FLOWERPORNOES: Ich hab das Recht auf Verzettlung
Rockmusik treibt manchmal seltsame Blüten. Der wohl eigenwilligste Songschreiber deutscher Zunge heißt Tom Liwa. Ronald Galenza spann sich in die Gedankenwelt Liwas und bindet dessen Ideen zu einem duftenden Strauß seltsamer Blüten.
Die neue Flowerpornoes heißt etwas überzeichnet „As Trivial As Life and Death“ und hat vieles in sich: Greatful Dead-Geplinker, Feedback-Wirren, Blues-Fetzen, eine dylaneske Mundharmonica, psychedelische Verschleifungen, wispernde Sixties-Orgeleien und die balladeske Wärme hingehauchter Songs. Der erste Höreindruck läßt einen verwirrt und ratlos zurück, die Platte erscheint anfangs irgendwie unfertig und verzettelt. Auch kein Wunder bei 18 unterschiedlichen Stücken. Aber Liwa läßt sich Zeit, er wickelt seine Songs ganz langsam und genüßlich aus; insgesamt eine große Platte voller ausgereiftestem Songwritertum. Er scheint seine Lieder förmlich hinzutuschen, ganz wie die unzähligen Zeichnungen, die er und seine Schwester Birgit, die Keyboards spielt und singt, ständig anfertigen. Drittes Bandmitglied ist Till M. Steinebach, ein stiller, zurückhaltender Trommler. Auf der bevorstehenden Frühlingstour kommt noch der Bassist Klaus K. Steffen hinzu. Aufgenommen haben die seltsamen Blumen ihre dritte LP im Hamburger Knochenhaus-Studio, produziert übrigens von Matthias Arfmann (Kastrierte Philosophen).
Tom Liwa kommt aus Duisburg, hing aber nicht allzu fest in der Ruhrgebiets-Szene drin. Er fing an, als Punk auslief, die Leute wieder offener und toleranter wurden. Den entscheidenden Kick versetzten ihm damals Typen wie Sid Barrett und Kevin Ayers. Er hat vor den Flowerpornoes in verschiedenen anderen Konstellationen gespielt, nannte sich selbst Earth Dee D. Light und eine seiner Bands hörte auf den filigran-sublimen Namen Kaninchenfeder. Wirklich. Liwa war Hippie; nachdenklich, still, konsequent und offen. Ein Weg voller zerfurchter Nächte und das Nachgrübeln über die Welt. Seine Gedanken schreibt er oft sofort, oft gereimt oder aphoristisch, in eines seiner unzähligen kleinen Büchlein: „Ich schreibe ständig, zu hause wartet meine Schreibmaschine, ich habe auch immer ein Notizbuch dabei und ich schreibe regelmäßig Tagebuch. Das wäre auch eine Art, sich später weiter zu äußern, wenn ich mal keine Pop-Musik mehr mache.“ Auch seine Texte entstehen aus einer ständigen Spontanität.
Die erste LP der Flowerpornoes „Stardust Kiddies“ erschien 1988 und enthielt kleine, schrullige Perlen wie „Jesus patchouly abortion“, „Oh Cheflera“ oder „I never wanted to fall in love with Brix Smith“. Stille, verhaltene Lieder voller Wehmut. „Pumpkin Tide“, eine Mini-LP von ´89, öffnete sich mehr Neuem, der Track „Scream like Janis J“ nahm sogar Dance-Einflüsse auf und erstmals tauchen auf dieser Platte auch deutsche Texte auf. Unnachahmlich dieses Kokettieren, dieses bewußte Trudeln und Schlingern in „Hängen runter“ oder dieses behagliche Schlaffsein in „Farbe deiner Augen“. Die Songs liegen wie kleine, feste Steine in der Hand, warm und kugelig. Liwa meint zu den deutschen Texten: „Mir geht es um mehr Resonanz. Englische Texte sind ja durch die anglo-amerikanische Pop-Musik sehr verschlissen. Ich will schon verständlich sein. Ich seh da auch mehr Reaktionen während der Konzerte.“
Auf dem neuen Album überwiegen die deutschen Texte nun sogar und gewähren Einblick in die abstrus-verschrobene Welt des Tom Liwa, der kindlich-naiv schreibt: „Fühl mich wie ein klitzekleines Mädchen, fühl mich wie ein Spielzeug aus der Eiszeit. Fühl mich verschieden, das Haus so offen, der Kaiser, die Prinzessin, die Taube, ihr Mann“. Dann wieder abgeklärt, wissend: „Geborn/gestorb – nenn’s gute Zeiten, nenn’s wie immer du willst. Eine Blume, die wächst, endet in der Vase und dann auf dem Müll. Es ist immer dasselbe, always, alle Wege führn nach Rom. Sei nicht enttäuscht, erwarte nicht“. Die umgarnt er mit flüsternden, spielerischen Melodien, gewebt aus Sehnsucht und Melancholie, die anschwellen und wieder versickern. Dies sind nun aber nicht die Phantastereien eines abgedrifteten Spinners, nein, Tom Liwa glaubt das alles auch.
Ich fragt ihn also nach seinem Platz in diesem delierenden Land: „Die gesellschaftlichen Entwicklungen spielen für mich schon eine Rolle, es geht doch auch um meine Zukunft. Für Deutschland, aber auch für die gegenwärtige internationale Politik sehe ich allerdings sehr schwarz. Das fließt schon in meine Texte mit ein, allerdings nicht in Form einer politischen Abhandlung. Mir geht es um mehr Realismus, darum, den Leuten auch einen positiven Realismus zu vermitteln“, antwortet er darauf.
Eine dieser positiven Idee ist auf der neuen Platte, ich ahnte es, die Liebe, die aus so einigen Texten heraus lugt. Am schönsten wohl so: „Und das Herz sagt zum Kopf, ich hab dich lieb, auch wenn du blöd bist! Und der Bär sagt zum Bär, ich hab dich lieb, auch wenn du fusselst! Am Strand der großen Leere sitzen immer zwei und reden, habn irgendwo aufgeschnappt: Liebe macht die Welt sich drehn“. Liwa ist, und das verwundert nicht, großer Dylan-Verehrer, von dem er meint: „Ich gestehe meinem Idol auch zu, sich zu entwickeln. Mir geht es nicht nur um seine Mitsechziger-Zeit, ich akzeptiere auch die anderen Sachen.“ Auch Morrissey ist ein wichtiger Lyrics-Schreiber für ihn, wenn der eine neue Platte draußen hat, trifft man Liwa das komplette Textheft lesend. Aber Liwas Songtexte sind in Deutschland einzigartig, so was traut sich sonst keiner: „Am achten Tag schuf Gott das Monster, um ihm die Welt zu zeigen, die er für es geschaffen hatte. Doch das Monster war ziemlich unbeeindruckt, nagte an ein paar Himbeerbüschen und legte sich schlafen. Was Gott nicht wußte, war, das sich im Bauch des Monsters zwei blinde Passagiere in die Welt geschlichen hatten: ein Mann und eine Frau.“
Ronald Galenza - NMI, Rock Zeitung, 6.2.1991 S. 9