Zehn Yahre Kitty Yo Party

19.11.2004 - Volksbühne Berlin

Es war einmal: ein gewisser Raik Hoelzel, der arbeitete Anfang der neunziger in einem kleinen Second-Hand Buchladen in Berlin. Parallel dazu war er Hobby-Funker und betrieb eine kleine Musiksendung im Offenen Kanal. Eines Tages traf er auf eine Band namens Surrogat und deren Konzert haute den so um, das er die Jungs nicht nur in seine Radioshow einlud, nein, er investierte auch Gespartes um mit Surrogat eine Single rausbringen zu können. Das klappte und gemeinsam mit dem größenwahnsinnigen Patrick Wagner gründeten die beiden Kitty Yo. Raik rannte dann eine Weile in schmucken Anzügen rum und sah interessant aus. Patrick drehte weiter schwer an der Uhr. Das machte Sinn, denn kaum ein Plattenlabel ist so eng mit der kreativen Aufbruchstimmung im Berlin der neunziger Jahre verbunden wie Kitty-Yo.

Das war mehr oder weniger die Geburtsstunde der Berliner Musiklabels Kitty Yo. Das ist jetzt zehnJahre her und Kitty Yo feiert 10. Geburtstag! Nicht nur Surrogat oder Kerosin erschienen auf Kitty Yo. Auch To Rococo Rot, Tarwarter, Gonzales, Peaches, der Salonlöwe Louie Austen, Maximilian Hecker, Taylor Savvy, Rechenzentrum, Kante oder Sex in Dallas. Zum großen Jubiläumsfest hat Labelbetreiber Raik Hölzel alte Weggefährten und neue Hoffnungsträger in die Volksbühne eingeladen. Patrick Wagner ist derweil dem bürgerlichen Familienleben aufgesessen. Kommet herbei und strömet zuhauf! Die Berliner Volksbühne, das paßte: Großer Saal, Roter Salon, Grüner Salon, die Wandelgänge zum Posen und Quatschen, es wurde voll und voller. Die aufgeklärten Chicks und Nerds strömten herbei. Kotletten kommen wieder, schicke Kleider zur Electronic und natürlich die obligatorischen, bunten Trainingsjacken. Auch Bier bleibt in Mode und in Massenhaft.

hecker.jpgMaximilian Hecker füllte den Roten Salon ganz allein aus. Diesmal in schlichtem Hemd allein am Keyboard wirkte er mit seinen geschlossenen Augen und der leisen Stimme fast wie ein Laien-Prediger, der sanft seine Botschaft verkündete: Liebe & Pop. Famos! Dann sofort weiter zu Tarwater in den Großen Saal. Diese Wärme, diese Güte der Musik. Die Größe dieser Bilder. Beeindruckend. Ronal Lippok bearbeitet konzentriert die Elektronik, Bernd Jestram liebkost seinen Baß. Der Bildermann entwarf Projektionen aus Maschinenhallen, liebreizenden Asiatinnen, abstrakten Mustern und wunderschönen tanzenden Frauen. Grandios. Das tat so gut. Aber es hieß Abschied nehmen. Lippok bedankte sich bei Kitty Yo für neun Jahre gute Zusammenarbeit, er sagte: "Ihr wißt, wer ihr seid". Ganz zum Schluß legten sie den Song "Daddy you fool to cry", im Original von den Rolling Stones, auf, welch eine Anspielung. Denn Tarwater wechseln von ihrer alten Homebase zu Morr Music. Und da gibt es wohl Trennungsschmerz, wie nach allen guten Beziehungen. Ich besuchte die Jungs flugs Backstage, sie meinten nur kurz: "Laß uns die Stecker ziehen und abhauen!"

Zurück ins Getümmel. Christoph Gurk, Musik-Head der Volksbühne, wird auch älter und kleidet sich nachlässig. Ein aufgeregter Brite, von denen waren auffallend viele da, verlangte lauthals sein Geld zurück, weil die ganze Show erste eine halbe Stunde später angefangen habe. Das löste zumindest Verwunderung aus. Er wurde aufdringlich und fragte energisch nach, mit wem er darüber sprechen kann. Ich riet ihm: mit Gott. Er schaute erschrocken und gab auf. Kuttner tauchte mit Thomas Meinecke auf. Meinecke wollten sie erst nicht reinlassen, hoppla. Also unterhielten wir uns über die Anfänge. Seine Band, die Freiwillige Selbstkontrolle, war die erste Westband, die sofort nach dem Mauerfall zu unserer Independent-Reihe "X-Mal! Musik zur Zeit" in Berlin-Treptow spielten. Nachts zogen wir dann noch gemeinsam durch das glühende Ostberlin, durch all die illegalen Kneipen und räudigen Schuppen des Aufbruchs und der Verwirrung. Ein guter Abend. Gleich darauf lud ich Thomas Meinecke in meine Sendung auf DT 64 ein, er war für zwei Stunden mein aller erster Live-Gast. Wir haben uns gut unterhalten und abstruse Musik aufgelegt. Wir gedachten nun gemeinsam dem einzigartigen John Peel, der die Freiwillige Selbstkontrolle immer sehr verehrt und gefördert hat. FSK waren gerade im Studio in London, also sie von Peels Tod überrascht wurden. So haben sie also die allerletzte "John Peel Session" aufgenommen. Kuttner und Meinecke verabredeten sich in München; Kuttner in Sachen Niebelungen, Meinecke als Kardinal Ratzinger. Welch ein Hauptspaß.

tarw-live.jpgIm großen Saal wirkten Supersoul und Spyritual etwas matt verloren. Teil der Kitty Yo-Geschichte ist natürlich auch der fantastisch-charmante Anzugträger Louie Austen. Der sang im Grünen Salon tapfer in sein Mikro zu hektischen Projektionen gegen das anschwellende Party-Gemurmel an. Im Roten Salon überzeugten die zwei streng gekleideten Damen durch herben, abwechselnden Singsang. Mit Labelchef Raik im Schnelldurchgang Vergangenes und das Heute besprochen, den und die getroffen. Ein herrliches Gewirr, die ersten Ausfälle lagerten in den Gängen. Auf den Toiletten konnte man fremde Gerüche inhallieren. Alles war voll und in Bewegung. Die Gänge waren voller als die Säle. Im Grünen Salon bat Richard Davis zum Querfeldeintanz. Die Party-Animals Peaches, Gonzales und das Jeans Team waren komischerweise gar nicht angetreten und fehlten offenkundig.

Auch ich mußte irgendwann weiter. Draußen war es kalt, klar und gut. Frische Sterne. Grüne Uniformen rannten sportlichen, jungen Türken hinterher. Touristen standen ratlos vor ihren Landkarten und wußten nicht mehr wohin. Die obligatorischen Biertrinker waren auf dem Weg zu sich selbst. Es strahlte ein Rabbit Moon und auch sieben verschiedenen Frequenzen summen in mir zehn gute Jahre. Dies und Das und Danke!

Ronald Galenza 20. November 2004