U2 - In the name of love

Berlin, Olympiastadion - 7.7.2005

u2-bono.jpgOkay Kinder, das wars. Ich glaub, mehr geht nicht. U 2 waren in der Stadt. Das war der größte Feldgottesdienst, den ich je mit erleben durfte. Ein großartiger Abend aus allem: Optimismus, Gigantomanie, Angeberei, Predigten, Heilslehre, Show und Aufklärung. Man fragte sich ständig, wer landet nun plötzlich in der Mitte des Olympiastadions: Der Papst auf da Vincis Flugmaschine oder Tom Cruise mit einem blauem Ufo? Die ganze Nacht tänzelte zwischen Reichsparteitag, multimedialer Scientology-Schulung und Weltgewissen-Warnungen. Berauschend und sehr beeindruckend. 75 000 Verrückte! Fans aus Polen, Dänemark, Holland, Tschechien und von sonstewo. Vorm Stadion diverse Kartenverkäufer und berittene Polente. Gigantische Berge von Glas und Müll. Kurz vor 21 Uhr schritten Bono und seine Gesellen von hinten an die monströse Bühne heran, sie sahen aus wie Staatsmänner. Und dann explodierte der ganze Scheiß...

Wer einen zornigen, einen versöhnlichen oder auch nur predigenden Mann erwartet hatte, wurde zu Beginn enttäuscht. Kein Wort zunächst zu den aktuellen Anschlägen in London. Stattdessen flirtete er erst routiniert mit dem Berliner Publikum ("Sexy People, sexy City"). Das Wetter war nicht sonderlich sicher, weshalb Bono am Anfang von "Elevation" einige Zeilen von "I Can't Stand The Rain" sang. Mit viel Leidenschaft und geradlinigem Rock'n'Roll, politischer Mission und einigem Pathos hat U2 dann in Berlin 75 000 Fans begeistert. Das größte Konzert des Jahres im ausverkauften Olympiastadion wurde eine riesige Rockparty und politische Demonstration zugleich. Doch an erster Stelle stand an diesem Abend Rock'n'Roll: Das stellte schon The Edge sicher, dessen kreischende Gitarrenriffs den 135 Minuten langen Konzertabend dominierten. Besonders die Hits aus den 80ern - den Anfangsjahren der Band - wurden von den Fans enthusiastisch bejubelt. Ob die Ballade "With Or Without You", die Hymne "Pride" oder "I Still Haven't Found" - die Menge im Stadion wurde immer wieder zum vieltausendstimmigen Open-Air-Chor.

u2-berlin.jpgNach einer Stunde war es dann doch noch so weit. Mitten hinein in die aufgekratzte Stimmung nach "Sunday, Bloody Sunday" hat Bono doch noch das getan, was alle von ihm erwartet hatten. Er wurde politisch. Der U2-Frontmann , einer der politisch aktivsten Musiker, erinnerte an die Live-8-Kampagne vom Wochenende zum Schuldenerlass für die ärmsten Länder, mahnte zum friedlichen Zusammenleben und verurteilte Menschenrechtsverletzungen. Die politischen Botschaften der bekennenden Christen U 2 kamen ebenfalls musikalisch an. Bono rief zur Versöhnung der Weltreligionen Christentum, Judentum und Islam auf: "Ihr seid alle Söhne Abrahams" - ein Appell, der am Tag der vermutlich islamistischen Terroranschläge von London traurige Aktualität bekam. Nach den Terror-Anschlägen am Vormittag in London sang Bono am Ende von "Sunday Bloody Sunday" eine Zeile "Wednesday Bloody Wednesday" (obwohl es eigentlich ein Donnerstag war). Den Opfern sowie deren Angehörigen und Freunden widmete er die berührende Ballade "Running To Stand Still" - fügte aber auch mahnend hinzu: "Ich bete, daß wir nicht selbst zu Monstern werden in unserem Bestreben, die Monster zu besiegen." Das olympische Stadion wurde bald in den dazu flackernden Flammen von zehntausenden Feuerzeugen gebadet. Anschließend wurde die Charta der Menschenrechte per Videowand verlesen und U2 wummerten enthusiastisch "Pride (In the name of love)" dazu, kann man so machen. Das Stadion bebte vor Euphorie.

Das wirkt durchaus theatralisch und pathetisch, wie immer, wenn sich Rockmusiker in die Politik einmischen. Da kann man entweder jubeln und mitklatschen, oder den Kopf schütteln ob dieser reinen Symbolik. Und so ergeht es auch der Band U2: Manche Kritiker halten sie für unbelehrbare Weltverbesserer und großspurige Stadionrocker, andere für tolle Musiker, die der Pop-Welt große Songs beschert haben. Eines aber ist unumstritten: Die irische Gruppe gilt seit zwei Jahrzehnten als einer der großen Dinosaurier im Rockzirkus. Und hat dabei längst den alten, irrwitzigen Gigantismus erreicht, gegen den sie zu Beginn ihrer Bandgeschichte mal angetreten waren: 13 Trucks mit Material für das Stahlgerüst, zwei 100-Tonnen-Kräne und zehn Gabelstapler kamen zum Einsatz. 23 Lkw voller Technik, links und rechts von der Bühne Leinwände, außerdem 80 Boxen pro Bühnenseite, zusätzliche Lautsprecher in der Mitte in zwei Türmen

u2-stadion.jpgAber U 2 überzeugten an diesem Abend auch durch perfekte Bilder, mediale Einspielungen und ein gigantisches Farbenmeer und einen famosen Sound. Glückliche Gesichter rings, famos textsicher und ausgelassen froh. Sehr beeindruckend. Dazu massenhaft besoffene Iren und stimmgewaltige Briten. Die waren längst bereit und breit. Zum Ende holte sich Bono noch ein hübsches Mädchen in einem Ramones- T-Shirt auf die Bühne, um mit ihr zu "With Or Without You" ein bisschen schön zu tun. U 2 spielten dann noch zwei Zugaben zu je drei Songs vor einem mittlerweile völlig enthusiasmierten, ausgeflipptem Publikum, das zu einer bittersüßen Nacht in Europa tanzte.


Set List Olympic Stadium in Berlin: 7.7.2005

Vertigo
I Will Follow
Electric Co.
Elevation
New Year's Day
Beautiful Day
I Still Haven't Found What I'm Looking For
All I Want is You
City of Blinding Lights
Miracle Drug
Sometimes You Can't Make It On Your Own
Love and Peace
Sunday Bloody Sunday
Bullet The Blue Sky
Running to Standstill
Pride in the Name of Love
Where the Streets Have No Name
One

Zoo Station
The Fly
With or Without You

All Because of You
Yahweh
Vertigo

R. Galenza 10. Juli 2005