gerieten allerdings noch dilettantisch und chaotisch. Aber schon ein Jahr später legten sie ihr erstes Tape, "Yachtclub und Buchteln" vor, das sich reißend verkaufte. Die AG Geige hatte Einladungen zu den Berlin Independence Days in West-Berlin 1988 und 1989, durften aber nicht fahren, da ihnen die intoleranten und bornierten Kultur-Bürokraten Karl Marx Stadts diese Auftritte im Westen verwehrten. Die konnten sowieso nie verstehen, was für eine seltsame Combo da in ihrer Stadt agierte und stufte die AG Geige etwas ratlos also "Volkskunstkollektiv der ausgezeichneten Qualität" ein!!

geige.jpgDie Band versteht sich dabei als Künstler-Kollektiv. Die Musiker sind gleichzeitig Maler und Graphiker mit eigenen Ausstellungen, sie entwickeln ihr komplettes Band-Design selbst und treten in eigens entworfenen, süffisanten Fantasy-Kostümen auf. Und sie zeigen zu ihren Titeln viedeoclipartige 16 Millimeter-Filme, die ihren Trickbeat visuell verstärken. Das reicht von Bacon-ähnlichen Bilderwelten über skurile Übermalungen bis hin zu harten, schnellen Fotoschnitten. Da liegt schon mal eine alte Pizza am Bahnhof rum oder es wächst eine Totentrompete aus dem Moos.
Das Beste sind aber ihre irrwitzigen Texte. Obskur-abstruse Comic-Lyrics, die assoziative Bildwelten in jedem Kopf wachsen lassen. Denn die AG Geige schaut nicht auf die blinkende Oberfläche der Welt, sondern weit tiefer, hinter die Kulissen des Grinsens und Grauens. Dzu flimmert und pulsiert ihr elektrischer Trickbeat aus Computern, Keyboards und verfremdeter Gitarre. Es ist eine fremde, seltsame Welt. Ihre 1. LP ist soeben bei Amiga erschienen.

Ronald Galenza tip - Berlin Stadtmagazin 8/1991 "In concert"