Die VISION - Zurück in die Konzerte

  

„Das was vor ein paar Jahren Underground-Musik war und überlebt hat, wird immer besser“ (Fan-Brief)

 Wir sitzen in Geyers Zimmer irgendwo in Pankow zwischen Büchern, Gewichten, Platten, Hometrainer, Kassetten, einem Expander und einer Matratze. Der Fernseher läuft ohne Ton, das Tapedeck versprudelt knackige Musik in den Hintergrund – ziemlich ausgeruhte Stimmung. Uwe Geyer ist Sänger und Gitarrist der Band Die Vision. Geyer ist Pop-Star, naja fast. Er ist beliebt, umschwärmt, populär. Manchmal muß er sich durch ein Spalier von Fans zur Bühne wühlen. Geyer ist der Kumpel, die symphatische Identifikationsfigur. Geyer weiß das alles und kann damit sehr natürlich umgehen. Aber Geyer ist nur ein Teil von dieser Vision, weiter dabei: Jörg Müller (b, voc), Sebstian Lange (g, voc), Jan Wenschura (key, voc) und René Radzischewski (dr). Diese Band funktioniert nur als Einheit.

Die Vision ist inzwischen eine der beliebtesten Gruppen hierzulande. Wo immer sie auftauchen, wird es sehr voll, sammeln sich neue Fans. „Was, so tolle Musik gibt es in der DDR?“ kommt oft die erstaunte Frage. Um all dies angestaute Interesse auch in größerem Umfang befriedigen zu können, soll die erste LP der Vision bis Mitte 1990 erscheinen. Rein englischsprachig übrigens, weil für sie der Klang, der Rhythmus und die Melodie der englischen Sprache im Vordergrund stehen.

Die Vision weissensee
Foto: Stefan May
Geyer meint zu ihrer Popularität: „Wenn ich meine Musik mache, und die finden hunderttausend gut, ist es in Ordnung. Dann mache ich aber eben nicht die Musik für die hunderttausend, sondern es bleibt meine, nur die, die ich machen will.“ Geyer hat die Vision, das unbedingt auch mal international auszuprobieren, zu testen. So könnten sie auch die neue Eigenständigkeit des jüngeren DDR-Rocks präsentieren.

In dieser Vision ist alles in Musik eingebettet, dabei sieht Geyer auch seine Gesangsstimme nur als gleichwertiges Instrument. Wichtig: ihre Musik ist das Ergebnis der gesamten Band, jeder bringt seine Ideen ein, auch wenn es unterschiedliche musikalische Geschmäcker gibt. Mittlerweile sind die Ansprüche innerhalb der Band sehr gestiegen, haben sie einen hohen Standard ihres Songmaterials erreicht. Die Texte schreibt Geyer, der durch sein Englischlehrer-Studium über fundierte Kenntnisse verfügt. Ihn faszinieren Themen wie Liebe, Tod und Vergängnis, die er in geschlossenen Geschichten komprimiert.

Natürlich spielt Die Vision viel in kleinen Clubs, hat aber inzwischen auch ein Riesenpublikum erreicht und begeistert, z.B. im Palast der Republik, beim diesjährigen Rocksommer oder gerade im September vor Phillip Boa & The Voodoo Club in der Seelenbinder-Halle vor fast 7000 Leuten! Für die Musiker ist es gerade interessant und wichtig, vor jedem Publikum zu bestehen.Und das ist bei ihnen ziemlich bunt gemischt. „Ich finde Musik, die die Jugend vereint und zusammenbringt, ist doch toll. Uns ist es egal, einer eine Lederjacke oder einen Parka anhat“, denkt Geyer darüber. Dabei geht es ihnen immer um ein wirklich persönliches Verhältnis zu den Fans. So laden sie manchmal Leute, die kilometerweit zum Konzert angereist sind, zum Essen ein, quatschen mit ihnen.

Die Vision fesselt sie alle! Geyer lenkt das Bühnengeschehen, er knetet die vibrierenden Melodien in das federnde Rhythmuspolster. Im Konzert kann man alles: träumen, schweben, fliegen, wippen, tanzen, hopsen, springen. Sie setzen ihre Energie direkt in die Körper um. Die Gitarren sirren und flirren. Brillianter Pop. Gitarren-Pop im positiven, stolzen Sinne. „Die Titel sind für mich immer nur die Hälfte, die andere Hälfte ist das Publikum. Ohne das Publikum wären wir gar nicht bis hierher gekommen“, schildert Geyer.

 die vision geyer

Los ging es für Die Vision Ende 1984, als sie als Koma-Kino gleich für Aufsehen und Belebung sorgten. Bei ihrer ersten Einstufung im Mai 86 wurde ihnen noch vorgehalten, sie spielten „Anti-Musik“!! Was ist das denn? Ein Jahr später benannten sie sich in Die Vision um. Heute arbeiten sie mittlerweile sehr professionell, Geyer kümmert sich fast ausschließlich um die Band, will über alles die volle Kontrolle behalten. Das Publikum hat sie jahrelang mit den britischen Joy Division verglichen, was heute musikalisch längst nicht mehr haltbar ist. Geyer: „Joy Division ist für mich eine Legende, aber man muß sich von diesen Legenden befreien, um eine eigene Identität zu entwickeln.“ Er erklärt: „Denn diese Identittät ist für eine Band entscheidend. Das wirklich Eigene fehlt eben vielen DDR-Rockbands. Die neuen Gruppen haben doch die Leute mit ihren persönlichen Aussagen und Identifikationsangeboten wieder zurück in die Konzerte geholt.“

R. Galenza     Melodie & Rhythmus   Heft 12/1989   S. 8