Sandow - Der 13. Ton

 

„Wir haben noch nie eine Pause gemacht. Wir arbeiten sehr gedrängt, so daß kaum Platz für andere Sachen bleibt“, erklärt Kai-Uwe Kohlschmidt, Sänger und Gitarrist der Band Sandow aus Cottbus. Sandow ist die Band der ehemaligen DDR, die am schnellsten mit ihrer eben erschienen LP „Der 13. Ton“, künstlerisch auf die Geschehnisse des Wendeherbstes reagiert hat. Und einen neuen Partner im Westen gefunden hat. Aber Kohlschmidt wiegelt gleich ab: „Seit die Mauer weg ist, haben wir endlich einfachere Möglichkeiten, eine Platte zu machen, zu touren, ganz normale Sachen halt, die vorher nicht normal waren.“ Aber eigentlich hat sich für unsere Arbeit soviel nicht verändert.“ Verändert haben sich im letzten Jahr allerdings die inneren Befindlichkeiten. Bestes Beispiel ihr Titel „Gegner ich“. Kohlschmidt schildert: „Die Gegner sind uns weggerannt, sie sind also nicht mehr da. Und es war sehr viel einfacher, ein System als Gegner zu haben. Man kann stundenlang auf der Barrikade stehen und schimpfen, Messen dagegen zelebrieren. Aber sobald kein totalitäres System mehr da ist, treten ganz andere Fragen zutage.“

Die bei „Fluxus“, einem neugegründeten Sublabel der Berliner Firma Noise Music, erschiene zweite Sandow-LP ist aber keineswegs eine politische Platte. Ihre Plattenfirma bezeichnet es als deutsche Avantgardemusik. Es ist dichter, schwerer, fiebriger Gitarrenrock, mal reduziert, mal fett und komprimiert aus den Boxen klirrend, in jedem Fall eigenwillig. Kohlschmidt, der alle Texte für Sandow schreibt, sammelt Wortfetzen, die er unablässig notiert, bis sie ein geschlossenes Bild ergeben. Das ist ein ständiger Prozeß, erst wenn sich diese Bruchstücke verdichten, bündelt er sie ganz bewußt in seiner einerseits kargen, klagenden, dann wieder intensiven, wütenden Lyrik. Text: „Sprache ist Käfig/ Sprache ist Netz mit Löchern und Maschen/  fluchtwegweisend.“). Er erklärt: „Die gesellschaftlichen Brüche und Entwicklungen derzeit fließen schon in meine Texte ein, aber nie direkt nachvollziehbar. Ich halte mich von Tagespolitik fern, weil das eine ewig gleich mahlende Mühle ist. Auf der Bühne verkaufen wir jetzt unsere Narben als Wunden.“

Achtet man genauer auf die Inhalte und zieht die Songtitel und Schlagwörter heran, wie etwa Fieber treibt, Rausch, Mania, Gegner, Ich oder Harmonie & Zerstörung, scheint Kohlschmidt ein permanent Getriebener, Bedrängter, Verfolgter und Bedrohter zu sein. Er taumelt in morbidem Schmerz durch seine atemlosen, gehetzten Texte. Scheinbar durchleidet er immer noch die „Stationen einer Sucht“, so der Titel ihrer ersten Platte. Text: „Auf des Messers Rücken rasen/ Schlaf ist Feigheit/ Mein Fieber treibt.“

Nicht ganz ersparen kann man Sandow eine gewisse musikalische und textliche Affinität zu den Einstürzenden Neubauten. Aber Kohlschmidt winkt genervt ab: „Ich halte diesen Vergleich für Oberflächengekratze. Wenn man tiefer schaut, entdeckt man doch zwei sehr verschiedene Dinge. Dieser Vergleich beruht doch lediglich auf dem Dramatisieren der deutschen Sprache, ihrem Rhythmisieren.“

 
    Foto: Charlie Köckritz

Sandow ist ein Stadtteil von Cottbus, einer ehemaligen Bezirksstadt kurz vor der polnischen Grenze. Sandow ist ein beliebiges, austauschbares Wohngebiet mit all seinen Zufälligkeiten und Widersprüchen. Für Kai-Uwe Kohlschmidt und seine Schulfreund Chris Hinze begann 1982 hier alles, sie waren damals gerade 14 Jahre alt. Aus dem Radio schwappte gerade die Neue Deutsche Welle. Die beiden traten als Duo bei Faschings- und Brigadefeiern und in Schülerdiscos auf. Bald zogen sie durch die Clubs der Umgebung, unternahmen Zug- und Fahrradtourneen. Immer auf der Suche nach Eigenem wurden sie schnell bekannt und durften drei Songs für den Amiga-Sampler „die anderen bands“ (1988) beisteuern. Die klangen mit Zeilen wie „In Berlin, in Berlin, da ist die Scene“ allerdings noch sehr fehlfarbig.

Aber Kohlschmidt (voc, g), Chris Hinze (g, voc), Tilman Berg (dr) und Tilman Fürstenau (b) war Rock nie genug, immer suchten sie nach Erweiterung ihres künstlerischen Spektrums. So kam es 1988 zur Aufführung des Musik-Theaterstücks „Aufbruch & Aufruhr“, Musik und Inszenierung von Sandow, das Buch von Kohlschmidt. Allerdings wurden nach drei Aufführungen weitere Auftritte staatlicherseits untersagt, der Band drohte Spielverbot. Im gleichen Jahr entstanden die Aufnahmen mit Sandow für den zweistündigen Dokumentarfilm „flüstern & SCHREIEN“ (mit Feeling B und Silly), der durch seine authentische und unverfälschte Darstellung der DDR-Punk- und Untergrundszene schnell zum Publikumsrenner avancierte.

Gleich nach dem Mauerfall trat Sandow dann bei den Berlin Rock News `89 auf und konnte mit auf die anschließende Siegertour gehen. Anfang 1989  erschien dann endlich die erste Langspielplatte der Band, „Stationen einer Sucht“ beim Staatslabel Amiga. Sandow füllte in der DDR längst größere Hallen und galt als einer der intensivsten Liveacts, war aber im Westen noch weitgehend unbekannt. Auch der Holländer Jor Mulder, der Anfang der achtziger Jahre in der Berliner Band Fou Gorki spielte und seitdem als Produzent bei Noise Music arbeitet, kannte kaum junge DDR-Gruppen. „Ich dachte, laßt uns doch mal einen Ausflug machen. Ich saß in Manchester und den Staaten rum und langweilte mich. Ich hab dann hier nach Bands gesucht, die deutsch singen, weil ich das einfach spannender finde“,  erinnert sich Mulder. Eines Tages stand er dann bei Sandow in der Küche. Heute resümiert er: „Mit Sandow hatte ich auf jeden Fall die bisher spannendsten und lustigsten Monate meiner bisherigen Laufbahn“.

Nun hatte die Band plötzlich die Möglichkeit in einem modern ausgestatteten Studio produzieren zu können, aber Kohlschmidt meint, „wir haben uns so ein großes Studio angesehen, das war wie ein Raumschiff, nichts für uns. Wir wollten einfach weg von den Stätten der Zerstreuung.“ So gingen sie also für die Aufnahmen für die neue Scheibe wieder nach Lengenfeld, einem 3000-Seelen-Kaff tief in Süd-Sachsen, wo sie schon ihre erste Platte eingespielt hatten. Aber Gitarrist Hinze stöhnt: „Um so länger wir da produziert haben, um so komplizierter wurde es. Schon das Hotel war ein einziges Problem, so von wegen Zimmerordnung und Pünktlichkeit. Wir waren in sieben verschiedenen Hotels, es war grauenhaft. Zuletzt haben wir in einem besetzten Haus in Plauen übernachtet.“ Den Gesang haben sie nachträglich in so einer Art Schrank aufgenommen, über den Kohlschmidt anmerkt: „Da paßt man gerade so mit dem Körper rein, da fühlst du dich unheimlich bedrängt und beengt. Da drin staut sich deine Energie enorm.“ Ein Problem für das Label sind die immer noch vorhandenen Vorurteile gegenüber Bands aus dem Osten Deutschlands in den Medien. Manchmal aber nur so lange, bis sie die Platte gehört haben. Denn Sandow zählt wohl heute, neben der Kolossalen Jugend aus Hamburg, zu den innovativsten, jungen deutschen Gruppen.


Sie selbst sind schon wieder weiter, haben die Platte als eine Etappe abgehakt. Im Juni organisierten sie das Trommelspektakel „Ngoma“, bei dem sich über hundert Laientrommler und bekannte Musiker wie Endruh Unruh und F.M. Einheit von den Einstürzenden Neubauten oder Toby Burdon (Ex-Test Department) in einen fulminanten Trommelrausch steigerten. Von Zeit zu Zeit begleitet Sandow den Cottbuser Maler Hans Scheuerecker, der ihrer Platte auch das eklektische Outfit verpaßte, bei seinen exzessiv-virtuosen Mal-Attacken. Gegenwärtig brütet Sandow über der Musik zu einem neuen Theaterstück für das Theater Senftenberg, daß Kohlschmidt gemeinsam mit einem Freund geschrieben hat.

Die Band sieht in all diesen Projekten ihre künstlerische Zukunft. Sie bieten ihnen einfach mehr Freiräume, mehr Möglichkeiten, als die festgelegten Rockstrukturen. All diese Erfahrungen fließen dann zurück und in die Arbeit an neuem Material ein, getreu ihren Zeilen: „Gefahr ist intensiv/ Intensität ist Garantie/ noch zu leben.“ Auf die Frage nach eventuellem Umzug in die lebendigere Musikstadt Berlin bekennt Kohlschmidt lakonisch: „Cottbus ist eine sehr private Stadt, wir kennen uns da alle schon sehr lange. Berlin ist uns viel zu eitel, da hätten wir keinen Atem.“

 

Ronald Galenza,      tip – Berlin Stadmagazin  Heft 21/1990