Alfred Hilsberg – Die Labelphilosophie bin ich

  

Alfred Hilsberg gilt als der große, wissende Mann der deutschen Independent-Szene. Seit den siebziger Jahren umtriebig aktiv, verhalf er mit Beginn der Achtziger vielen neuen Gruppen auf den Weg. Ronald Galenza sprach in Hamburg mit Labelchef Alfred Hilsberg.


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R.G. Du arbeitest sehr vielseitig und betreibst verschiedene Label. Kann du die bitte etwas näher umreißen?

A.H. Ja, es sind vier verschiedene Label. Zum einen das nun schon zehn Jahre alte Zick-Zack, dann What So Funny About, daß es seit 1984 gibt.. Später kam Scratch’n’Sniff hinzu und 1988 dann noch Cash Beat.

R.G. Verfolgst du mit diesen vier Firmen jeweils verschiedene Programme oder gibt es vielleicht eine gemeinsame Label-Philosophie?

A.H. Die Labelphilosophie bin ich. Es kommt auf die Label, was ich für wichtig halte. Da gab es natürlich auch einige Ausrutscher, wo ich im Nachhinein gemerkt habe, daß es Mist war. Da sich diese Sachen aber auch nicht gut verkauft haben, haben es nicht so viele Leute mitbekommen.

R.G. Setzt du bestimmte Schwerpunkte, daß auf ein Label nur deutsche Bands kommen, auf ein anderes nur Lizenzen oder wie ist das aufgeteilt?

A.H. Nein, das gibt es eigentlich nicht. Das Zick-Zack-Label war ja ursprünglich das Forum für deutsche Underground-Sachen, auch mit erklärt experimentell, avantgardistischem Charakter wie zum Beispiel die Einstürzenden Neubauten, Palais Schaumburg, Holger Hiller, Andreas Dorau, Die Freiwillige Selbstkontrolle, Wirtschaftswunder, Die Radierer und und und. Gut 200 Platten sind da im Laufe der Jahre erschienen. Das hatte sich dann aber, dank der unseligen Neuen Deutschen Welle ziemlich erledigt. Es gab da einen Bruch, den ich durch Labelneugründungen aufzufangen versucht habe. So entstand What So Funny About, wo ich darauf geachtet habe, daß da sowohl international verkäufliche Bands erscheinen, als auch internationale Gruppen zu lizensieren. Angefangen hatte ich dabei mit Sachen des amerikanischen Labels Fundamental Records; hauptsächlich kleine, feine Ami-Bands wie Shockabilly, Eugene Chadburne, die aber auch nicht das Geld gebracht haben. Aber es war schon okay. Dazu gehört auch der Gun Club, dessen neue LP gerade auf What So Funny About heraus gekommen ist. Das ist für mich eine Möglichkeit, die Kontakte im Ausland aufrecht zu erhalten und zu entwickeln. Denn andererseits wollen wir ja auch Platten von hier nach England bringen, was aber sehr, sehr schwierig ist.


ZickZack 


R.G. Und wie würdest du deine beiden anderen Label charakterisieren?

A.H. Scratch’n’Sniff ist eher auf Garagen/Trash/Pop-Rock orientiert. Da sind jetzt zum Beispiel die Flowerpornoes und Die Regierung drauf. Cash Beat beinhaltet die elektronischen Sachen, KMFDM zählten dazu, haben jetzt aber einen anderen Vertrag. Cash Beat ist spezialisierter. Die italienische Band Pankow, von der demnächst eine Live-Platte kommt, gehört auch zu Cash Beat.

R.G. Auf What So Funny About erscheinen die meisten deiner Veröffentlichungen, richtest du darauf dein Hauptaugenmerk?

A.H. Ja klar. Da kommen die Mehrzahl der deutschen Bands raus, aber auch die eine oder andere ausländische Platte. Es gibt ja in Deutschland genug Leute und Firmen, die sich um die internationalen Acts kümmern.

R.G. Du hast schon zu Beginn der achtziger Jahre zwei wegweisende Sampler herausgegeben. Das war einmal „Geräusche für die Achtziger“...

A.H. .. ach, dieses Ding. Da waren ja diese unsäglichen Punk-Bands drauf, was mir fälschlicherweise diesen Ruf eines Punk-Papstes eingetragen hat. An dem habe ich heute noch zu kauen. Die Leute vergessen darüber leider immer den Sampler „Lieber zuviel, als zu wenig“, der viel wichtiger war. Denn da waren die ganzen schrägen, interessanten deutschen Bands drauf.


sounds 


R.G. Nun hast du eine neue Compilation zusammen gestellt, die „Geräusche für die Neunziger“. Was war dein Ansatz für dieses Doppel-Album?

A.H. Da gab es verschiedene Ansätze. Einer war: zehn Jahre Zick-Zack. Ein anderer war der, daß ich wieder mal Lust hatte, einen Sampler zusammen zu bringen. Der letzte stammt ja schon von 1984, der hieß „Wunder gibt es immer wieder“. Und zum dritten gab es bis jetzt keinen ähnlichen Versuch, mal eine Dokumentation über die momentane bundesdeutsche Szenerie zu erstellen. Aber eigentlich ist das ein wahnwitziges Unterfangen, all das, was mir zur Zeit wichtig erscheint, auf einem Sampler zu versammeln. Da müssen ganz zwangsläufig auch viele Sachen rausfallen. Auch rausgeflogen sind Sachen, die ich nicht mag, z.B. Hardcore-Bands, aber auch Gruppen, die eine bestimmte, eigene Aufmerksamkeit brauchen, wie einige schräge Electrodinger. Der Avant-Core-Bereich ist also nicht vertreten. Es ist schade drum.

R.G. Wie bist du an die Zusammenstellung heran gegangen, hat die Platte ein bestimmtes Konzept?

A.H. Ich habe nach meinem Geschmack gearbeitet. Zuvor hatte ich mir ca. 300 Tapes angehört und danach die Songs ausgewählt und zusammen gebracht. Ich finde es so am hörbarsten. Es gibt eigentlich nur eine Seite, die zweite, die in sich geschlossen ist, alles Electro-Musik. Alles andere ist mehr oder weniger bunt gemischt. Die vierte Seite präsentiert allerdings nur Bands, die bis dahin überhaupt noch keine Veröffentlichungen hatten. Übrigens hat SPEX-Autor Diedrich Diederichsen zur Platte einen sehr differenzierten Text über deutsche Rockmusik und ihren internationalen Stellenwert verfaßt.

 

R.G. Alfred, empfindest du Hamburg als musikalisch attraktiv? Lebt die Szene hier oder ist es eher langweilig?

A.H. Es gibt keine einheitliche Szene hier. Es gibt verschiedene Nischen, in denen einiges vor sich hin murkst oder brodelt. Das ist je nach Jahreszeit so nach Lust und Laune der Leute oder je nach angesagtem Trend sehr unterschiedlich. In letzter Zeit wurde Hamburg nach außen hin leider mehr durch Fun-Punk, als durch andere Dinge, vertreten. Aber das löst sich durch den herrlichen Mißerfolg von King Rocko Schamoni schon wieder auf. Es gibt aber so drum herum eine Menge interessanter Sachen, siehe die St. Pauli-Szene. Das ist aber auch wieder mehr Stadtteil bedingt, was da stattfindet. Weil in diesem Umfeld sehr verschiedene Leute leben. Denn da kann man billig leben, da gibt es viele Kneipen, gute Clubs. Da haben sich so nach und nach die Leute hinorientiert. Da findet man noch richtige Underground-Strukturen, die in eine großen Öffentlichkeit noch nicht vermarktbar sind.

R.G. Siehst du noch andere Aktivitäten oder Zentren?

A.H. Ja, da gibt es zum Beispiel um den Plattenladen „Unterm Durchschnitt“ eine ganz merkwürdige Szenerie. Geräuschmusik. Harte Elektronik-Sachen, manchmal verstaubt alt, noch inspiriert von SPK und Throbbing Gristle. Da laufen Konzerte, die ein größeres Publikum verdient hätten, bloß oft erfährt man das gar nicht. Manchmal treffen sich dort auch nur sechzig ausgewählte Leute.

R.G. Gibt es in Hamburg wenigstens ein Interesse füreinander und nimmt man sich gegenseitig wahr und ernst?

A.H. Das schon. Aber so einen Austausch, wie es ihn vor zehn Jahren noch gab, findet nicht mehr statt. Es gab seinerzeit so eine totale Offenheit für neue Ideen, neue Richtungen. Die Leute, Musiker wie Publikum, waren richtig hungrig danach. Es herrschte ein richtige Aufbruchsstimmung, aus gelöst durch die englische Punk-Bewegung. Das gibt es heute nicht mehr. Heute ist das mehr so ein kalkuliertes Vergnügen, gepaart mit einer doch möglichst überschaubaren Rationalität, was die öffentliche Inszenierung angeht. Man will ja auch Platten verkaufen und volle Konzerte haben. Heute ist aber auch der Konkurenzdruck härter als vor zehn Jahren und das Publikum ist viel zersplitterter.

R.G. Welche neuen Tendenzen oder Haltungen siehst du den in diesen Jugendkulturen?

A.H. Die Kids heute interessiert doch nicht mehr, was da an merkwürdig geschrammelten Gitarren aus dem Untergrund kommt. Die orientieren sich doch viel mehr am Dancefloor. Es gibt allerdings nur sehr wenige HipHop-Sachen, die hier in Hamburg passieren. Eigentlich schade. Die Kids gehen halt zu Madonna, die anderen zu Heavy Metal, sie hören Rap oder kaufen sich die Scheiben von den Goldenen Zitronen. Das ist alles sehr aufgesplittert.

R.G. Gibt es für dich persönlich interessante, junge Hamburger Bands?

A.H. Wenige. Ich muß sagen, ohne eine Reihenfolge aufzustellen: KMFDM, die jetzt in die USA ziehen, weil sie es hier nicht mehr aushalten, die Kolossale Jugend und natürlich Die Erde.


Die Erde 

R.G. Wie siehst du den Status schon länger aktiver Hamburger Gruppen wie Cpt. Kirk, Geisterfahrer oder Abwärts?

A.H. Was da bei Abwärts im Moment passiert, ist ja der Versuch, auf die alten Tage noch ein paar Mark abzusahnen und vielleicht doch nicht auf dem Sozialamt zu enden. Cpt. Kirk hatten es sehr, sehr schwer, den Thomas Levin war zeitweise gelähmt und konnte überhaupt nicht arbeiten. Die Geisterfahrer hab ich vom Label genommen, das ging einfach nicht mehr. Das sind alte Herren, die ihren Arsch nicht mehr hochkriegen.

R.G. Und wie würdest du die Stellung Hamburgs als Musikstadt in Deutschland beschreiben?

A.H. Ich lese dauern in irgendwelchen Zeitungsberichten, daß es hier 3000 Bands geben soll. Die kennt aber kein Mensch, das sind bestenfalls Projekte, die überhaupt nicht in der Öffentlichkeit relevant werden. Ich denke, daß die Kids hier, und das bereits seit einigen Jahren, zu wenig aus ihrer Langeweile machen. Kennzeichnend für die heutige Situation ist beispielsweise, daß es überhaupt kein Fanzine in Hamburg gibt. Stattdessen herrscht überall geradezu Vergnügungssucht, dadurch gekennzeichnet, daß man sich da zur Schau stellen kann. Es ist in der Underground-Szene, die ein paar Läden hat, auch noch so, daß es den Leuten so langweilig ist, daß sie Prügeleien inszenieren, um nicht tödlich gelangweit nach hause gehen zu müssen. Dies ist aber nicht unbedingt förderlich für ein kulturell interessantes Klima. Nun ist Hamburg sowieso nicht gerade eine für neue Kulturen offene Stadt, die eher hanseatisch und kaufmännisch geprägt ist. Andererseits hast du hier grobe soziale Randgebiete, die Trabantenstädten, wo das Subproletariat lebt. Durchsetzt von Ausländern, die in manchen Bezirken über zwanzig Prozent stellen. Da ist ja ein enormes Unruhepotential vorhanden. Das drückt sich aber eher in Gewalt aus, davon redet man in der schicken Innenstadt aber nicht. Aber vielleicht entwickeln sich ja im Zuge der Vereinigung so viele Wiedersprüche oder Auseinandersetzungen, daß daraus wieder spannende Projekte entstehen.

Ronald Galenza    NMI – Neue Musik Information - Juli 1991