Iggy Pop & The Stooges - I wanna be your dog
Berlin, Columbiahalle - 28.Juni 2004
Shock & Awe! Halleluja, Gott ist herab gestiegen und ließ die Erde erzittern. Welch ein perverses Vergnügen! Iggy Pop war in der Stadt und hat es allen nochmal gezeigt. Eine Offenbarung ohne Erbarmen. Ja, ja, die Alten - so altert man in Würde und Wut. "Stooges!" brüllt Iggy Pop in die Arena, der drahtige Sänger mit dem strähnigen Blondhaar erscheint fast wie das berühmte Coverfoto des Stooges-Albums "Raw Power". Gut 30 Jahre nach dessen Veröffentlichung steht die Band, die zwar nicht zu den erfolgreichen, jedoch zu den einflußreichsten der Rockgeschichte zählt, wieder gemeinsam auf der Bühne. Seinerzeit haben sich allerdings nicht Tausende um die Tickets gerissen hätten. Das Geschiebe an den Bierständen endet abrupt, alles drängt in die Mitte. Und da stand auf einmal eine enge, blaue Jeans auf der Bühne und er: der härteste, der verwundetste, und der gestählteste Torso des Rock: Iggy Pop als skelettiete Rock'n'Roll-Ikone.
"I'm a dead rockstar!", grunzt Iggy Pop über die harschen, krachigen Rhythmen seiner Band und schnauft: "Nothing lasts forever" - selbstironische Parolen, die auf seinem jüngsten Album zu finden sind, jedoch ebenso gut aus Zeiten alter Nummern. Rebellensätze, die er mit primatenhaften Getrommel auf den Brustkorb garniert und zu denen er ein paar Meter im Vogel-Strauß-Gang herumstolziert - und dabei das berühmteste männliche Hohlkreuz der Popgeschichte zur Schau stellt. Danach ein Sprung ins Bühnenzentrum: in Jesus-Pose mit hängendem Kopf, danach abruptes, beidhändiges Zucken und Winken. Als "big gigantic cock show" sieht Pop eine Rockperformance laut seinem gerade mit Peaches aufgenommenen Song "Rockshow".
Viele beziehen sich heute auf die Stooges: den harten, primitiv auf ein, zwei Akkorden herumreitenden Bluespunk, den Newcomer wie die White Stripes oder Von Bondies vor einigen Jahren wieder entdeckt haben; aufs Skelett geschälter Rock'n'Roll, der derzeit so hip ist wie die Stooges es während ihrer kurzen Laufbahn zwischen 1967 und 1973 nie waren. Während Iggy sich mit Blut und Katzenfutter beschmierte, sich in Glasscherben wälzte und ins Publikum kotzte, spielten Dave Alexander und die Gebrüder Ron und Scott Asheton ungerührt ihren primitiven, sich selbst und die Menschheit auf herrlichste Weise verachtenden Rock. Doch die Band löste sich 1973 nach nur drei Platten auf: kein kommerzieller Erfolg, körperliche Leiden dank Heroinkonsums. Nun aber sind sie eindrucksvoll zurück. Und da der moderne Garage-Hype ausgerechnet in ihrer Heimat, der Motorcity Detroit, blüht, liegt eine Stooges-Wiedervereinigung durchaus nahe; zumal sie mitten in eine mittlere Schwemme von Reunionen alter Punk- und Rocklegenden fällt - der Pixies, von Television oder sogar der Detroiter MC 5, als deren Vorgruppe die Stooges einst anfingen. Doch ganz so selbstverständlich ist dieses Revival auch wieder nicht. Zumindest Iggy Pop hat es nie nötig gehabt, auf vergangene Erfolge zurückzugreifen.
Ron Asheton, der ein wenig wie ein Verwandter Michael Moores aussieht, drückt sich am Rand herum und spielt seine verblüffend zeitgemäße, bluesige Noise-Gitarre. Vielleicht ist es die heimliche Eitelkeit des Gitarristen, warum die wiedererstandenen Stooges ausschließlich Stücke aus ihren ersten beiden Alben darbieten und den Meilenstein "Raw Powe"" weg lassen. Im Hintergrund verbirgt sich Scott Asheton im Schatten dunkler Sonnenbrillengläser und drischt ungnädig seinen grimmigen, fiesen Beat nach vorn. Neuzugang Mike Watt mit Detroit-Zuhälterbärtchen, als einstiger Kopf der Minutemen und Firehose selbst Alternative-Rock-Veteran, steuert böse, schwarze Bässe bei und fügt sich so professionell ins Klangbild - ohne dem hoch effektiven Stooges-Primitivismus auch nur einen Hauch an Zier hinzuzufügen. Stumpf, laut, energetisch und stoisch wummerten die ihre Mission ins willige, begeisterte Volk.
Und Iggy ist ihr Schmerzensmann. Nur mit der immer tiefer gehängten Jens bekleidet rast, robbt und rutscht er unablässig über die Bühne, klettert auf Verstärkertürme und stürzt mit diesen zu Boden, bedroht seine Mitmusiker mit Schattenboxhieben und reckt den enthemmten Hörern seinen Körper entgegen. Seinen herrlichen, austrainierten Körper - "Ja, ich schwöre auf eine strenge Diät aus Makrobiotik und Heroin!" - ist vollkommen unglaublich für einen 56jährigen. Jede Zerstörung hat sich wie eine Kerbe in diesen unzerstörbaren Torso gefurcht. Er ist durch das Stahlbad des No Fun gegangen, in der elementaren Esse der Selbstverschwendung gehärtet, im Moment des Untergangs stets wieder auferstanden, immer wieder und wieder aus den Ruinen der Sucht entkommen. Sein Body ist mit Narben übersät, der Bauch wie ein Relief aus Nadeleinstichen und Workout-Schindereien geformt. Zum Glück hat er all das dann doch überlebt!
Einfach unfaßbar, wie dieser geile alte Sack über die Bühne tobt und wütet. Nach 30 Minuten hatte Iggy Pop das komplette Programm des wilden Rockers und Bürgerschrecks mustergültig abgefeuert: eine Boxenwand umgeworfen, per Kopfsprung ins schweißnasse Publikum gehechtet, ein Dutzend ausgerastete Fans zum gemeinsamen Pogo-Tanzen auf die Bühne geholt, eine Hand voll Songs ausgespuckt. Und die Meute da unten ist immer noch dankbar, sie schreit und zuckt ihrem Helden noch immer entgegen, sie trägt ihn auf den Händen durch den Saal, berührt andächtig seinem Körper, liebkost die schartigen Narben und alles, was sich unter der immer weiter herabrutschenden Hose enthüllt.
Während des nur 70 Minuten langen Tornados in der Columbiahalle springt Iggy Pop wie elektrisch geladen umher, schleudert unvermittelt sein Mikrofon ins Weite, macht Dauerlauf entlang der Rampe. Was Fragen nach Angemessenheit oder Peinlichkeit betrifft, ist Pop über jegliche Zweifel erhaben - ist er doch längst zur Ikone eines würdig alternden Rock'n'Roll geworden, wie außer ihm vielleicht nur Keith Richards oder Johnny Cash. Der als James Osterberg geborene "Urvater des Punk" Iggy Pop hat schon damals mit den Stooges-Alben wie "Fun House" (1971) oder "Raw Power" (1973) die Energie des Punkrock vorweg genommen. Das hier war kompromißloser Punk, primitiver Blues, Garagenrock, teilweise gar Heavy Metal - musikalische Schönheitspreise werden woanders vergeben. Bei "I wanna be your dog" und "No fun" erreichte die Stimmung ihren Höhepunkt, alles sprang und schrie wie in Raserei und Ekstase wild durch die Halle, Bier und Schweiß flossen in Strömen. Eine endlose und doch viel zu kurze Stunde hatten Iggy und seine Stooges die Geschichte und die Zeit angehalten. Mehr geht nicht.
Ronald Galenza 1.7.2004