Coldplay - In My Place

 

(Berlin, Arena – 20.11.2002)

 

 

Knallweißes Licht von vorn, Stroboskop-Gewitter! Ein sehr blaues Blau von oben. Ein Ufo kam nieder. „Don’t panic!” Das schepperte grantig los und hieß “Politik”. Das Blau wurde samtiger, breiter. Wärmer. „We life in a beautiful world”. Coldplay sind in der Stadt! Im Busbahnhof. Chris Martin spricht den gesamten Abend konsequent radebrechend, sympathisch deutsch. Und hat den Laden von Anfang an im Griff, denn die Leute sind bereit und willig, sich zu ergeben, den Alltag zu verachten. Denn heute abend passierts! Die Fans kommen von weit: Erfurt, Döbeln, Polen, Saxonia, vom Meer und überall her. Eine Fernfahrt in die Gefühle, die sich lohnen. „Everything’s not lost“.

Und dann Stalin-orgelte das unbarmherzig los. Die komplette Rock-Show, die große Palette! Imposantes Licht, alle Farben allerorten, Coldplay schmissen die Sehnsuchts-Gitarren an, rockten konsequent das Depot, delierten im Soundgewitter. Große Bühne für eloquentes Phatos! Zuviele Festivals gespielt? Und jetzt noch Gwyneth Palthrow als Mastermind. Das hatte Schmiß! „Shine for you“ – es wurde wahrlich Yellow. Und dann gab’s Dresche, fürs Schlagzeug. Das Volk begann auszuticken. Komplett und herzhaft. Vom rabiaten Schunkeln, verloren-verliebten Verzweifeln bis zum selbstvergessenen Hüfttanz - „all the things we have done“. Vergiß den Trouble! Dazu zaubert der da oben selbstvergessen an seinem Klimper-Piano.

Kann Gegend singen? Machen bestimmte Landstriche besonders einsam? Wer prägt wen? Und wie? Vier unscheinbare Typen aus Schottland, Wales, Devon und Southhampton werden, warum auch immer, eine gnadenlos gute Combo. Die saufen da drüben ja wegen dem schlechten Wetter immer soviel. Und machen daraus: Song-Magie, Überlebenswillen, desolate Versagensängste, unerfüllte Melancholie, unbegründete Euphorie. Und aus allem: bitter-süßen Pop!



Colplay inszenieren die berechenbarste Lightshow zwischen Las Vegas und Konzert-Alltag. Es funktioniert trotzdem, ebenso berechenbar wie immerwährend funktionieren ihre Song-Zeilen: „Everthings find love“,  „Who long must I wait for you?“
„Take me back to the stars“ und so. Sind das die Fährnisse des Lebens? Jetzt wird wild entschlossen mitgebrüllt, hemmungslos zurück gefightet! Klatschen ohne Erbarmen, Mitsinge auf Bestellung. So what, alle sind glücklich dabei. Entzückte Gesichter, Glückseeligkeit everywhere. Dazu brettert immer wieder seelenwund die Lead-Gitarre, die jeden imaginären Schmerz erhört. „I was scared“ zelebriert Chris Martin; windet, schluchzt, schreit, wälzt sich und soult dabei. Durchaus sympathisch, denn man kann sehen, daß er sichtlich Spaß daran hat zu leiden. Bloß nicht zu Bonoesk! Aber ebenso rumzutoben, auszuflippen. Im irischen Kneipentanz-Step hottet er über die Bühne und muß sich selbst wieder einfangen. „Is good as mine“ kräht er dazu. Irgendwie sympathisch der Kerl.

Auf einmal schrammelt Martin auf seiner Akustischen los und nölt in köstlichstem Deutsch: „Du hast, du hast“ und erklärt, daß haben wohl Rammstein geschrieben. Einige der Ramm-Jungs sind auch im Pulk. Das Auditorium rast zwischen Verwirrung und Begeisterung. Von Stadionrock bis zur herzerweichenden Ballade wurde in 100 Minuten Netto-Spielzeit alles geboten. Vor der ersten Zugabe drückten sie der Masse Schlagernebel rein, um anschließend mit Laser auf sie zu schießen. Jetzt erst wickelten Coldplay ihre ganz großen Oden aus, es wurde gemeinsam gebarmt und gelitten. Großes Theater! Intensive Momente, Herzblut galore, Offenbarungseide zuhauf. „Running in circles“

Coldplay rockten nicht nur einen Busbahnhof, sondern 7000 Seelen. Glückliche Gesichter fuhren in ihren Alltag davon - „Nobody sad, it was easy“. Soviel Hoffnung, soviel Kraft aus Musik. Das sag ich nur einmal im Jahr: Konzert des Jahres! Bis hier hin.

 

Electric Galenza        22.11.2002