Deutsch Amerikanische Freundschaft
Tanz den Kommunismus oder: Valentina Tereschkowa, die RAF und Mussolini
Die Bühne streng in Rotlicht getaucht, was sie ´91 schon in „Rote Lippen“ proklamiert hatten. Schwarzes Leder auf der Bühne und davor. Die Fans wußten schon um ihren alten Gassenhauer „Was trägst du heute nacht?“. Militante Toleranz. Und dann wurde eben los gebolzt. Mittellaut und schnell. Klare Baßpumpen, peitschender Rhythmus, hektischer Beat von der Drum. Schon als dritte Wumme gaben DAF „Der Mussolini“ und jetzt kam Bewegung in die Schwungmasse. Textsicher wurde mitgejohlt. Den Hitler haben sie etwas zusammen gestrichen, dafür wurde heute Benito Mussolino gehuldigt. Bei „Und jetzt den Kommunismus!“, waren die ersten Fäuste der Entrechteten zu sehen. Da war er wieder, der kalte, alte Krieg. Das verblichene, graue West-Berlin der Frühachtziger. Sie meißelten erbarmungslos reduziert ihren neuen Tracks „Der Sheriff“ und „Kinderzimmer“ im immergleichen, gnadenlosen Rhythmus durch. Ging es DAF um „Absolute Körperkontrolle“? Dabei verloren aber eben jene frühgenialen Muskel-Schäumer an Energie und Intensität. Bei neuen Songs wie „Rock hoch“ wurde man bei Zeilen wie „Zieh den Rock hoch, denn ich seh alles“ unfreiwillig an Rammstein-Lyrik erinnert, obwohl DAF lange vor denen so konsequent provokant waren. Aber gerade zu „Rock hoch“ sangen und tanzten die eher wenigen Mädchen begeistert und textsicher mit. Kinder, als DAF auftauchten, gab es nicht mal die Ahnung von Techno. DAF waren böse, schlimm, laut und provokant. Kein Rockerscheiß, keine NdW-Lügen, keinerlei Tradition. England und Japan flippten aus vor Begeisterung bei dieser neuen deutschen Härte! Es war authentisch, neu und fühlbar anders. DAF roch nach Leder, anderem Sex und Brutalität. „Nimm dir was du willst!“ skandierten sie zu schockierenden, hämmernden analogen Sequenzern und quirlten jede Konvention der Achtziger durch ihre orgiastischen Orgeleien. Es ging um Tabubruch und jeder wollte plötzlich „schön und jung und stark“ sein.
(Berlin, Columbiahalle - 7. April 2003)
Beweg deine Hüften! Erstmal war das die Gala der Glatzen. Überraschend viele sehr konsequent rasierte junge Männer. Keine Skinheads oder Neo-Nazis, aber tuffe, straighte Typen ganz in agressivem Schwarz. Dazu die in die Jahre gekommenen Fans der Neuen Deutschen Welle und die härteren Jungs aus der Schwulenszene. Jedes Magazin der Stadt avancierte 20 Uhr als Beginn der Rückkehr der Achtziger Elektro-Ikonen. Nun ja, das hat leider nicht hingehauen. Ein anonymer DJ Vinyl erfreute die wartende Meute mit gut abgehangenem Punkrock Die harten Burschen unten wurden langsam übellaunig. 75 Minuten später ging es dann doch noch los. Sowas nervt!
„Die Wirklichkeit kommt, wir fühlen uns so seltsam.“ Um was ging es hier? War das nun Druckbetankung, „Alle gegen Alle“ oder nur „Alles ist gut“? Aber die ungefähr 1000 Leute hatten Eintritt bezahlt und man weiß ja nie: „Als wär's das letzte Mal.“ DAF waren sehr lange weg, immerhin über 17 Jahre, niemand konnte wissen, ob sie je zurück kommen würden. Delgado hatte schon Jahre davor als DAF Dos versucht, vom alten Ruhm zu zehren. Robert Görl hatte sich lange geweigert, DAF wieder zu beleben. Aber im Zuge der Wiederauferstehung der Achtziger und im Sog des Buches „Verschwende deine Jugend“, sind DAF nun wieder mit neuer Platte und Konzerten zurück
DAF waren einst neu, wichtig und innovativ. Von EBM über Industrial bis hin zu Rammstein haben sie mit ihrer Wut, Konsequenz und Kälte jeden beeindruckt, der auffallen wollten. Es ging um Cool-Sein, Härte und Kompromißlosigkeit. Und das hin bis zu körperlichen Quittungen und fatalen Irrtümern. Aber das macht Kunst & Auffallen eben immer schon aus. Kompromisse macht ja eh schon jeder.
Live legte das Duo Robert Görl und Gabi Delgado-Lopez mit „Salto“ los, einem Track ihrer 1991'er Platte „Alles ist gut“. Komischerweise riß sich Delgado schon beim ersten Song das Hemd auf und begann wild mit Wasser um sich zu spritzen. Einst verachtete er Rock-Angeber-Posen. Er arbeitete mit theatralischen und hochtrabenden Gesten, die man von vielen berüchtigten Diktatoren des 20. Jahrhunderts kennt. Görl stand kaum wahrnehmbar und scheinbar teilnahmslos hinter seinen militanten Sequenzern und Sound-Maschinen. „Ich bin tot“? Zum Glück hatten sie einen Live Trommler dabei, der die sehr schnellen, harten Electronic-Beats kundig aufwertete.
Über der roten Bühne drehten sich fünf weiße Planen, auf die wahlweise die Slogans der Tracks geworfen wurden: „Wir brauchen mehr Geld für die 1. Welt“, „RAF“ oder „Lüge ist Wahrheit“ und immer so weiter. DAF wechselten von alten zu neuen Tracks, was man, außer man ist Auskenner oder Forscher, klanglich kaum bemerkte. Denn sie bolzten ihre 30 Lieder ohne jede Differenzierung durch. Was auf ihrem neuen Album „15 neue DAF-Lieder“ durchaus verschieden klingt, ebenso wie auf den frühren Platten, wurde hier hundsgemein und ebenbürtig gleich. Variationsarm und auf penetrierende Wiederholungen. „Egal was du trägst“, neu oder alt, schnell oder langsam, wurden diesen Abend vollkommen ununterscheidbar. Reduktion, Baby! Ärgerlich, denn das klang nicht nur ermüdend gleich und ähnlich, sondern wurde konsequent hart durchgebumst. „Gebt uns Spielzeug“! Variationen entstanden lediglich durch Delgados Sprech-Gesang-Rufen. So im fast homoerotischen „Der Räuber und der Prinz“.
Heutzutage nennt sich das Elektroclash. Oder soeben umdefiniert vom analogen Old Schooler Westbam in Elektro-Pogo. Darum könnte es gehen. „Solange du noch jung bist, nimm dir was du willst“. So hätte es auch bei DAF 2003 gehen können. Aber interessanterweise funktionierte das nur noch bei den alten Smash-Hits. Die ersten zuckenden Leiber generierten sie beim „Mussolini“, aber bei „Verschwende deine Jugend“ wuchtete der regionale Pogo im Publikum los. Tanzende Inseln! Jetzt konnten endlich die 24 Euro Eintritt abgetanzt werden. „Wollt ihr, das die Erde sich bewegt, euch gehört?“ schmettert Delgado wissend dazu. Der Fluch jeden Remakes: die Originale sind ehrlicher, schöner und verankerter als jede Neuauflage. So bleibt für DAF nach ihrem Comeback ihre einst selbstformulierte Frage nach „Ich und die Wirklichkeit“.
Ein interessanter Abend in all seiner Zerrissenheit. Die versuchte Auferstehung des Elektro-Punk. Die Achtziger Jahre-Ikonen kommen nach Techno zurück. Ist Technoland längst abgebrannt? Es gab Botschaften, aber keine Antworten. Görl und Delgado zauberten einst eher ungewollt die Schlagzeile der achtziger Jahre aus ihrem überhitztem Delirium: „Verschwende deine Jugend!“ Das bleibt für immer. Eine Erfahrung dieses Abends könnte allerdings für sie sein: alte Tabubrüche funktionieren heute nicht mehr, denn „Kinder sind grausam“.
Electric Galenza, 7. April 2003