Phillip Boa & The Voodoo Club - Von Dortmund nach Malta
Phillip Boa spricht energisch: "Das Problem der Deutschen - zu unterdrücken. Das drückt sich oft genug auch bei den Journalisten aus. Wie oft mußte ich mich für meine bloße Existenz verteidigen. Ich will das nun nicht mehr. Ich gebe vielen Leuten eine Menge Zeit, um sich ‚Helios' ein paar mal anzuhören und dann vielleicht mal die Musik und nur die zu bewerten."
Dazu war nun inzwischen auch Gelegenheit, denn Boa's mittlerweile sechste LP ist seit einiger Zeit in den Läden. Der Voodoo Club war auch live in diversen deutschen Städten zu erleben. Kein Zweifel, "Helios" ist einer der besten und reifsten Boa-Platten, auf der er all seine musikalischen Erfahrungen komprimiert hat. Und es ist wieder ein ganz typisches Boa-Album geworden. Ich fragte ihn, wie er denn auf diesen Titel gekommen ist? "Helios" ist der Gott der Sonne, der sich gegen Ende seiner Existenz mit Prometheus angelegt hat und von ihm vernichtet wurde. Das Album soll aber mehr sie Naturgewalten symbolisieren, die Schönheit der Natur spiegeln, ihre Faszination. Gleichzeitig aber eben auch die Zerstörungen der Natur durch die Zivilisation. Dieser Widerspruch reizt mich, aber eben so, daß man praktisch jeden Tag selber dazu beiträgt", begründet er.
Schon 1984 hatte Phillip Boa angefangen, mit Pia erste Kassetten-Aufnahmen zu machen. Im selben Jahr erschien auf dem Ja! Music-Label schon seine erste Maxi "Most boring world". Ein Jahr später schaffte er mit seinem ersten Longplayer "Phillister" schon Platz Eins der hiesigen Indie-Charts. Ich erkundigte mich bei ihm, ob sich denn in den zurückliegenden Jahren seine Arbeitsweise wesentlich verändert habe? "Nee. Die Musik von früher, die vielleicht wilder klingt, entstand eigentlich mehr aus mangelnder Erfahrung, ein bißchen mehr Dilletantismus und schlechterer Studiotechnik. Das ist ein normaler Weg, den man da gehen muß. Man will sich natürlich auch weiter entwickeln und nicht mehr so klingen wie 1985. Andererseits versuchen wir doch immer wieder, wie 85 zu klingen. Das merkt man meist bei den hinteren Tracks oder den Bonus-Titeln. Aber die Brüche und Sprünge fehlen heute schon etwas, sie sind nicht mehr so offensichtlich. Wir hatten früher ja richtige Angst vor guten Songs. Bei "Helios" haben wir aber nun richtig Wert auf gutes Songwriting gelegt", gibt Boa zu Protokoll.
Nun gilt der Sänger seit langem als eigenwillig, launisch, manchmal sogar aggressiv und besonders im Umgang mit den Medien als schwierig. Mir saß allerdings ein sehr entspannter, ja fast schüchterner Phillip Boa gegenüber. Er selbst sieht sein Verhältnis zu den Journalisten gar nicht so dramatisch, denn er hat einige gute Bekannte unter den Medienleuten. Freunde hat er allerdings keine. Boa haßt es, absichtlich mißverstanden oder provoziert zu werden und meint dazu: "Ich habe es satt, mich permanent rechtfertigen zu müssen und die Verlogenheit der selbsternannten Independent-Ideologen kotzt mich nur noch an! Alle ist so müde, so schlecht. Ich sehne mich nach besserer Luft."
Dies sind einige Gründe für den Dortmunder für gewisse Zeit nach Malta zu gehen, ohne Frau Pia und ihr gemeinsames Kind übrigens. Natürlich will er dort nicht den ganzen Tag in der Hängematte verbringen, seine Gitarre und ein Vier-Spur-Aufnahmegerät müssen schon mit. Und einen Plattenladen mit aktuellen englischen Scheiben gibt es auf Malta schließlich auch. Er braucht einfach mal ein Pause und erklärt: "Es ist nicht so, daß ich Deutschland in Verbitterung verlasse oder weil ich beleidigt wäre. Das ist alles Quatsch! In erster Linie verlange ich, daß die Leute sich mehr mit meiner Musik auseinander setzen, anstatt sich mit meiner Person oder angeblichen Skandalen zu beschäftigen. Außerdem will ich mich mal wieder inspirieren lassen, denn hier arbeite und arbeite ich ja nur immer. Irgendwann macht man dann mal, ohne das man es merkt, eine schlechte Platte. Ich will also raus aus diesem ewigen Kreislauf."
Man wird sehen, wie lange es Boa in der maltesischen Emigration aushält. Hierzulande hat er sich mit seinen LP's "Aristocracie", "Copperfiled" und "Hispanola" einen beeindruckenden Status als überzeugend-schrulliger Songschreiber erspielt. Boa hat dabei immer sein eigenes Ding durchgezogen und so den Sprung von einem kauzig-eigenbrötlerischen Sekretärinnenschreck zum anerkannten, integren Rockmusiker geschafft. Das muß Gründe haben: "Wir suchen immer wieder nach Klängen, die wir noch nicht benutzt haben, was aber schwierig ist. Die vom letzten Album wollen wir dann auf keinen Fall haben, zum Beispiel Mandoline und Bouzuki von ‚This is Michael'. Aber irgendwie finden wir doch immer etwas. Die spannendste Errungenschaft auf dem neuen Album sind wohl die Krummhörner, echte mittelalterliche Instrumente, die heute kaum noch jemand spielen kann. Ich will mit meiner Musik auch nicht irgendwann stehen bleiben", resümiert er.
Die recht ansehnlichen Verkaufszahlen seiner Platten haben ihm inzwischen auch sehr lukrative Angebote fetter Plattenfirmen eingebracht, da sein jetziger Deal mit Polydor gerade ausläuft. Es ist das alte Lied: eine eher kleine Firma baut einen kreativen Künstler langfristig auf und schon bald lauern die Scheck-Haie und winken mit den großen Scheinen. Boa meint: "Die wollen einfach meinen guten Namen und das dazugehörige Image kaufen. Unsere Plattenverkäufe rechtfertigen eigentlich nicht die angebotenen Summen. Es sind einige Firmen dabei, die sind mit ihrem deutschen Nachwuchs am Ende. Geld zu haben ist ja vielleicht ganz schön, aber Geld um jeden Preis ist nicht meine Art." Phillip Boa ist jetzt seit sieben Jahren im Rockbusineß, da stellt sich irgendwann die Frage, macht das noch Spaß oder "kill your ideals"? "Ja, eigentlich sogar mehr als früher. Da war ich bei Konzerten immer betrunken und nervös. Jetzt fühle ich mich sicher", antwortet er gelassen. Darauf einen Helios.
Ronald Galenza HOME - Music Magazin 5/1991 S. 6-8