DIE FEHLFARBEN - Geschichte wird gemacht

 

Paul ist gar nicht tot, er war nur einige Zeit weg, genau wie die Fehlfarben. Und die waren, neben den Neubauten vielleicht, die wohl wichtigste und spannendste Band deutscher Punk- und Wave-History. Ihre erste LP “Monarchie & Alltag” (1980) genießt noch heute Kult-Status und Hits wie “Es geht voran”, “Grauschleier”, “Militürk” oder “Paul ist tot” liefen damals nicht nur auf jeder Party, sondern beeinflußten auch eine komplette Generation von Fans und Musikern. Weil: Es war eine deutsche Platte. Wie kaum eine andere Schallplatte drückte “Monarchie & Alltag” deutsche Befindlichkeit aus, wurde zum Spiegel der Unzufriedenheit der nachwachsenden Generation zu Beginn der achtziger Jahre und reflektierte eine Jugend im Aufbruch. Einige Songs wurden zu Hymnen im Häuserkampf! Vielleicht die wichtigste, bleibendste deutsche Rock-LP. Und das Erstaunliche dabei: sie vertrat den Underground und hatte Charterfolg! Dies wohl aufgrund der stimmigen Dichte von einfacher, gerader Musik und ungewöhnlichen, allgemeingültigen Texten. Und wurden nach außen vor allem durch den eindringlichen Gesang Peter Heins getragen.

Das war vor Jahren. Hein stieg nach der ersten LP entnervt aus, er hatte keinen Bock mehr auf nervenzerrüttende Touren durch Suff und Dreck. Vielleicht kniff er auch, denn plötzlich war der Erwartungsdruck riesig. Heute singt er: “Zu verstehen was war, fällt mir nicht leicht/ hab den Kopf voller Bilder. Die Zeit sah uns zu, sagte es reicht/ seitdem erleb ich alles gefiltert. Die Worte, die uns zusammen brachten, stehen noch immer im Raum./ Ich war zu dumm, auf die Zeichen zu achten.” Vielleicht kann man auch nur eine solche LP im Leben machen.

Hein, der sich nach einem Clash-Stück “Janie Jones” nannte, stieg bei Family 5 ein, die Fehlfarben machten indes noch für gute LP’s weiter. Elf Jahre später hat die Mutter von Peter Hein nun doch noch den Grauschleier über der Stadt weggewaschen, die Fehlfarben haben sich in Originalbesetzung wiedervereint: Peter Hein (voc), Thomas Schwebel (g), Uwe Bauer (dr), Frank Fenstermacher (sax) und Michael Kemner(b). Daran hatte niemand mehr ernsthaft geglaubt, aber das sind die Geschichten aus dem wahren Leben. An einer Fehlfarben-Reunion hatten im Laufe der Jahre verschiedene Leute gebaggert, es gab immer mal diesbezügliche Anrufe. Erstmal hatten sie keine Lust, zumal nach Hein auch Kemner nach der “33 Tage in Ketten”-LP ausgestiegen war und alle fünf sich, in verschiedenen Städten lebend, so ziemlich aus den Augen verloren. Kemner gründete Mau Mau, Bauer spielte bei Element of Crime, Pachinko Fake und immer noch bei Mint, Fenstermacher verstärkt noch heute den Plan, Schwebel installierte das Königshaus-Label und auch Hein hatte neben Family 5 noch sein Sneaky-Pete-Label.

Die Fehlfarben-Story verschwand in der Rock’n’Roll-Vitrine, denn: wenn die Wirklichkeit dich überholt hat, hast du keine Freunde, nicht mal Alkohol. Du stehst in der Fremde und bleibst allein; wie Hein damals schon wußte. Aber der Rock ist ein verdammt zäher Hund, und das Leben geht meistens auch weiter. “Ist dies nun endlich eine neue Zeit, sieht verdammt aus wie die Vergangenheit. Nach all den Jahren tun, als sei nichts gewesen, wann wird man endlich mal die Wahrheit lesen”, fragt Hein heute.

1990 trafen sich die Fehlfarben in Düsseldorf bei Kaffee und Kuchen und entschlossen sich, es noch einmal zu wagen. Ein Entschluß, der nicht ganz leicht gefallen sein dürfte, denn sie hatten längst einen legendären Ruf, der nun eventuell auf dem Spiel stand. Aber einerseits lockte diese neue Herausforderung und andererseits “kann man sich zwar sein Leben lang auf alten Erfolgen ausruhen und davon zehren, mir aber reicht das nicht” ergänzt Michael Kemner. “Natürlich ist so ein Come-Back ein Problem”, erklärt Uwe Bauer, “denn es ist auch eine sehr emotionale Sache. Obwohl alles schon zehn Jahre her ist, ist es für viele, die heute im Medienbereich und bei der Rockpresse arbeiten, schwer, damit umzugehen, denn viele sind ja mit unserer Musik groß geworden. Es gibt da diese beiden Fraktionen: Die eine sagt, die haben einmal eine so tolle Paltte gemacht, die dürfen nie wieder eine machen, egal wie, denn das schadet dieser einen LP. Die wollen einfach ihre Erinnerungen behalten. Und dann gibt es eben die andere, die offen ist für die neuen Sachen.”

Für die Musiker stand ein anderes Problem: wie würde man sich nach so langer Zeit verstehen und miteinander umgehen können? “Wir trafen uns erstmal im Plan-Studio in Düsseldorf” schildert Michael Kemner die Situation. “Wir haben da einfach unsere Stecker in die Verstärker gestöpselt und losgespielt. Das war irgendwie abenteuerlich. Als wir da alle in diesen Raum reingingen, hatte ich schon so ein Kribbeln, so nach zehn Jahren.” Uwe Bauer ergänzt: “Es war am Anfang so, also ob wir nur drei Monate nicht geprobt hätten. Wir haben einfach gespielt und jeder hatte irgendwelche Ideen.” Die einstige Kommunikation funktionierte also wieder, die Ideen gingen dann erstmal durch die alte Fehlfarben-Mühle und haben sich dabei oft verändert.

In der zweiten Phase gingen die fünf dann daran, die Platte in Hamburg zu produzieren, die Titel standen jetzt. Für viele dabei die interessanteste Frage, was wollen die Fehlfarben heute? Gab es da ein Konzept, im Jahre 1980 weiterzumachen oder auch aktuelle Trends aufzunehmen? Der Drummer sieht das so: “Ich kann’s nicht genau erklären, aber es gibt so etwas wie einen Fehlfarben-Stil, und da ist die Art der Stücke erstmal egal. Das war schon vor zehn Jahren so. Damals haben zum Beispiel alle gemeckert, ‘Ein Jahr’ sei Disco, und heute nörgeln wieder einige über Rave bei ‘Nichts erreicht meine Welt’. Das war für uns keine bewußte Sache, denn dieses Stück hat beispielsweise anfgangs ganz anders geklungen und hatte einen völlig anderen Rhythmus.”

Es ist eigenartig mit dieser neuen “Platte des himmlischen Friedens”, sie ist schon eine archetypische Fehlfarben-LP, viele Songs schließen logisch an das Debüt an. Tracks wie “In Zeiten wie diesen”, “Verschenkt” oder “Zarte Zeilen” atmen voll den alten Geist und “Wie bitte was?” scheint mit seiner Intensität, Wut und Kraft fast noch 1980 geschrieben. Aber es finden sich eben auch Songs wie “Mich und den Rest”, “Einsam” oder “The tarnished angels”, die Verwirrung auslösen könnten, klingen die doch ziemlich ungewohnt für die Fehlfarben. Da klingen akustische Gitarren und Tambourine, Orgeln quengeln (Helge Schneider), eine Pedal-Steel-Gitarre pieckst, eine Harp zirpt und manchmal wirkt das Piano etwas über arrangiert. Andererseits sind nun mal zehn Jahre den Rhein, die Spree und die Elbe hinuntergeflossen, alle hatten andere Einflüsse (außer Peter Hein wahrscheinlich, der immer noch voll auf Pub-Rock steht). Es gäbe wohl auch nicht viel Sinn, heute eine staubige Platte zu machen.

Wie alle an der Musik herumfingerten, gab es immer wieder auch Diskussionen, um die Texte von Hein und Schwebel, denn Janie hat auch heute noch einen sehr giftigen, bitteren Blick auf die Welt: “Die Straßen, die ich seit Jahren kenne, sehen plötzlich anders aus. Alle jagen nach einem Stück vom Kuchen, alle kommen ganz groß raus. Jeder kämpft für sich, hat sich abgefunden, Ideale schlagen die tiefsten Wunden. Wann drehst du durch in Zeiten wie diesen? Wie hält man durch in Zeiten wie diesen?” Beste Fehlfarben-Tradition! Uwe Bauer relativiert: “Es gab schon eine ganze Reihe Textpassagen und teilweise ganze Texte, wo wir gesagt haben, die sind Scheiße, die will ich nicht auf der Platte haben. Da hatten alle Einfluß, es war nicht so, daß wir nur musikalisch untermalt hätten, was die beiden geschrieben haben.”

Manchmal wirkt Hein aber auch sehr belehrend wie in “Am falschen Bahnhof”, wenn er deklamiert: “Leute, ihr macht euch doch viel zu früh fertig, ihr wartet auf den falschen Zug. Leute, ihr steht am verkehrten Bahnsteig, ihr werdet aus dem Fahrplan nicht klug.” Das da aber einer unbequem bleibt und stänkert ist in Ordnung, er läßt es oft ungehemmt raus: “Die da oben, von denen die reden, die sich geistig wenig bewegen, die sind gar nicht oben, die sind doch das Letzte vom menschlichen Eintopf. Weil auf der Straße niemand mit ihnen spielte, bilden sie heute die Abschaum-Elite. Behaupten dann ganz dumm und dreist, es wäre Platz an der Spitze mit etwas Ehrgeiz. Und sind’s auch nur Worte, vielleicht kommt der Tag, da trifft den Richtigen der richtige Schlag.” Hier, in “Wie bitte was?” wird Hein regelrecht gallig und giftig und pinkelt den herrschenden Anzügen kompromißlos ans Bein.

Es ist immer schwierig, mit Legenden umzugehen, zumal sie noch nicht am Rock-Firmament verwittert sind. Deutsche Rockmusik war immer umstritten, immer wieder stellt sich die Frage nach Eigensinn und Selbstwert. Deutsche Rockmusik ist selten sie selbst, bei den Fehlfarben fehlt nun aber wohl keine Farbe mehr. Wie sangen sie einst so trefflich? “Wir tanzten bis zum Ende, bi zum Herzschlag der besten Musik, jeden Abend, jeden Tag, wir dachten schon, das ist der Sieg!” Der war es damals dann doch nicht, aber vielleicht ist ja dieses Wiederzusammenkommen so ein kleiner Sieg. Die Fehlfarben sind jetzt wieder eine richtige Band, kein Mensch weiß, wie lange das hält. Hein kräht: “Die Last zu vergessen, ist mir zu schwer, ich will mich auch gar nicht besiegen.” Sie werden nun erstmal live spielen und Uwe Bauer meint: “Wir wollen es probieren, ob es diesmal länger hält als anderthalb Jahre!” Oder wie Peter Hein weiß: “die zweite Hälfte des Lebens könnt ihr haben.”

Ronald Galenza

 

Juli/ August 1991    NMI & Messitsch Berlin /   S. 4-5