J. Mascis – Not the same as Dinosaur
(ColumbiaFritz, Berlin -16.12.2002)
Da saß plötzlich eine alte graue Wolljacke auf der Bühne rum. Eine Brille, seltsame graue oder stumpfe blonde Haare nölten los, eine Gitarre sprach. „I ain’t sayin“. Das war nun nicht der J. Mascis, der im heißen Sommer 1996 auf dem „Bizarre-Festival“ in Köln 30.000 Menschen in kollektive Raserei versetzt hatte. Welch ein Abend, denn neben Dinosaur jr. standen auch noch Hüsker Dü, Nirvana und Sonic Youth im wetterleuchtenden Horizont. Mascis’ Feedback war unerbittlich und gnadenlos, dafür haben wir ihn einst geliebt. Wir waren komatös glücklich, ja beseelt und stolz. Gingen siegestrunken in den Rhein hinein, denn was kostete schon die Welt? Wir wollten das Leben spüren.
Nun saß da ein gebeutelter Mann voller Leidenschaft. Sein geplantes Konzert im „Magnet“ fiel wegen Nieren-Problemen aus. Zuletzt begegnete mir J. Mascis auf der Jubiläums-Party der „Insel der Jugend“ in Berlin-Treptow als schwarzhaariger, specklederner Junkie, der kaum wußte, wo er da war und herum gezeigt wurde. Grandioses Scheitern in einer anderen Zeitrechnung. Die Huldigungen liefen ins leere.
Heute abend saß er bei Wasser und Strom an einem häßlichen Beistelltisch. Das matte Licht changierte unregelmäßig vom Rot ins Blau und zurück. Mascis klimperte ausgebufft akustisch los, eher er das Pedal ritt. Auf einmal wurde es derb elektrisch. Hey Leute, wie rocke ich ganz allein eine Saal mit 200 erwartungsvollen Menschen? „So what else is new?“
Das hat er locker geschafft. Zwischen den Akustik-Stellen jaulte sein Brett erbarmungslos offensiv. Da gab es keine Gnade. Bei J. Mascis geht es zuerst immer um seine prägnante Stimme. Aber eben auch um dieses sperrige, entfesselte Gitarren-Sägen in den höchsten Tonlagen. Das soll weh tun, denn da wohnt und haust sein Beat. So manifestiert er seine Sicht auf die Dinge, singt seinen Blick auf eine kalte, alte Welt. Seine „Bulbs of passion“. Das hatte dann tatsächlich zeitlose Größe und einiges an Würde. Ein Freund hat sich in London extra ein Dinosaur-T-Shirt besorgt, damit wollte man schon angeben können. Denn Dinosaur jr. war der sägende Singsang an unseren Feuern des Sommers und den klammen Sternen des Herbstes.
Tschja, und wie rocke ich nun die kalte Kemenate? Sein Noise-Fuzz-Rock wurde in der Tat bald anstrengend. Aber Mascis ist Profi genug, das auch selbst zu merken, er erlöste uns mit reinen Akustik-Songs. Manno!, wo war nur seine Band? Die er ja seit dem Ende von Dinosaur jr. eh nur noch er selbst ist. Wäre auf jeden Fall interessant und anders geworden. Vielleicht macht es einen auch müde, jeden Abend vor einem unsichtbaren, gesichtlosen Publikum zu spielen und sich dabei doch sein Herz zu zersingen. Seine Stimme japste unentschieden zwischen Neil Young und Bob Mould hin und her. „Repulsion“.
Ein reiner Jungsabend, aber die wenigen Mädchen schrieen lauter und intensiver. Der billige Wein ging weg wie Sehnsuchts-Tau. Wir soffen auf hohem Niveau, denn in Mascis’ Musik hausen die expressiven Geräuschemacher. Bei ihm geht es um Abgesang, Wut, Trauer, Verlust und Scheitern, eben um alles. Es war dunkel, es war laut und tat weh wie gut. „Feel the pain“. Das kleine Wort „forget“ tauchte überraschend oft auf. Das alte Problem, wenn man nach hinten denkt. Aber wie soll man mit seinem Erbe auch umgehen? Heroin? Altrocker-Starrsinn? Oder einfach immer weiter machen? Sich immer wieder neu und doch gleich erfinden? Stille Größe will bewahrt werden. Ein Kopf voller Erfahrung. Dinosaur jr. hatte einst die sündigen Teile der Jugend sozialisiert: Kiffer, Kleindealer und Untergrund-Aktivisten. Respekt, Kinder.
Überraschend wechselte J. Mascis zur Halbzeit das Instrument und gewährte der Audience ein schmerzliches „I’m waistin’“. Er schmiß überraschend ein Cover von The Cure in die Leute, wir Nachtgestalten halten schon zusammen. Nach 65 Minuten ging eine alte, müde Wolljacke von der Bühne. Aber ich hab sie lächeln sehen.
Electric Galenza, Dezember 2002