The Enemy – The Spirit of Coventry
5.09.2007 – Fritz-Studios Potsdam
Coventry City war mal ein leidlich dufter Verein in der 1. englischen Liga. Gegründet schon 1883, besiegte man Tottenham 1987 mit 3:2 im FA-Cup. An die sehr speziellen Beziehungen zwischen Dresden und Coventry werden sich die Jüngeren unter uns sicherlich nicht mehr erinnern. Das war ne schwere Zeit. Nun war also das neue, junge Coventry zu Gast. Und das konnte ich nicht glauben. Obwohl ich es mit eigenen Augen sah.
Drei spillrige Neunzehnjährige, die mit ihrem rasantem Debüt die britischen Charts bis auf Platz One gerockt haben. Unglaublich, diese Briten, köstlich. Denn da lungerten drei ausgezehrte Kinder backstage rum. Ich fragte noch, wann denn die richtige Band kommen würde? Der Sänger, Tom Clarke, ist nicht höher als 1,40 Meter und wirkt wie ein schüchterner 14jähriger. Wie sollte der denn singen?? Auch die anderen Jungs, schmächtig und blaß, ließen auf ein unfrohes Leben im heutigen Coventry schließen. Bestimmt haben die in der Schule nur auf die Fresse bekommen. Aber die Kleinen und Dünnen müssen sich ja immer doppelt wehren, als hätten sie Ausreden in den Taschen und Schiß vor allem Größerem.
Aber schon beim Soundcheck ist dieser kleine Mann explodiert und hat das die umstehenden Wälder zusammen gebrüllt. Unfaßbar! Es war wirklich laut, exorbitant, lauter waren an gleicher Stelle vielleicht nur Garbage und Green Day, aber der wollte es wirklich wissen.
Vielleicht müssen die kleinen Jungs ja immer irgendwie besser sein als alle anderen, aber er hat daran geglaubt. Der Typ hat eine Mission und er weiß das. Soviel Leidenschaft und Mut.
Alles anders, als ich kurz vorm Live-Set eine Etage über ihnen aus einem schalen Fenster in den nahenden Abend paffte. Da balgten drei kleine Jungs unten rum, als hätten sie noch alles vor sich. Clarke saß im roten Coventry-Shirt auf einer morschen Bank mit einer Akustik-Gitarre und probierte selbst versunken neue Songs für sich aus. So gar nicht selfish. Kein Zweifeln.
Naja, dann mußten sie wohl. Aber niemand hat die drei wirklich gesehen. Denn jeder, wirklich alle, im Publikum war höher als sie. Wir standen alle ebenerdig, zwei Meter von einander entfernt. Was da aber aus den Boxen wummerte war Leidenschaft pur. Zwei Gitarren und ein fettes Schlagwerk fingen uneinfangbar an, ihr Leben raus zu schreien. Mehr Authenzität geht wohl nicht. Tuff durchgeprügelte Lebenserfahrungen mit 19. Das hat mich mitgenommen und berührt. Da schrie ein Milchgesicht, oder soll ich sagen, Männchen, um sein kurzes Leben oder seine wenigen Erfahrungen. Wo haust dessen voluminöse Stimme, seine krachende Seele? Unglaublich. Als bliebe kein Licht mehr im Raum für andere. Und ich sah ne Menge Bands in all der Zeit… Keine Pausen zwischen den Tracks, kein Gelaber, alles straight durchgeprügelt.
Und doch wurden mir in all der mittanzenden Hitze irgendwann die Haare kalt. Die englischen Music-Weeklys hatten die Jungs sofort in der Oasis-Schublade weggeparkt. Und in so einer Schublade überleben nur die wenigsten. Dabei meinen die Schreiber nur den frühen Erfolg just like Oasis. Denn The Enemy, sorry an alle jüngeren Nachgeborenen, klingen doll nach The Jam. Die frühere Band von Paul Weller, falls den noch irgendjemand kennt? Wichtiger Mann, tolle Musik & Band dereinst. Blöderweise tragen The Enemy auch gleich noch die identischen Frisuren von The Jam von damals heute. Sicher davon ausgehend, das die heute sowie kein Lebender noch kennt. Hm, ein paar Ältere waren leider doch noch im Publikum. Aber was solls? Irgendwie muß es ja auch weitergehen und anfangen muß die Jugend von heute ja auch irgendwie. Ihre Debüt-Scheibe ist ein frischer Blick zurück in die Vergangenheit des Old School Brit-Pop, sehr zeitlos.
Nach glatt einer halben Stunde war das kickende Geböller vorbei. Denn mehr Songs haben die eben noch nicht. Die gute alte Idee von Punk und Rock’n’Roll. Wozu sollten sie auch vergorene Klassiker aus den heimischen Pubs geben. Ich konnte endlich mal wieder Haltung erkennen. Zuletzt gesehen bei The Jesus & Mary Chain im überfüllten „Metropol“ mit weit mehr Krachern im Gepäck. Aber nach 35 Minuten Feedback sind die einfach von der Bühne abgehauen und wurden auch nie wieder gesehen. Alle waren entsetzt. Aber so funktioniert Geschichte! Als bei The Enemy noch alle um nie gegebene Zugaben barmten, saßen die Kickin’ assholes längst über zehn Kartons Pizza. Ihr Catering hatten sie zuvor ans Auditorium verteilen lassen.
Großer Sport aus Coventry! Eine alte Ahnung von Rock umwehte meine wissende Erfahrung. Toller Abend! Draußen, nachher, wurde noch wild diskutiert. Unter einem lichtvollem, organgenem Himmel, der letzten Sommer verhieß. Eine Ahnung von Coventry Garden.
Tracklist von The Enemy:
40 days
Away from here
Don’t shed a tear
Had enough
Pressure
Techno
Aggro
It’s not ok
Live & Die
Not alone
R. Galenza, 6.9.2007