Die Art - Leiden an Leipzig
Thomas Stephan ahnt schon mit vierzehn Jahren irgendwie, daß er mal Schlagzeug spielen würde. Er hat sich trotzdem keine bunte Trommel gekauft und geübt, sondern gewartet. Christoph Heinemann war mit zwölf großer Hendrix-Bestauner, bekam mit 15 die erste Gitarre geschenkt und hat als erstes gleich einen Verzerrer angebaut. Auch Holger Oley wußte schon lange vorher, daß er eines Tages in einer Band singen würde. Sie wollten nie Fußballer, Philatelist oder Rallyefahrer werden. Thomas Gumprecht übte früh den Blues auf seiner Gitarre. Ihr Herz war schon früh eine Rhythmus-Maschine!
Heute sind die vier Die Art aus Leipzig, vielleicht eine der wichtigsten Bands der zweitgrößten Stadt. Zuerst waren sie einfach Musik-Fans, hörten sich nach Neuem, Interessantem um. Angeregt durch die Leipziger Punkband Wutanfall, griffen sie Ende 1983 dann selbst zu den Instrumenten. Alle samt Autodidakten, sie nannten sich anfangs Die Zucht. Danach der übliche Weg: viele Proben, Orientierung an englischsprachigen Vorbildern, erste eigene Songs. Mit der ersten Einstufung kam der jetzige Name Die Art, erste Erfolge in der Live-Szene, sie wurden so langsam bekannt.
Soweit die frühen Jahre, aber vieles war schwierig. Neben der Euphorie, endlich in einer Band zu spielen, Anerkennung zu finden, gab es diverse Probleme: kaum Auftritte, schlechte technische Ausrüstung, Schulden, die Suche nach einem eigenständigen Konzept, denn das wollten sie von Anfang an. Christoph Heinemann erinnert sich: "Wir haben ja schon relativ zeitig angefangen und hatten so die Chance, wirklich Eigenes zu entwickeln. Auch heutzutage ist ja nicht die Masse der Bands entscheidend, sonder die Qualität. Und durch unsere Konstanz sind wir eben heute ein Garant für volle Clubs." Dabei sehen sie sich in keiner direkten Konkurrenzsituation, sondern sind ständig an anderen, neuen Gruppen interessiert.
Um sich weiter zu entwickeln haben sie versucht, ihren Sound zu variieren; so nahmen sie zeitweilig ein Saxophon dazu, später ein Keyboard. Aber letztlich kamen sie immer wieder auf ihr Grundkonzept zurück: harter, griffiger Gitarren-Rock. Ich sage dazu Aggressiv-Pop! Denn zu der wuchtigen Härte kommt doch immer eine prägende, tragende Melodie dazu, was ihrer Musik ganz eigene, typische Ausstrahlung verschafft. Die meisten musikalischen Ideen bringt Christoph zur Probe mit, wo sie dann abgelehnt oder ausgearbeitet und verfeinert werden. Die Texte kommen alle von Holger "Makarius" Oley. Dabei legte er von Beginn Wert darauf, daß seine teils englischen, teils deutschen Texte keine oberflächlichen oder gar brutalen Parolen beinhalten. Er arbeitet viel mit metaphorischen, oft verschlüsselten Bildern, da spricht der Lyriker in ihm.
Schritt für Schritt spielten sie sich weiter vorwärts. So traten sie 1986 bei dem ersten, mittlerweile legendären "X-Mal! Musik zur Zeit"-Konzert mit Billy Bragg auf, und Jugendradio DT 64 nahm mit der Art die 2. "Parocktikum"-Session 1987 auf. Ein Jahr später spielten sie vor großem Publikum beim Berliner Rocksommer und zuletzt beim diesjährigen FDJ-Pfingstreffen in Berlin. Solche großen Veranstaltungen sind ihnen inzwischen sehr wichtig, da sie sich da ganz auf sich selbst und ihre Instrumente konzentrieren können. So wird man auch schneller bekannt, obwohl "Makarius" Oley meint: "Natürlich ist da auch die Nervosität größer, überzeugen zu wollen und zu müssen. Aber ich habe ja sowieso vor jedem Konzert dieses Kribbeln in der Hose."
Auf dem im Sommer erschienen "Parocktikum"-Sampler ist Die Art mit dem Stück "Sie sagte" vertreten, der wohl ein wirklicher Höhepunkt dieser Scheibe ist. Dadurch werden sie jetzt aber mit einem Bumerang-Effekt konfrontiert. Für sie selbst ist "Sie sagte" einfach alt und lange weg aus ihrer Live-Show. Durch diese Platte ist der Song aber eben erst jetzt sehr populär geworden und wird nun bei ihren Konzerten permanent gewünscht. Sie spielen aber längst neue Titel und so ärgern sie sich etwas über diese medien-gemachten Hits. Sie würden viel lieber aktuelle Stücke auf einer Platte anbieten. Mit den Jahren sind sowieso echte Art-Klassiker gewachsen, wie "Heaven knows", "Irish coffee" und "Chrome". Ähnliches bahnt sich mit den beiden aktuellen Rundfunkproduktionen "Eternal fall" und "Looking for my mind" an, die oft bei DT 64 gewünscht werden und gut im Tagesprogramm laufen. Für mich sind Titel wie "Heaven knows" und "Sie sagte" längst lebendige DDR-Rockgeschichte, die sich allerdings fern ab von "Stop! Rock"entwickelt.
In den Songs der Art kommt einiges zusammen, Lust, Spaß, Konsequenz, und Ehrlichkeit. "Makarius" ist als Sänger dabei der gute Geist, er erzählt, schreit, spricht, treibt verloren im Teppich des Gesamtsounds. Manchmal scheint es, als ziehe seine Stimme in Zeitlupe neben der Musik daher und betrachte sie ganz erstaunt und neugierig - und ist doch ihr Bändiger. Die Konsequenz ihrer Art des Musizierens kommt sehr gültig in "Dancing barefoot", einer Patti Smith-Coverversion, zum Ausdruck. Die spielen sie eben nicht brav nach, sondern erreichen eine eigene leichte, unbeschwerte Variante.
Bei allen Erfolgen war ihnen immer wichtig, sie selbst zu bleiben, nicht abzuheben. Thomas Stephan erklärt: "Ich würde mich ja vor mir selbst ekeln, wenn die eigenen Freunde mich plötzlich überheblich und eingebildet finden würden." Ihnen geht es mehr um die Anerkennung und Akzeptanz der Fans und Freunde. Trotzdem ist es für sich auch eine erstaunliche Erfahrung, nach den Konzerten bewundert und um Autogramme gebeten zu werden.
Für die Band war es lange ein Problem, aus Leipzig zu kommen. Einer Stadt mit großer Rock-Tradition, wo es allerdings heute nicht mehr allzu viele prägende Bands gibt. Jetzt haben sie aber die "Sonderstufe mit Konzertberechtigung" erreicht und wollen ins Profilager wechseln. Die Belastungen mit Familie samt Arbeit beeinträchtigen das Musikmachen doch erheblich. Und Leipzig wollen sie die Treue halten, Christoph resümiert: "In Leipzig kannst du einfach ruhiger und konzentrierter arbeiten, weil es nicht soviele Ablenkungen und Verlockungen gibt." "Makarius ergänzt gleich: "Wir haben bei Auftritten in Berlin immer ganz gut ausgesehen, aber im Süden ist es doch anders, einfach inniger. Hier wirst du mehr geliebt als in Berlin."
Ronald Galenza Melodie & Rhythmus 10/1989