Billy Bragg - The Milkman of Human Kindness

Kesselhaus Berlin, 19.9.2007

billy_bragg.jpgCaramba! Billy Bragg war zurück in Berlin. Schön. Im Rahmen der Popkomm trat er überraschend zwischen einigen jungen german bands wie ClickClickDecker, Fotos und Robocop Krauts auf. Obwohl man sicher sein durfte, daß er allein das schwarze Loch des Kesselhauses auch ganz allein voll gemacht hat. Nur mit Gitarre griff er ein paar krachende Akkorde, kein Baß, kein Schlagzeug, nur die rohe, schlichte Schönheit der verstärkten sechs Saiten. So steht er auf der Bühne und sagt als erstes: "Ich bin nicht nur ein politischer Musiker, sondern auch ein Loverman". Fit sah er aus, drahtig, nur die Haare werden nun schon grau. Und er legte in seiner Ein-Mann-Show gleich mit einigen seiner Klassikern wie "Shirley", "St. Swithins Day", "Sexuality" oder "Waiting for the great leap forwards" los. In „Sexualiy“ sieht er zwar immer noch aus wie Robert DeNiro, singt dann aber „oung and warm and wild and free Morrissey!“ Auch kündigte er an, mit dem Bücher schreiben aufzuhören und nun wieder Platten zu machen. Er stellte auch gleich einige neue Songs von der neuen Scheibe vor.

Nun weiß man seit langem, daß der gute Billy nicht einfach seine knackigen Songs in breitem Cockney runter rockt. Nee, er hat auch immer eine Botschaft. Diesen Abend waren es weit mehr als eine. Zuerst ist die böse Muskik-Industrie dran: „You can probably watch this performance on YouTube tomorrow. Or even tonight!“ Billy erklärte, daß die Musikindustrie nicht wichtig sei, es auch egal sei, ob man nun CDs kaufe oder sich Track aus dem Netz holt. Entscheidend sei, daß er, das Publikum und die Fans Musik lieben und hören. Und Musik wird es ja immerhin ja immer geben. Auf der Popkomm wollte er eine Grundsatzrede, eine  keynote speech, halten. Bragg wolle seinen Auftritt vor der versammelten Musikwirtschaft nutzen, um in Zeiten zurückgehender CD-Verkäufe und frei kopierbarer Downloads eine Art Musikabgabe vorzuschlagen. Nach dem Vorbild der deutschen oder britischen Rundfunkgebühren müßte jeder Internet- oder Mobilfunknutzer in der gesamten Europäischen Union diese Abgabe zahlen, die dann den Künstlern zugute käme.

Wenn der freundliche Kumpeltyp mit der Wandergitarre auf die Bühne kommt, kann es schnell ernst werden. Seit rund 30 Jahren steht Billy Bragg für eindringliche Punksongs jeder Lautstärke mit klaren Aussagen. In der Tradition der britischen und amerikanischen Gitarrenkämpfer des vergangenen Jahrhunderts setzt sich der noch nicht ganz 50-Jährige für Menschenrechte und gegen Unterdrückung ein. Und damit war die Politik dran. Billy Bragg ist ein household name in Großbritannien, eine Marke: als linke Ikone und Songschreiber, als „One Man Clash“, der den Geist der legendären Punkband The Clash allein mit seiner Gitarre verkörpert. Er macht sich für einen neuen, „progressiven Patriotismus“ stark macht und dieses Terrain nicht den Rechtsextremen und ihren rassistischen Parolen überlassen will. Dazu schmetterte er sein "All You Fascists Bound To Lose". Auch ist er Initiator der Aktion „Jail Guitar Doors“, die Gitarren für Häftlinge stiftet. Von der Bühne proklamierte er, daß es heute nicht mehr um Sozialismus oder Kapitalismus gehe, sondern die Art, wie wir alle miteinander leben und umgehen. Er habe eine Zeitlang gebraucht, um zu erkennen, daß nicht Kapitalismus oder Konservatismus die Gegner sind, sondern der Zynismus, poltert Bragg. Er schimpfte aufgebracht, keine politischer Singer-Songwriter könne die Welt verändern, aber jeder Einzelne ein kleines Stück. Er freut sich, daß Tony Blair weg sein, aber ein neuer Bush immer noch da. Und stimmte seine Gewerkschaftshymne "There Is Power In A Union" an. Gewerkschaftslieder 2007? Respekt, Mann! Polit-Barde nennt man das wohl. Aber Billy Bragg steht eben wie kaum ein anderer für Popmusik, die politisch ist, für einen Künstler, der sich nie korrumpieren lassen hat.

billy bragg1.jpgAufgefallen war mir Billy Bragg im West-Radio. He? Was scheppert denn da aus dem Äther? Eine One-Man-Punkband? Geht das? Na klar, seine frühen Songs sirrten elektisierend. Begegnet bin ich Billy Bragg das erste Mal im Frühjahr 1986. Da hatten wir ihn keck vom staatstragenden "Festival des politischen Liedes" in Ost-Berlin weggelotst. Er trat dann illegal bei unserem allerersten "X-Mal"-Konzert in Treptow auf. Ein Jahr später begegnete er mir wieder, diesmal im "Haus der Jungen Talente" beim politischen Liederfestival. Er spielte dort nachts Coverversionen, Rockklassiker und die Internationale. Darüber gerieten wir in Streit, denn ich hielt im vor, er sei doch Punk und politisch, wie könne er da mit Bob Dylan und Hank Williams hausieren gehen. Traumatisch schön wurde es im Sommer 1989 in der Lichtenberger Parkaue. Strömender Regen, zuviel Wein, diese breite, klare Stimme und seine forderne Punk-Gitarre. 1992 gab es ein Wiedersehen. Ich interviewte ihn zu einer neuen Platte. Aber es war bereits sein 11. Interview an diesem Tag, Bragg war platt. Er fragte nach dem Schicksal von Hansa Rostock und wie es den Ostdeutschen nun gehe? Die halbe Stunde war schnell rum, über seine Platte haben wir nicht gesprochen.

Seine neue Single 2007 heißt nicht nur „Old Clash Fan Fight Song“, die hat Bragg auch noch unter dem Pseudonym „Johnny Clash“ aufgenommen. Damit setzt er gleich zwei verstorbenen Helden ein Denkmal: Joe Strummer und Johnny Cash. Also stimmt er auch gleich einen Klassiker von Johnny Cash an, die Meute ist hingerissen. Um dann auch sofort bei The Clash zu landen. Er schwärmt von deren politischer Haltung und hämmert sein „Old Clash Fan Fight Song" in die Massen. Bragg widmet den Song einer jungen Dame mit Kamerateam, die ihn vor der Halle fragte, ob er Billy-Bragg-Fan sei. Er antwortete: Dafür sei er zu alt, aber er wisse, dass Bragg extrem gut aussehen würde, ein brillianter Sänger sei und außerdem über einen enormen, langen… Back-Katalog verfüge. Stimmt leider wirklich.

Zum Schluß darf die Audience selber ran. "I don' t want to change the world, I'm just looking for New England" - diesen hymnenartigen Refrain singt das Publikum, darunter erstaunlich viele junge Menschen, begeistert mit. Bragg beweist Charme und Humor, als der dem mitsingenden Publikum einen prima Cockney-Akzent bescheinigt.  Eben bei jenem euphorischen „A New England“, die ironische Hymne, die Weltverbesserer und Punks miteinander versöhnte. Danke für diesen Abend. Respekt Billy!

R. Galenza