Pinguine in Elefanten-Shirts
Beim Charlatans-Konzert lebt die Rave-Mania weiter
Kurztrip nach London. Die Charlatans gaben ihren letzten Live-Auftritt, bevor sie im Studio verschwanden, um ihre neue, die zweite LP aufzunehmen. Die fünf flapsigen Burschen aus Manchester schafften 1990 mit ihrem Debüt-Album „Some friendly“ auf Anhieb den Sprung in der erste Rave-Liga. Besonders ihr Ohrenbeißer-Hit „The only one I know“ war der Tanzbodenfeger in jeder besseren Disco und gilt als die Rave-Hymne schlechthin.
Befragt man Sänger Tim Burgess, auf der Insel gern mit dem jungen Mick Jagger verglichen, will der nicht mehr viel von Rave wissen: „Das war das heiße Ding vom letzten Sommer. Wir hatten aber immer schon auch andere Einflüsse. Zu Hause höre ich viel Dancemusic, aber auch Bob Dylan, Elvis Costello, Echo & The Bunnymen, R.E.M. oder Sonic Youth“.
Rave wuchs ja aus der hysterischen Acid- und House-Bewegung, als auf einmal Gitarrenbands wie die Happy Mondays, Primal Scream, The Stone Roses oder die Soup Dragons den luftigen Groove entdeckten und plötzlich zapplige Dance-Tracks spielten. Ja, selbst ein eingefleischter Politbarde wie Billy Bragg entdeckte den Beat.
Das Konzert der Charlatans stieg in der Royal Albert Hall, einem wuchtigen, kirchenähnlichen Rundbau. Nach den illegalen Warehouse-Parties und den riesigen Wiesen-Raves ist der neue Tanzstoff längst hoffähig. Die Royal Albert Hall erinnert stark ein eine traditionelle Oper, alles in dunkelrotem Samt und Plüsch, fünf Galerien und Ränge. Eigentlich nicht das passende Ambiente für eine ausgeklinkte Dance-Party mit ausflippenden Kindern.
Die Vorband, The New Fast Automatic Daffodils, lösen sofort ohrenbetäubenden Lärm aus. Sie lieferten einen mitreißenden, stark rhythmisch geprägten Set voller Energie ab. Als nach reichlich Walle-Walle-Nebel dann plötzlich die Charlatans im psychedelischen Licht aufkreuzen, war es, als sei in Wembley ein entscheidendes Tor gefallen! Die Halle tobte und wogte voller spitzer Schreie und hunderten Trillerpfeifen. Rave ist sowieso Kids-Musik, die meisten der Fans in der Hall waren 14 bis 18 Jahre alt.
Die 2000 Kids rasteten völlig aus, tanzten glücksseelig in ihren übergroßen, weißen Elefanten-T-Shirts mit den knalldrogenbunten Logos ihrer Lieblingsbands. Der vibrierende Zentralbalkon schien von einem riesigen Schwarm zappelnder Pinguine bevölkert. Auch wenn heute fast alle Rave-Bands behaupten, Rave sei over, erscheinen ungebrochen ständig neue Platten mit den Hymnen zur Zeit, wie von Northside, Flowered Up, Candy Skins oder Hollow Men. Ich war dabei, als London tanzte.
Ronald Galenza, taz - 16.3.1991