DIE ERDE – EIN HAUS AUS STEIN

 

Die Erde lebt. Ach Erde, unser altes, treues Muttertier. Dieser Planet, der doch unser ganzes Leben ist. Alle deine Probleme sind nichts gegen die der Erde. Sie ist deine Heimat, ob dir das nun gefällt oder nicht. Du wirst nicht loskommen von ihr. Ronald Galenza stieß mit der Erde in einem Hamburger Wohnzimmer zusammen.

Das erste Mal sah ich Die Erde in einer leeren Milchtüte. Eingewickelt bei einem Kollegen auf dem Schreibtisch. Da lag sie nun, so verloren und verletzlich. Zum letzten Mal sah ich Die Erde vor kurzem im Berliner Loft. Sie drehte bereits ihre letzten Runden. Zwischendurch begegnete ich Der Erde in Hamburg. Denn diese Erde ist eine Band aus der wäßrigen Hansestadt. Als ich Tobias Gruben, den Sänger und Texter anrief, fragte er mich verstohlen, ob ich nicht ein paar Bier mitbringen könne. Ich konnte. Wir haben angestoßen auf diese Erde. Die Erde gibt es immer und ewig. Diese Erde gibt es so lange noch nicht, keine Zeit zur Bemoosung und Mondbildung. Aber vielleicht bin ich ja so ein Mond, der sie hartnäckig umkreist.

Hamburg ist derzeit ein gutes Pflaster für interessante, junge Bands, da ist etwas am Gären und Kochen. Vielleicht bis zum Urknall. Tobias Gruben spielte und sang zuvor bei der Hamburger Formation Cyan Revue, die eine undurchsichtige, verquaste Musik zelebrierte. Aber für diese Revue fiel längst der letzte Vorhang. Gruben, der aus Süd-Deutschland in den Norden zog und Wolf Biermann glühend verehrt, wußte längst, daß er eine neue Band wollte. Die Erde also: Tobias Gruben (voc), Horst Petersen (b), Tobias Levin (g) und Johann Popp (dr). Die Erde ist eigensinnig. Mit schwerer, schleppender Rhythmik balanciert sie durch Universum. Unbeirrbar. Wegweisend. Licht werfend auf viele andere, kleine Sterne. Kosmische Wahrheiten verkündend: „Tag für Tag/ bricht mir die Scholle/ unter den Füßen entzwei/ Liebst du die Erde/ baue ein Haus dir aus Stein“ (Text aus „Vater). Denn die Erde ist groß und einsam. Und nur scheinbar rund. Kugelig. „Gehorch/ wie das Haus der Menschen abermals erwacht/ und geschrien wird hüben/ drüben wird gelacht/ doch in deinem Zimmer bleibt es immer Nacht/ Nie ein Mensch gewesen/ klammert sich ans Leben.“ (aus „Graben“)


Das INTERVIEW

Galenza. Wie seid ihr denn auf diesen Bandnamen gekommen?

Gruben: Die Sache ging schon sehr lange in meinem Kopf herum. Schon als ich noch bei Cyan Revue war, hatte ich darüber nachtgedacht. Es geisterten viele Namen in mir rum, aber Die Erde war einfach der Kracher! Es ist von der Bedeutung her wunderbar. Also die Erde einmal in dem Sinne  von Mikro-Erde, die an deinen Fußsohlen klebt, der Schmutz, der letzte Dreck und dann eben auch dieser ganze Planet. Das läßt so viele Deutungen zu und die sind irgendwie alle gut. Die kann ich gar nicht alle aufzählen.

 

Galenza. Eure erste Single mit der ihr ja auch recht schnell bekannt geworden seid, hieß „Party“. War das so geplant?

Gruben: Naja, wir hatten eine ganze Auswahl von Stücken. Und davon war „Party“ nach Ansicht aller das richtige Vorzeigestück, das ziemlich nach vorne abgeht. Die anderen Songs sind ja meist sehr schwer und sehr nachdenklich und wir wissen ja, daß die Leute nicht gerne angestrengt werden. Eigentlich ist das ja schrecklich, aber man sieht, daß auch wir uns bereits damit arrangiert und dieses Stück ausgewählt haben. Und eben nicht ein anderes, das vielleicht von der Bedeutung oder vom Inhalt her intensiver gewesen wäre. „Party“ ist im Grunde ein banales, schnelles Stückchen, andere Titel haben mehr Aussage, sind dadurch aber auch schwerer zu verdauen.

Galenza. Wie kam es zur Zusammenarbeit mit F.M. Einheit (Mufti) von den Neubauten?

Gruben: Mufti kenne ich schon länger über Marc Chung. Geplant wir eigentlich, daß Blixa Bargeld bei „Party“ mitmacht, aber das klappte terminlich nicht, die Herren haben ja immer viel zu tun. Dann traf ich Mufti eines Tages auf einer Party und spielte im ein Stück vor, wo noch das Schlagzeug fehlte. Ich fragte ihn also, ob er nicht Lust hätte, da zu trommeln. Hatte er auch. Unser Labelchef, Alfred Hilsberg, schlug Mufti auch als Produzenten vor, so ging das dann.

Galenza. War diese Zusammenarbeit nützlich für die Medien-Resonanz?

Gruben: Das will ich doch meinen. Das muß man doch wohl annehmen. Das war aber nicht unser Ansatz. Aber jeder Musiker spielt natürlich auch mit solchen Eitelkeiten. Unsere LP „Kch Kch Kch“ hat sich auch ganz gut verkauft. Aber leben kann ich davon natürlich noch lange nicht. Da muß man halt geduldig sein.

Galenza. Du lebst schon eine ganze Weile in Hamburg. Wie siehst du die Musikszene hier?

Gruben: Ich finde, sie könnte viel lebendiger sein. Es gibt einerseits diese ganzen Eitelkeiten, diesen Neid und dieses Konkurrenzdenken. Und dann gibt es eben einfach Freunde. Ich bin z.B. mit den Kastrierten Philosophen total gut befreundet, da könnte es niemals eine Mißstimmung geben. Ich denke eben, noch mehr Leute könnten Freunde sein. Vielleicht eine naive Hoffnung, muß ja auch Feinde geben. Wir haben Freunde und Feinde und ich mag sie beide und beide sind wichtig. Lieber ein gute Freund als ein schlechter Feind.

Galenza. Wie würdest du das Verhältnis zwischen den Hamburger Bands charakteresieren?

Gruben: Ich hab den Eindruck, daß Fun-Punk, diese Clique um die Goldenen Zitronen zum Beispiel, und wir, uns kaum kennen. Dabei ist doch die Grundlage eine ähnliche: erst mal subversiv sein, sich querlegen und Störenfried sein. Solche Bands haben untereinander kaum Kontakt und das finde ich eigentlich schade. Man könnte vielleicht mehr machen, mehr ausrichten, wenn man gemeinsam an einem Strang ziehen würde, statt sich aufzusplittern.

Galenza. Tobias, wie kommst du zu den Themen in deinen Texten? Orientierst du dich da an äußeren, gesellschaftlichen Prozessen?

Gruben: Das geht jetzt mehr und mehr los. Ich war eigentlich nie ein besonders politischer Mensch und habe sehr für mich selbst gelebt. Das merkt man auch an den Texten der Cyan Revue und denen der Erde-LP. Da ist ein junger Mann, der sich mit sich selbst beschäftigt. Auf der neuen Platte wird man dann auch merken, daß es jetzt ein junger Mann ist, der sich mit der Welt und seiner Umgebung beschäftigt. Meine Texte sind aber auch, teilweise beabsichtigt, verwirrend. Weil ich glaube, daß es immer wieder gut ist, Verwirrung zu stiften. Verwirrung ist ein ganz wichtiger Zustand!


Ich hab’s ja geahnt, die Erde würde mich verwirren. Recht so. Und nun? Die Erde gibt es nicht mehr. Aufgelöst. Zerfallen. Kaputt. Nix Erde mehr. Aus.

Da stand dieser schmächtige Tobias Gruben ein letztes Mal auf einer erdigen Bühne, löste die schmale Krawatte und legte fast feierlich das weiße Hemd ab. Und drang ein letztes Mal tief in die Schichten, ins Innere dieser Erde vor, glühendes Magma heraus schleudernd. Wehmut & Energie. Es war ein grandioser Abschied, die Erde schien zu beben. Es wirkte, als stießen die Kontinente zusammen. Fulminant. Andere Erdlinge haben diesen Augenblick gebannt und werden ihn auf Vinyl ins All hinausschicken.

Aber die Kontinente driften auseinander, zwischen Gruben und Petersen, die doch für dieses herrliche Vibrieren sorgten, gab es heftigen Streit. Ende der Vorstellung. Das Schlußwort spricht Gruben selbst: „Ich kann diese Trauer gar nicht teilen. Es geht doch darum: Häuser aufbauen, Häuser einreißen, aufbauen, einreißen... Vielleicht gibt es ja eine neue Erde. Ich habe noch keine Lust, mit Leuten aus Reihenhäusern in einer Band zu spielen.“

Und sie dreht sich doch.

Ronald Galenza - NMI, Europa Rock Zeitung,  14/1990  (28.11.90)   S. 5

P.S.: Tobias Gruben starb am 2. November 1996 infolge einer Überdosis Heroin