Britta – Es ist nicht immer leicht

(Berlin, Maria – 4.09.2003)

 

 

Eine alte Steinbrücke mitten in der Stadt. The Schilling-Bridge. Bunte Seefahrtzeichen. Dunkle Treppen hinab in die Romantik. Schattenwellen und Warten. Der immer wiederkehrende Notruf einer Ente. Der Mond ging sattgelb zur Neige. Dazwischen das sehr rote Fanal der „Maria“. Ein authentischer Flecken als Wunde mitten in der Stadt. Gegenüber das Hotel, in dem The Falls Mark E. Smith einst grantelte.

 

Keine Ahnung, ob das alles Arbeitslose, Studenten oder Ich-AG’s waren, aber mitten in der Woche muß man schon sehr ausgeschlafen sein, um das durchzustehen. Wunderbar warm und entspannt legte Minibar 04 vorher auf. Auch interessant: Jusko-Trust, ein flinker Aufleger plus eine Sängerin, irgendwie hatte das was. Kurz vor halb zwölf starteten nun endlich Britta zu ihrer eigenen Plattentaufe. „Ihr seid das Publikum und wir sind Britta“, begrüßte Christiane Rösinger die ungefähr 300 Leute. Diverse Hippie-Insignien rings, die Wände voller unzähliger Blumenbilder, von einer Verstärkerbox leuchtete verstohlen „Penny Lane – Rene“. Los ging’s mit diversen Fragen, die sich Britta in „Fragen, Fragen“ so stellen nach “Autos, die man hatte, die erste Platte“.

 

Die vier Frauen spielten die meisten Songs ihrer neuen, nun dritten Platte „Lichtjahre voraus“. Das große und schöne Erbe der Lassie Singers scheint endlich verarbeitet. Britta verfügen längst über einen eigenen Sound und trotzige Melancholie. Auf der Bühne geht es nicht um Schick und Charme; schlichte Klamotten und in Würde älter gewordene Gesichter, denen das Leben begegnet ist und das war nicht immer lustig. Eher ein selbstbewußtes Erwachsensein.

Der Titeltrack plunkert auf einem angenehmen und wohlgenährten Stranglers-Beat durch. Klingt trotzdem modern und trotzig, sie schmettern: „Wir sind Britta und wir hören nicht damit auf. Auch wenn sich die ganze Welt für kleines Geld verkauft.“ Köstlich immer wieder die Zwischenerklärungen von Christian Rösinger, hier kugeln sich Schalk und Ironie. Der „Happy song“ ist demnach nur so ein oberflächliches Chartslied, daß sie gekonnt unaufgeregt runter nuschelt. Hier darf nun auch der erste musikalische Gast auf die Bühne: Sebastian Vogel von der Band Kante. Und schwurbel, der ackert an den Percussions richtig los. Euphorie ist ja Brittas Sache nicht, aber der schüttelte dem Tambourine die Flausen aus. Zwischendrin werden philosophische Fragen gestellt und debattiert: ist Liebe möglich oder ob der alte Mond nun rechts oder links ist. Die verzweifelte Moritat „Liebe“ wird von grundguten Echo & The Bunnymen-Gitarren getragen. Das es nicht leicht wird, konnte man auch vor Britta wissen, aber nicht, welch melancholische, herzwärmende Hymne sie mit ihrem „Es ist nicht immer leicht“ auf Berlin, die kalte Sau, zu singen vermögen. „Wenn ich morgens aufwach, wird’s schon wieder dunkel. Wenn die alten grauen Nebel zu uns zieh’n, weiß ich, was ich an dir hab, Berlin.“ Da möchte man sie am liebsten in den Arm nehmen und was Warmes essen gehen.



Aber die müssen ja heut abend das Haus rocken. Aber zunächst wurde es erst mal öde. Jungschriftsteller David Wagner hat auf der neuen Platte einen Song geschrieben, „Was alles fehlt“. Er hat nun leider wirklich nicht gefehlt. Komplett falsch angezogen und overstyled, schunkelte und grinste er sich an den Rand der Debilität. Der war in der Schule bestimmt immer der Beste und weiß noch nicht, was Brüche in Biographien bedeuten könnten. Genau hier mußten wir jetzt sehr tapfer sein und ganz viel trinken. Von etwas weiter weg, im räudigen Naß der Jungstoilette, sangen die Gitarren wie Vogelgezwitscher. Es klang „wie ein Smith-Song“. Oder: charmanter, zeitgemäßer Rock von Frauen, denn: „...wenn ich mich so umschau, sowieso nur Bands mit Jungs und die wollen ja keine Veränderung.“

Und dann war auf einmal Besuch aus Hamburg da! Tocotronic’s Dirk von Lotzow griff sich die Gitarre und knödelte einen englischen Klassiker runter, Christiane sang dazu. Das war schön und eigen – waren das jetzt Nick Cave und Kylie des deutschen Undergrounds? Tatsächlich bewegend. Nach siebzig Minuten hieß es erst mal rauchen und trinken. Bei der Rio Reiser-Zugabe, „Wir müssen hier raus“ war deftiges Mitsingen und Nicken zu besichtigen. Kurz darauf wurde es dann laut und hektisch – Jubel und Gebrüll. Berliner Neu-Star P. R. Kantate enterte die Bühne! Sein „Görli, Görli“ geriet zu einer ausgelassenen, lustigen Acht-Minuten-Version aus tapsigem Reggae und Rock. Jetzt wurde richtig berlinert und kaum ein relevanter Platz in Berlin vergessen. Und die beiden kannten sich vorher nicht mal, aber Christiane kann den Song auswendig, wenn auch auf einem völlig anderem Beat. Anschließend gab es noch Champagner, Drogen und gute Laune. Danke. Oder um es mit Britta zu sagen: „Verborgene Talente, große Augenblicke, ganz, ganz wichtige Momente...“


Danach, in der Berliner Nacht, im großen Hotelfenster vom „Ibis“ gegenüber, saßen sie wieder, die Normalen und Gesunden. Es ist wirklich nicht immer leicht.

 

Ronald Galenza  7. September 2003