Sandow - Schwarze Sonnen

Interview über die Band Sandow. Ronald Klein befragt Electric Galenza für das Buch:
"SANDOW - 30 Jahre zwischen Harmonie und Zerstörung"

Hier lest ihr das komplette Interview.
(im Buch wurde es leicht gekürzt)

Wann sind Dir Sandow das erste Mal aufgefallen?

Wir hatten auf der Insel der Jugend in Berlin-Treptow unsere Punk- und New Wave- Veranstaltungen „X-Mal. Musik zur Zeit“. Als einer der allerersten Bands haben wir dort Sandow im April 1986 veranstaltet. Da kamen so blutjunge Kerle aus Cottbus an, die eher schüchtern wirkten. Dann fielen sie natürlich auch auf in der DDR-Rock-Doku „flüstern & Schreien“, wo sie so Fänger im Roggen on the road-mäßig unterwegs waren. Viele Kornfelder, Wiesen, Wälder. Songs über das Niemands- und Märchenland. Man konnte schon diese suchende Ernsthaftigkeit spüren. Eine permanente Befragung. Wir haben an die Band geglaubt und sie immer wieder zu uns auf die Insel der Jugend eingeladen, sie spielten da im März und September 1987, zu Silvester 1988 und im Februar 1989. So lernte ich die Jungs auch persönlich kennen.

 

Wie wirkte die Band damals auf Dich?

Indifferent. Unfertig. Suchend. Gärend. Roh. Aber auch willenstark. Mit gewissem Potenzial. Die hatten ein Selbstbewusstsein, keine Ahnung woher. Sie wirkten auf mich, als wären sie permanent auf der Flucht. Und die hatten so ein nervendes Saxophon dabei, wie viele Bands in dieser Zeit. Aua.



 

In Deinem Standard-Werk "Wir wollen immer artig sein" liegt der Fokus stark auf den frühen Punk-Bands. Wie wirkten denn die jüngeren Independent-Bands auf Punks der "ersten" oder "zweiten Stunde"?

Ungut. Man muss sehr unterscheiden vom Anfang der Achtziger zur Mitte, so ab 1986. Die ersten, frühen Punk-Bands (1979-1983) haben vom Staat noch voll auf die Fresse bekommen und wurden krass kriminalisiert. Einzug zur Armee, Knast oder Abschiebung in den Westen. Da diesem Kontrollstaat die Jugend von der Fahne ging, musste der sich bewegen. Plötzlich wurden Einstufungen für die nachfolgenden anderen Bands viel einfacher, die konnten dadurch fast überall auftreten. Statt Kellern oder Dachböden nun Kneipensäle und FDJ-Jugendklubs. Die ersten Punks fanden das gar nicht lustig, denn die wollten nie einen Deal mit diesem System. Da hörte man schon oft, diese neuen Bands wollen wohl Karriere machen?

 

Sandow wirkten stets ein wenig abseits bestimmter Cliquen (was mit Sicherheit auch an den lokalen Gegebenheiten liegt)?

Keine Ahnung. Ich war immer Berliner, was interessieren mich die Provinzen? Ich war nie in Cottbus-Sandow. In einem Song singt Kai „In Berlin, in Berlin, da ist die Scene“. So war es. Ich fand es immer gut, wenn nicht alles eine Soße ist. Bei Sandow ging es auch um Selbstbehauptungswillen und anders sein als die anderen. Eigene Wege finden und die dann auch konsequent gehen. Willst du die Bräute oder Unsterblichkeit?

 

Du hast "Stationen einer Sucht" sehr euphorisch besprochen, wie hast Du die weitere künstlerische Entwicklung verfolgt?

Ja, ich hab damals geschrieben: „Was wollt ihr hören? Ich habe diese Platte 28mal gehört, so oft wie keine sonst. Und was soll ich sagen: die beste Rock-LP, die je bei Amiga erschienen ist. Da habt ihr’s. “... und mein Herz schimmelt.” Dazu steh ich weiter. Die haben irgendwie mein Herz berührt und das mit einer Scheiß-Ostplatte. Irgendwie mochte ich ihren Shit. Auch wenn es immer düsterer wurde. Im Herbst 1994 schrieb ich für das Berliner Stadtmagazin TIP zu Sandows Platte „Anschlag“: „Wahrlich ein musikalischer Anschlag auf's Gehör ist Sandow's sechstes Opus "Anschlag" (Fluxus-Platten). Mit einem hoch verdichteten Gemisch aus flammenden, wütenden Gitarren und gehetzten Industrial-Stromstößen walzen Sandow alles gnadenlos nieder. Rufer Kohlschmidt streunt wieder verzweifelt und desillusioniert durch die kalten Ruinen der Städte und reitet eindrucksvoll seine sprachgewaltigen, apokalyptischen Pferde. Da bleibt kaum Hoffnung.“ Hab mir also bis heute jede neue Sandow-Scheibe interessiert angehört. Verfolge den Prozess!

 

War der Vergleich mit den Einstürzenden Neubauten für Dich nachvollziehbar?

Ja klar. Aber was solls? Jede DDR-Combo hatte irgendwelche internationalen Vorbilder: Joy Division, The Cure, die Residents, The Smiths oder sonst wen. Warum also nicht die damals noch sehr energetischen Neubauten. Und Sandow kamen aus Neubauten, der Platte. Schon okay. Wir sind alle auf der Suche.

 

In den 90ern kokettierten Sandow sowohl mit Brachial-Sound wie auch sehr artifiziellen Ausdrucksformen – eine Überforderung für den Fan?

Ach ja, der Fan. Wer ist das eigentlich? Dinge ändern sich, du kannst nicht zehn Jahre das gleiche machen. Du musst weiter gehen, anderes wagen, sonst wirst du irre an dir selbst. Künstler müssen tun, was Künstler tun müssen. Wir sind nur Gäste beim Schaffensprozess. Ich hab Sandow in der Berliner Volksbühne vor Laibach erlebt. Das war nicht schön. Sie wollten lauter sein als die Hauptband. Das macht wenig Sinn, wenn 500 Leute aus dem Saal fliehen, um nicht zu ertauben. Ich spürte da bei der Band eine große Unsicherheit. Lautstärke mag das eine sein, Stille und Dynamik etwas anderes.

 

Ende der 90er-Jahre lösten sich Sandow auf und kehrten mit neuem Sound vor einigen Jahren zurück. Eine für Dich konsequente Entwicklung?

Für mich wurden Kai und Chris erst nach der Wende die interessanteren Köpfe, die sich weiter entwickeln mussten. Wissender wurden. Sie hatten ihren Manager verloren, sich selbst, alle Sicherheiten. Dann sind sie gereist, die Welt ist doch etwas größer und schöner als Cottbus. Sie mussten weiter werden. Danach hab ich die Jungs komplett aus den Augen verloren, wie so viele andere Bands. Kein Interesse an Selbstzerstörung und Selbstaufgabe. Nach all den Irrungen, Streits, Drogen, Fluchten, Trennungen – sie können wohl nicht voneinander lassen. Dazu dieser immerwährende Fluch ihres Hits „Born in the GDR“. Den konnte keiner mehr ertragen. Heute wollen den bei Konzerten wieder alle hören, das wirkt wie ein Fluch. Heute ist es soviel schwerer in diesem Überangebot von Musik zu bestehen, da musst du schon wach bleiben und weiter gehen.



 

Wenn Du jemandem, der die Band gar nicht kennt, die Qualitäten Sandows beschreiben willst, welche Attribute würdest Du wählen?

Was ist Musik? Ich kann das nach all den Jahren mit Musik immer noch nicht erklären. Sie kriegt dich oder nicht. Ich sah sie dann 2007 nach langer Zeit mal wieder live und schrieb darüber für eine Zeitung: "Als letzte Band des Abends: Sandow. Auferstanden aus alten Streits, wirkten die Jungs am professionellsten und lautesten. Alle in schwarze Anzüge gekleidet, zündeten sie ihre schwarze Sonne an. Chris Hintze und Kai Kohlschmidt wirken inzwischen kahl rasiert wie buddhistische Kampfmönche. Kohlschmidt dramulierte mit seine diabolischen Teufelsaugen und einer Art verschlüsselter Gebärdensprache die Songs. Eine Bratsche sorgte für spannende Dramatik, ab da wurde es richtig gut und fesselnd. Sie holtzen die neuen Songs ihrer gerade erschienen CD in den immer leerer werdenden Saal. Unglaublich und ganz unerwartet, befeuerten sie die wahren Fans doch noch mit ihrem Wende-Hit „Born in the G.D.R.“ Mit mir war ich immer noch allein. Wir fühlten uns bestärkt in der Ungewissheit der Nacht." Ich habe diese Band mal sehr gemocht, aber das kann ich verbal nicht erklären. Die ersten Lieben kommen nie zurück und ich hab zuviel gesehen. Tanzt einfach dazu.


Electric Galenza März - 2014