Blumfeld - Sprache aus Trauer
"Eine eigene Geschichte aus reiner Gegenwart" türmen um sich herum Blumfeld und untermauern mit ihrem 2. Album "L'Etat et moi" ihren Ruf als wichtigste deutsche Band der neunziger Jahre. Vor über zwei Jahren schreckte das Blumfeld-Debüt "Ich-Maschine" die dahin dümpelnde Rock-Szene aus ihrem sich selbst bemitleidenden Tiefschlaf und setzte wichtige Diskussionen in Gang.
Blumfeld-Kopf Jochen Distelmeyer gelingt es derzeit wie keinem anderen Sänger in Deutschland, so prägnant und punktgenau das Leiden an den Zuständen, den Unmut über diesen Staat so durch kreative Wut auszudrücken, ja mit explodierender Sprachgewalt herauszuschleudern! Hier genügt Musik nicht sich selbst, sondern hier will Rock'n'Roll noch etwas von der Welt: "Wir sind politisch und sexuell anders denkend" schmettert es aus Distelmeyer. Unter dem doppel-sinnigen Titel "L'Etat et moi" rechnet er unnachgiebig mit den hiesigen Mißständen und politischen Verwerfungen ab.
"Die Worte sind so schwer, daß ich sie nicht mehr singen kann so wie bisher", konstatiert Distelmeyer und gibt die Selbst-Bezogenheit der "Ich-Maschine" auf, um, immer wieder von Selbstzweifeln geplagt und auf Dialog hoffend, die bittere Realität kritisch zu kommentieren. Wohl auch ein Einfluß aus der Arbeit in den Wohlfahrtsausschüssen, einem losen Zusammenschluß verschiedener Künstler, Musiker und politischer Aktivisten, die unter dem Slogan "Etwas besseres als die Nation" gegen Rassismus antraten und antifaschistische Gruppen unterstützten.
Das Brilliante an dieser Blumfeld-Platte ist, neben den hochverdichteten Texten, eben auch diese enorme Musik, die massiv in einen eindringt. Oft ist es ohrzermeißelnder Pop, sind es herzzersingende Melodien. Dies fiel auch der US-Band Pavement sofort auf, die die Hamburger an das innovative englische Big Cat-Label empfahlen. Und selbst ohne Deutschkenntnisse geriet das sonst eher reservierte britische Publikum in Blumfeld-Euphorie. Zwölf Lieder mehr, die einen festhalten und wahrlich nicht mehr loslassen. Und immer ist in diesen emotional ergreifenden Songs genügend Platz für jeden selbst, sich seinen ganz eigenen Zugang zu verschaffen.
Distelmeyer komponiert seine Sprache förmlich, seine revoltierenden, lyrischen Texte sind gültige Statements zu den aktuellen Zuständen und das neue Album schon jetzt einer der musikalischen Meilensteine dieses Jahres. Wir sollten froh sein, daß es dies Band gibt und die beste deutsche Band der Welt sind Blumfeld sowieso.
R. Galenza Mai 1994 tip - Berlin-Stadtmagazin 21/94 S. 186