Berlin Atonal Festival

 

(Berlin, Künstlerhaus Bethannien – März 1990)



Im Live-Report will ich heute auf ein Konzertereignis zurückschauen, das „Berlin Atonal Festival“. Das diesjährige Festival fand Anfang März 1990 im Westberliner Künstlerhaus Bethannien statt und vieles war diesmal anders und neu. Es stand unter dem Slogan „The spirit behind the machines“. Durch das Auftauchen und Anschwillen der Electronic-Acid-House-Bewegung in den letzten Jahren, hat sich ein ganz neuer, selbstständiger Musikstil entwickelt. So konzentrierte sich das „Atonal“ in diesem Jahr voll auf Chips und Computer. Am ersten Tag agierte die Wave-Elektro-Band Clock DVA sehr schrill und nervös vor einer riesigen TV-Monitorwand, kam aber auf Grund irgendwelcher Sound-Probleme nie auf den Punkt. Ein enttäuschender Auftritt, den auch das Publikum lauthals monierte. 

 

Der zweite Tag bot geballt fünf Techno-Electro-Bands, die aber alle verschieden arbeiten und durchaus andere Ansätze verfolgen. Greater Than One überraschten mit einer perfekt durchorganisierten Show, allerdings ohne Menschen. Die beiden Musiker, Lee Newman und Michael Weiß waren nie zu sehen, schon ein alter, gekonnter Residents-Trick. Dafür aber ihre riesigen, farbigen Video-Skulpturen, Dia-Projektionen an der Decke und ihre politisch-moralischen Losungen, die auf ein vor der Bühne gespanntes Netz projeziert wurden. Ihr harter, deftig rhythmisch gesampelter Sound dazu, geriet zu einem knalligen Blitzlicht-Feuerwerk für Augen und Ohren. Beeindrucken. Am besten gefielen mir an diesem Abend aber Consolidated aus den USA. Sehr hart, sehr konsequent, sehr kämpferisch. Consolidated verbinden Electro-Beat mit HipHop und Rap. Damit geißeln sie Rassismus, Sexismus, Gewalt und Obdachlosigkeit, was durch ihre rauhen und rohen Raster-Videos eindrucksvoll verstärkt wurde. Alles sehr schwarz-weiß, aber eben auch griffig und überzeugend. Anschließend traten Renegade Soundwave aus England aus, deren Set aber unter immensen technischen Problemen litt. War das der Geist hinter den Maschinen?



Baby Ford, ein neuer Acid House Act, schepperte am letzten Tag des Festivals ordentlich das Haus, es wurde heftig getanzt. Die neue Dance-Music funktioniert sowieso nur richtig durch Mitmachen, rum stehen gilt nicht. Allerdings empfand ich Baby Ford nach vier Titel irgendwie sehr gleichförmig. Absoluter Höhepunkt des gesamten Festivals sollen anschließend 808 State aus Manchester werden! 808 State stellten eine ziemlich neue Form des Musikerzeugens vor, denn „richtige“ Instrumente gibt es bei ihnen überhaupt nicht mehr. 808 State sind Mastermind Martin Price, der Computer- und Sound-Spezialist Graham Massey und die beiden DJ’s Darren und Andy. „Es ist ziemlich einfach“ beschreibt Darren die Idee zu 808 State, „ich weiß, was Hysterie auf der Tanzfläche auslöst. Zu hause in Manchester ist es im Moment so, daß man, wenn man nicht zum Tanzen weg geht und irgendeine Form von House hört, nur im Wohnzimmer sitzen und Stadt-Land-Fluß spielen kann.“ Bei ihnen war dann auch der Tanz-Teufel los, „Atonal“ wurde jetzt Paaarty! Ihr Konzept funktionierte perfekt live. Einziger Wermutstropfen, sie wummerten nur knackige 25 Minuten in die Zukunft hinein.

 

Ronald Galenza   in Radio  DT 64 – „Spätvorstellung“    5. Mai 1990