Die Inchtabokatables wecken längst vergessene Geister


Am Anfang war der Tomatenfisch! Durch abgelegene Dorfspelunken und zwielichtige Kaschemen zog ein seltsamer Troß von mittelalterlich anmutenden Musikanten. Für einen anständigen Tropfen zückten diese wild ausschauenden Wandersleut ihre Saiteninstrumente und versetzten  ganze Landstriche in trunkenen Taumel und lösten mit Anbruch der neunziger
Jahre die sich hektisch steigernde Inchtomanie aus.


Die Inchtabokatables haben die Elbauen und Rheintäler so im Sturm erobert und dies vor allem durch ihre brisante, gitarrenlose Mischung aus Rock-Rohheit, Mittelalter-Melancholie und schnoddrigem Punk. Besonders live vereinen sie die alten Zottelbärte mit den jungen lederbewehrten Springinsfeld's. Dies erkannte auch New Model Army Sänger Justin Sullivan,

der die fünf Berliner über The Levellers, als deren Support die Saiten-Virtuosen begeisterten, schätzen lernte. Er lud die Inchis für vier Wochen in sein Londoner Haus ein, um mit ihnen das dritte Album zu produzieren. Auf "Ultra" stampfen und hotten wieder die entfesselten Teufelsgeiger, breitet sich die Schwermut der nächtlichen Feuer mittelalterlicher Jahrmärkte aus und selbst Walter von der Vogelweide klagt seine traurige Litanei. Die Inchis sind aber

weit davon entfernt, in feudaler Entrücktheit zu versinken; wie schon zuvor in "Hoywoi", wo sie den deutschen Rassismus anprangern, geißeln sie nun im "Kinderlied" die bosnische Kriegsgreul aus der Sicht der unschuldigen Kriegskinder.


Verwandelten die derben Jungs schon vor Jahresfrist das Metropol in eine magische Kultstätte, werden sie die Weißenseer Freilichtbühne in einen pulsierenden, tanzenden Kessel voller Schellenkönige, freudetrunkener Maids und haltloser Glücksritter verwandeln.                                             

R. Galenza    TIP Berlin-Stadtmagazin   “in concert”     Heft 20/1994,   S. 180