Kettcar - Stockhausen, Bill Gates und ich

Fritz-Studios, Potsdam - 17.März 2005

kett.jpgMan kann es sich kaum vorstellen, aber die Ursprünge von Kettcar liegen mit ihrer damaligen Band But Alive in der progressiven Punkszene der neunziger Jahre. Kettcar wurde dann 2001 von Marcus Wiebusch und Reimer Bustorff gegründet. Sie kommen also von der kräftigen Geste des Punk, heute schätzt man sie wegen ihrer wunderbaren Texte und des treffsicheren Gespürs für perfekte Poparrangements. Sie erzählen Geschichten in ihren Songs und erzeugen so fragile Textschönheit. "Wie die Geschichten sich zur Trauer bücken". 2002 überraschten sie alle mit ihrem großartigem Album "du und wieviel von deinen freunden". Ihr Debütalbum wollte damals niemand veröffentlichen, was Marcus Wiebusch und Reimer Bustorff dazu brachte, zusammen mit Thees Uhlmann von Tomte das Label "Grand Hotel van Cleef" zu gründen. Und das sollte Sinn machen, den bis heute haben sie davon ohne Werbeetat 30.000 Stück verkauft. Es geht also auch so und große Company im Rücken.

Im Frühjahr 2005 sind sie wieder auf der Straße! Soeben ist ihre neue Platte erschienen: "Von Spatzen und Tauben, Dächern und Händen". Die stellen sie nun live in Stadt und Land vor. Da stehen fünf sehr normale Burschen auf der Bühne, mit "Ausgetrunken" haben sie gleich gut losgebolzt. Zwei blutjunge Mädchen sind sofort zum Stand-Pogo übergegangen. Das Publikum wollte und die Band wollte, das paßte gut zusammen. Sänger Wiebusch verkündete hörbar stolz, das ihre neue Platte sofort auf Platz 5 der Albumcharts eingestiegen ist! Da mußten sie erst mal ganz viel trinken. Heute vorm Konzert gab es auch schon kaltes Bier und warmen "Jelzin"-Wodka. "Wir sind nicht dafür geschaffen, uns zu belügen."
Im Publikum überraschend viele Mädchen, deren Augen begeistert leuchteten. Ihr Smash-Hit "Landungsbrücken raus" war live ein echter Ladykracher. "Verblutend am Elbstrand, die Getränke waren alle, ... die Doofen sollen sterben." Alle gerieten schnell ins Schwitzen. Kettcar klingen live ganz tuff & rough und lieferten feine Gitarrensägearbeiten ab. Erstaunlich ihr dreistimmiger Satzgesang, das muß man so auch erst mal hinbekommen. Sie mixten gekonnt die alten mit den neuen Songs, das begeisterte Publikum reagierte gekonnt textsicher.

kett-gr.jpgBei der Ansage zu "48 Stunden" spekulierte Wiebusch: "Mensch Thees (Uhlmann), du sitzt doch jetzt bestimmt vorm Radio und hörst zu. Laß die Alte laufen und komm nach hause." Es geht in diesem Track um verlassene Liebe, allerdings nicht zu einer Frau, sondern zwischen den beiden kreativen Labelmates Wiebusch und Uhlmann, der wegen der Liebe nach Berlin umgezogen ist.. Hey Kinder! Ihr müßt jetzt auch gar nicht alle nach Berlin kommen, nur weil alle Medien euch erzählen, das die City gerade burnt. Wir sind schon so lange hier und die Provinz hat auch ihre guten Seiten...

Wiebusch hat noch ein bißchen über Billig-Charts-CD und Sarah O'Connor geschimpft und sich dann mit Karl Heinz Stockhausen und Bill Gates in einem Fahrstuhl getroffen. Nach einer Stunde waren alle naßgeschwitzt und die Band fertig. Aber "Selbstmitleid für alle" - so hängten sie noch drei Zugaben ran. Da durfte man dann gemeinsam im "Taxi weinen" - "Das böße, fiese Leben erdrückt uns, das ist doch nur die Angst, die bellt". Marcus erzählte am Schluß zu seiner Akkustischen die schöne Geschichte von Balu, dem Bär: "Du bist New York City, ich bin Wanne-Eickel". Sein Bruder Lars orgelte sanft dazu, in Empfindsamkeit vereint. Live klingen Kettcar rauher und direkter als auf Platte. Ihre Gesichter glühten, sehr gelöst und ganz unprätentiös. Macht schöne Musik einfach glücklich? Oder: "Mach immer, was dein Herz dir sagt. Und begrab es an der Biegung des Fluß'." Werden sie gar The German Coldplay?

R. Galenza 18.3.2005

Setlist 17.3.2005:

1. ausgetrunken
2. tränengas im high end leben
3. balkon gegenüber
4. landungsbrücken raus
5. anders als gedacht
6. 48 stunden
7. jenseits der bikinilinie
8. money left to burn
9. deiche
10. ich danke der academy
11. stockhausen, bill gates und ich
12. nacht
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13. handyfeuerzeug gratis dazu
14. im taxi weinen
15. balu