Michele Baresi – Eine kleine Meuterei   

 

Hast Du heute etwas Zeit? Dann leih Dein Ohr einem italienischen Schuputzer-Jungen: Michele Baresi. Der ist nach langer Wanderschaft, ziellosen und trunkenen Irrfahrten nun in Berlin angekommen. Hier poliert er aber keine Stiefel mehr, sondern das Blech-Gebläse in einer achtköpfigen Musiker-Meute. Als Michele Baresi noch vor dem Bahnhof in Palermo herumlungerte, wetzte er oft sein schartiges Messer; heute wetzen er und seine Mitstreiter nur noch eine spitze Zunge. Sie schmettern: “Hast du heute schon was vor? Wie wär’s mit einem kleinen Putsch, mit einer kleinen Meuterei? Morgen kommst du nicht mehr dran vorbei”.

Für die oft ironische Piraten- und Kannibalen-Lyrik sorgt der Anführer des Clans Oliver Frohn. Er und sein Bruder Marco gründeten 1986 Michele Baresi, nachdem sie auf diversen zappeligen Parties die aktuellen Ska-Platten inhaliert hatten. Aber Ska pur reichte ihnen auf die Dauer nicht, zumal die Musikgeschmäcker in der Band, die sich anfangs noch „Die Rudi’s“ nannte, stark divergieren. So hat man sich innerhalb der Truppe inzwischen auf den Begriff World-Beat verständigt.


Bis zum Herbst ‘89 war Michele Baresi eher ein verträumter, schüchterner Junge. “Als die Wende kam, fingen wir dann erstmals ernsthaft an zu überlegen, wie weiter. Wir lernten einige Bands aus dem Westen kennen und merkten, daß Musik da doch ein ziemlich hartes Geschäft ist. Wir wußten bloß, wir müssen uns anstrengen, sonst können wir gleich aufhören. Aber ab da wollten wir auch unbedingt eine Platte machen”, rekapituliert Oliver Frohn heute. Kurz entschlossen beteiligten sie sich daraufhin am ersten Gesamtberliner Senats-Rockwettbewerb; eigentlich ohne große Hoffnung, eher, um diese Chance nicht ausgelassen zu haben. Der Preis-Gewinn kam für sie doch ziemlich überraschend, wobei besonders ihr begeisternd-hitziges Konzert voll naiv-natürlichem Charme im HdJT die Jury-Mitglieder in ihrem fremdländischen Bann gezogen haben dürfte. Denn neben Reggae und Ska fließen hier afrikanische, türkische und karibische Rhythmen ineinander.


Alsbald kam es zum Kontakt mit dem Berliner „Zong“-Label, das ihnen für die Produktion ihrer furiosen Debüt-LP alle Freiheiten einräumte. Über World-Music-Kenner Johannes Theurer gerieten sie schließlich an Sabah Habas Mustapha, den in Berlin lebenden Bassisten der 3 Mustapha 3. Mit ihm ritzten sie im Preußenton-Studio ihren Erstling “Kannibalen” ins Vinyl, der sich vor überschäumender Frische und Ausgelassenheit fast selbst schwindlig zu tanzen scheint. Und inzwischen brachte das ausgebuffte Schlitzohr Baresi beim Jübecker Open-Air auch selbst über tausend Fans zu ausgelassener Raserei, natürlich mit dem Baresi-Marsch.

 

R. Galenza    August 1991    TIP-Stadtmagazin Berlin       17/91    S. 146