The Breeders - Die schnellen Brüter

Immer wieder gern auf dem Weg ins Land der Spaßtyrannen und des Fischgeruchs: Hamburg. Zwischen Stullenbüchse, Bierdosen und Weltliteratur - unser Scout ELECTRIC Galenza auf der Suche nach den Breeders.

breed-pla.jpgGimme Indie-Rock? Oder mal wieder im völlig falschen Bus? Gegenüber am Bootsverleih prügelt sich der Wochenendsuff ausgelassen zu Marius Müller-Westernhagen, in einem ehemaligen proletarischen Ausflugslokal gibt sich die C&A-Schickeria zur Western-Union die Kante. Und wir?
Links oben versengt eine blutorange Sonne das allabendliche Berlin des ausgehenden 20. Jahrhunderts und bringt die alte, schwarze Treptower Eisenbrücke, auf der sich vor kurzem noch Grenzposten langweilten, zu orangenem Glühen. Rechts oben das gelbe Gesicht eines Zufriedenheit austrahlenden Mondes. Ein Tag müht sich aus dem Kalender, der Mond hat's eilig dagegen und groovt sich in der rumpelnden Achterbahn des Plänterwaldes fürs Wochenende ein. Zwischen den Füßen plätschert mit der Gelassenheit eines Joints die Spree entlang. Aber keine Bange, im Folgenden geht es nicht um Merettisch, Spreewaldgurken oder sorbische Trachten, sondern um den Sinn des Lebens.
Die Zeiten sind unerfreulich, aber das sind sie ja eigentlich immer. Wie jedes Jahr wurde es auch diesmal wieder August. Statt der vergrätzten, übellaunigen Sonne versuchten Blumfeld und Yo La Tengo das morsche Herz und die fiebrigen Glieder zu wärmen. Die Mannschaft von der Insel hatte sich den Arsch aufgerissen, um mit ihrem Open-Air einen würdigen Sommerabschluß hinzulegen. Mehr oder weniger vergeblich allerdings, denn neben vielen Verstärkertürmen, Entenpaaren und einigen hundert unverwüstlichen Enthusiasten waren viel zu wenige Fans da. Hat Indie-Rock ausgedient? Innovativer Krach als Auslaufmodell? Was für Wetter, welche Zeit. Hotten die jetzt alle zu Mr. Vain, glotzen Bundesliga oder ziehen ganz schlicht die Kiezkneipe vor? Überleben am Ende doch nur die Dinosaurier?
Mein Herz soll eine Erdbeere sein. Ist das hippieesk oder nur clever? Ein glänzendes Erdbeerherz ziert jedenfalls das zweite Breeders-Album "Last splash". Als ich in Hamburg eintraf, schickte Gott Regen. Ich schickte fein ausgeklügelte Fragen an die Band; nur fehlte Kim Deal, die gerade aus Paris kommend, keine Lust auf langweilige Interviews hatte, sondern lieber in der trüben Hansestadt einkaufen und die Skianzüge am Hans-Albers-Platz besichtigen ging, obwohl das sonst eher umgekehrt läuft, denn "Kim und Kelly bleiben am liebsten im Bett, während ich mit Jim, unserem Drummer, durch sie Städte streife, um sie kennenzulernen", verrät Josephine Wiggs, die Bassistin. "Denn", beklagt sie sich, "wir haben fast nie freie Zeit, weil wir permanent unterwegs sind. Im ganzen letzten Jahr habe ich gerademal sieben Wochen zu hause geschlafen. Vor Dezember komme ich auch dieses Jahr nicht heim. Sonst hängen wir halt ständig zusammen."
Die Welt ist ein eigen Ding. Ist sie noch erkennbar? Verschwindet Materie? Ist der Ball noch rund? Sind Eier schädlich? Wo liegt eigentlich Amerika? Kim Deal spielte jahrelang bei den Pixies, einer Kapelle, mit der ein Holzfäller-Hemden tragender, Surf-Music liebender, dicklicher Junge kurzerhand den Aufstieg in den Olymp des Polter-Rock schaffte. Willkommen im Jurassic-Parc!
Jede Torfnase steht ja inzwischen auf Guns'n'Roses, selbst die Rasenmäher in der Fußball-Bundesliga wählten Saufbold Axl zu ihrer liebsten Autokassette. Manche nehmen ja ihren Lieblingsteddy heute noch mit ins Bett, Black Francis schmiß sein Lieblingsspielzeug nach den ersten Abnutzungserscheinungen aber kurzerhand weg. Die Pixies gibt es nicht mehr, dafür jetzt aber Frank Black solo und eben die Breeders.

breeders.gifSo einfach ist das ja heute nicht mehr mit den Frauen, denn die wissen sich zu wehren. Kim hat ihre hübsche Zwillingsschwester Kelly mitgebracht, denn bis '92 gehörte ja noch Tanya Donelly zum Line up, die inzwischen allerdings mit Belly und 350.000 verkauften Alben schwer durchgestartet ist. Eventuelle Spannungen innerhalb der Band werden aber sofort dementiert: "Kim ist nicht unserer Führer. Ich denke, wenn verschiedene Leute etwas gemeinsam machen, entsteht so etwas wie Zusammenhalt und Austausch zwischen ihnen, eine gemeinsame Sicht auf die Dinge. Da kann eine einzelne Person nicht alles bestimmen. Wir sind aber sowieso daran interessiert, alles gemeinsam anzugeben. Nach außen wirkt Kim vielleicht als die zentrale Person, weil sie die Songs schreibt und auch singt", erklärt Josephine. Ein Thema, auf das man die Breeders erst gar nicht ansprechen sollte, sind Frauen im Rock. Ist ja sowieso alles Jacke wie Hose, oder?

Dann schon lieber die wichtigen Dinge des Lebens. "Tresnjevka-Woman-Concert" nannte sich ein Festival, bei dem die Brüter neben einigen anderen, nicht mehr ganz unbekannten Formationen auftraten. "Letztes Jahr haben wir einige Shows gemeinsam mit Nirvana in Irland gespielt. Wir sind wunderbar mit ihnen klargekommen und Kurt gefallen unsere Songs sowieso. Chris (Novoselic, der Vier-Saiter) Hat ja Beziehungen nach Bosnien im ehemaligen Jugoslawien und wollte für die geschundenen Frauen dort ein Benefiz-Konzert auf die Beine stellen, um Geld zu sammeln. Also hat er uns gefragt und mit L7, Nirvana und den Disposable Heroes of Hiphoprisy hat sehr viel Spaß gemacht. Wir haben immerhin 100.000Dollar zusammenbekommen", berichtet Josephine ganz aufgeregt.
Die Frage aber, ob sich die Breeders nun auch zum vermarktungsträchtigen Grunge-Rock-Lager zählen, weist sie lachend von sich, dann außer den langen Haaren haben sie weder die nötigen Klamotten noch die obligatorische Seattle-Herkunft. Verwunderlich ist da schon eher ihre Heimstatt beim geschätzt-belächelten 4AD-Label, wo ja eigentlich ein grundsätzlich anderer Geschmack aus den Teekannen in der Büro-Etage zieht. Jüngst feierte Häuptling Ivo Watts ein rückblickendes 4AD-Jubiläum mit seinen nach vorn schauenden Hoffnungsträgern im Londoner ICA. "Oh, es war wundervoll. Endlich haben wir mal alle 4AD-Bands auf einmal getroffen, da wurden die Nächte natürlich lang. Außer uns waren auch Lush, Wolfgang Press, Unrest, die Pale Saints und natürlich die Throwing Muses da. Es war einfach eine große Party, da alle Bands im selben Hotel wohnten", schildert mir Josephine gestikulierend.
Hello England! Josephine spielte früher bei den verblichenen Perfect Disaster etwas andere Musik, nämlich dunkel-sanfte psychedelische Elegien voller haltloser Schwermut. Fällt da nicht die Umstellung schwer? "Wir haben ganz unterschiedliche Geschmäcker, da kommen ganz verschiedene Sachen zusammen. Bei manchen Bands weißt du sofort, klar, die stehen auf Velvet Underground. Bei unseren Stücken kann man höchstens mal einen kleinen Teil auf etwas anderes zurückführen. Wir geben denen immer kleine Namen, wie Jimi-Page-Teil oder die Sex-Sektion. Ansonsten benutzen wir auch mal gern einen anderen Stil, wie jetzt diese Country&Western-Gitarre."

breed.jpgHello Sonic-Youth-Generation! Nicht nur, daß Kim Gordon das erste Breeders-Video "Cannonball" ausgeheckt und umgesetzt hat, hier begegnet uns auch wieder die allgemein geschätzte Knarz-Gitarre, oder soll ich es Rumpel-Rock nennen? "Last splash" bietet herrlichen, wuchtig-sperrigen Beat voller Frische und Zügellosigkeit.
Keine Ahnung, wie schnell sich die Erde in Dayton/ Oklahoma dreht. Keine Ahnung, woran sich der Erfolg einer Schallplatte mißt, denn ich arbeite, Gott sei Dank, nicht in irgendeiner Marketing- und Verkaufsabteilung. Keine Ahnung, wie weit die Verästelungen, Verfeinerungen und Absplitterungen noch gehen, aber was zählt denn heute noch spinntertes Spezialistentum, wenn die Mädchen, die ich so kennenlerne, weder Iggy Pop kennen, noch etwas mit Billy Bragg anfangen können und sich meine Freunde die unzähligen neuen CD's sowieso nicht mehr leisten können und lieber Bier trinken gehen.
Die Begriffe brauchen ein Sprachrohr! Auch keine Ahnung, was überhaupt wichtig ist im Leben. Ich hab ja längst resigniert. Zu sagen bleibt, daß mir die neue Breeders jede Menge stille Freude und gelassene Zufriedenheit geben konnte und das ich auf der Reeperbahn letzthin komplett eingeregnet bin, aber nicht gefroren hab.

R. Galenza Oktober 1993 NMI/ Messitsch Berlin 10/93 S. 24/25