Buzzcocks - Harmony in my Head

24. September 2004 - Ingenieur-Schule, Kassel

Ein Abend mit den Buzzcocks. Schon 1975 an der Universität von Manchester, England, gegründet, waren "die erste moderne Pop-Gruppe, die die flüssige Sound-Lava des Punk in einen Springquell großer romantischer Gefühle zischen ließ und diese Mixtur konsumabel für die Massen machte" ("New Musical Express"). Knapp 30 Jahre später sollen sie in Kassel auf der Bühne stehen.

buzz-live.jpgDas erste Mal visuell begegneten mir die Buzzcocks 1982 in Budapest, Ungarn. Dort lief in einem kleinen, schmierigen Kino der Punk-Film "Breaking Glass" (von 1980) mit Phil Daniels, Hazel O'Connor und Jon Finch. Und dort entdeckte ich ein Buzzcocks-Plakat in einem Büro eines Musikmanagers. Den Bandname kannten wir schon aus der John Peel-Show. Also los auf Flohmärkte und in die Kellerläden, und wenige Tage später hielt ich dann ihre Scheibe "Singles going steady" von 1979 tatsächlich in den Händen. Und nach und nach konnte man immer mehr über die flinken Briten erfahren:

Die Geschichte der Buzzcocks begann so wie die von vielen Punkbands: Sex Pistols gesehen - Band gegründet. Nur mit dem kleinen Unterschied sie gehörten zu den Vorreitern von Punk. Howard Devoto (Trafford) sah Ende ´75 einen der ersten Auftritte der Pistols und gründete sozusagen auf dem Heimweg mit Pete Shelley (McNeish) die Buzzcocks.

Anfang April ´76 folgte ihr erster Auftritt bei einer Veranstaltung einer Textilfachschule. Pete (guitar) und Howard (vocals) holten Steve Diggle (bass) und John Maher (drums) in die Band. Devoto rief Malcolm McLaren an um die Pistols für ein Konzert in ihrer Heimatstadt Manchester anzuheuern. Im Juli war es soweit, die Buzzcocks traten mit ihren Vorbildern und den Slaughter and the Dogs vor etwa 100-200 Fans in der "Lesser Free Trade Hall" auf. Nach elf Auftritten und einer EP "Spiral Scratch" stieg Devoto im Februar 1977 aus - angeblich um sein Studium zu beenden. Ende des Jahres gründete er seine eigene Band Magazine. Pete Shelley übernahm nun den Gesangspart der Gruppe und führte die Band zurück zum wirklichen Leben: Love Songs, wie es sie bisher in dieser Form noch nicht gab. In der neuen und endgültigen Besetzung nahmen die Buzzcocks drei hervorragende LP´s und etwa zehn Single´s auf, bis sie sich Anfang ´81 trennten. 1989 ging die Band als Reunion auf Tour, doch John Maher und Steve Garvey verließen nach der Tour die Band wieder. Sie zogen ihr Privatleben dem Popstar-Rummel vor und wurden durch Phil Barker (drums) und Tony Barber (bass) ersetzt.

Ab 89 trat die Band vereinzelt öffentlich auf, von 1991 an mit Mike Joyce, vorher Drummer der Smiths. Nachdem Kurt Cobain die Buzzcocks gegenüber der Rock-Presse als wichtige Inspiration geoutet hatte, schnellte der Wert der Band auf dem Musikmarkt wieder in die Höhe. Das Album Trade Test Transmission (1993) war die Folge. 1995 veröffentlichte EMI eine CD-Box mit dem Gesamtwerk der Band auf United Artists plus einen 24-Minuten-Mitschnitt aus dem Londoner Lyceum von 1979. Ein Live-Auftritt im Club L'Arapho in Paris mit 23 Titeln vom April 1995 kam unter dem Titel French auf den Markt. Neil King, Tonmeister von Green Day, übernahm die Band als Producer. Die Band um Pete Shelley und Steve Diggle beeinflußt mit ihrem Werk auch heute noch unzählige Bands, wie jüngste Buzzcocks-Coverversionen von The Offspring, Ash und Anti-Flag bewiesen.

buzz-stage.jpg2004 spielten die Buzzcocks spielen ihr erstes und einziges Deutschland-Konzert in diesem Jahr exklusiv beim Punk! Kongreß in Kassel. Drei eher uninspirierte Vorbands verzögerten den Konzertbeginn auf 1.45 Uhr, das Warten nervte mit Billigbier unter Neonlicht. Zuviele Kassler, wenige Frankfurter. Und kaum Frauen im Haus, Punk als Alte-Mäner-Ding?Der große, dicke David Thomas langweilte sich im Schatten funktionaler Möbel. Aber immerhin bin ich mit ihm Fahrstuhl gefahren...

Aber dann, Donnerwetter!, legten sie energisch und sehr laut los. Ein bißchen sehen sie ja heute aus wie Status Quo. Pete Shelley, (vocals/guitar), zwischen durch mal blond gefärbt, nun wieder klein, kompakt und dunkelhaarig, wirkt wie ein Beamter der englischen Eisenbahn. Steve Diggle (vocals/guitar), hat etwas von Rod Stewart, Tony Barber (bass), mit seltsam blonder Langhaar-Adaption und Phil Barker (drums), stur im Hintergrund schuftend, zeigten aber, daß man längst kein boaring old fart werden muß, sondern in Würde und Punk altern kann. Die Typen haben noch echte Energie. Abklatschen mit Dick Hebdige direkt vor den wummernden Boxen. Freund Pankow hatte Hebdige noch wenige Stunden zuvor blutend aus einer Sauna in ein Krankenhaus gerettet. Subculture!, heute.

Nach den wenigen Songs gingen die ersten Reihen sofort zum Pogo über, immer wieder gereckte Arme und williges Mitgröhlen. Der krachende Pop der Buzzcocks mit seinen melodiös ausgefeilten Punk-Attitudes ist reich an einprägsamen Refrains und brachte solche dauerhaften Mitgröhlhymnen wie "What do I get?", "Ever falllen in love" oder "I don't mind" hervor. Die gaben sie auch enthusiastisch. Leider schrubbten sie zwischendurch immer mal wieder Stoner-Rock samt Gitarren-Fechtereien und staubigen Pub-Rock. Nach 45 Minuten war Schluß. Aber natürlich bestand das Publikum auf deutlich mehr, nun wummerten endlich auch "Harmony in my head" und "Orgasm addict" ins ergebene Volk, das begeistert mitfeierte. Im Gegensatz zu vielen Punk-Veteranen, die nur noch von ihrem verblichenen Ruhm zehren, sind die Buzzcocks auch nach fast drei Jahrzehnten auf der Bühne immer noch quicklebendig. Das zeigten sie an diesem Abend eindrucksvoll mit ihrer vitalen, mitreißenden Show.

R. Galenza, September 2004