Blumfeld + Cpt. Kirk & - Zu früh für Liebeslieder

Hamburg ist längst zur heimlichen Rock-Hauptstadt Deutschlands herangewachsen, denn da arbeiten junge, innovative Bands an einer anderen, tiefgründigen, deutschsprachigen Rockmusik, weit weg vom alltäglichen Gestammel. Apropos Tyrannenmord: Blumfeld und Cpt. Kirk im Gespräch mir Ronald Galenza.

"Ein Lied ist eine Tür, ich frag mich bloß wofür, denn das was dahinter liegt, scheint keinen Deut besser als das hier", singt Jochen Distelmeyer. Er ist Texter und Sänger von Blumfeld; ein schüchterner, zurückhaltener junger Mann, der früher oft mit seiner Akkustikgitarre sprach. Mitte vergangenen Jahres tat er sich mit den Schwarzer Kanal-Arbeitern Andre Rattay und Eike Bohlen zu Blumfeld zusammen. Distelmeyer wirkt im Gespräch eher scheu, in seinen Texten aber unerhört genau und eigensinnig, manchmal fast trotzig. Er trägt sein Ich ganz unverkrampft in die Welt: "Ich will kein Gemütsbulldozer sein, aber wenn alle Spielverderber zusammen stehen, kann der Spaßtyrann nach Hause gehen." Das Ansingen gegen die Spaßtyrannen dieser Zeiten hier als letzter Versuch, Rockmusik in Deutschland heutzutage noch glaubhaft und relevant vorzutragen.
Tobias Levin wirkt dagegen sicher und bestimmt. Er ist seit langem Chef von Cpt. Kirk, ihre 1986 erschienene LP "Stand Rotes Madrid" erregte seinerzeit einiges anerkennendes Aufsehen. Levin wurde aber durch eine Nervenlähmung in der linken Hand zur musikalischen Untätigkeit verdammt. Ende des Jahres liegt nun mit der Single "Geld unter" ein erneutes Zeugnis Levinscher Sprachkraft voll bizarren Klangs vor.

blum-frueh.jpgWoher kommen eure Themen? Sind das Alltagserfahrugen oder Visionen, ist das Realität oder Einbildung? Was gelangt in eure Songs?
J.D.: Ich kann nicht sagen, woher das kommt, worüber ich schreibe, wie ich das mache. Es ist auch nicht so, daß ich es singe, ich spreche das. Es ist einfach genau so, wie wenn ich mich mit Leuten unterhalte.
T.L.: Wir unterscheiden da gar nicht zwischen dem Textschreiben und unserer Unterhaltung jetzt hier zum Beispiel. Wir setzen uns nicht hin, um etwa einen besonders anspruchsvollen Text zu schreiben.

Ihr singt ja deutsch, da setzt man sich automatisch mehr der Kritik aus. Nun sind aber eure Texte eher ungewöhnlich im deutschen Rockkontext. Vergleicht ihr selbst, und welche Ansprüche stellt ihr an eure Texte?
J.D.: Ich halte die Unterstellung, daß wir eine bewußte Entscheidung getroffen hätten, deutsch zu singen, erstmal für blöd. Das klingt ja so, als sei es das Normalste und Naheliegendste, englisch zu singen, obwohl man, wenn man einkauft oder sich mit Leuten trifft, eine ganz andere Sprache spricht.
T.L.: Ja, aber die englische Pop-Sprache funktioniert doch oft viel verständlicher als das, was wir machen. Denn die englischen Sachen werden ja schon so geschrieben, daß nur noch bestimmte Worte, Klischees abgerufen werden. Bei uns dagegen wird auf sehr viel persönlichere Welten hingewiesen, die sehr eng an die Leute gekoppelt sind, die sie erzählen. Daraus entsteht aber hoffentlich eine gemeinsame Kommunikation über eine gemeinsame Welt.
J.D.: In Deutschland wurde doch nie richtig gelernt, so zu schreiben, wie man spricht. HipHop zum Beispiel ist doch auch so eine Umgangssprache.

Glaubt ihr denn, daß diese Kommunikation wirklich funktioniert, wenn ihr so persönlich, manchmal fast narzistisch, schreibt?
T.L.: Natürlich wollen wir Platten verkaufen. Mit persönlich meine ich den ganz persönlichen Bezug zu Dingen, die ich als nicht persönlich empfinde, wie beispielsweise Geld, Männer oder Frauen. Das schreibe ich dann aus einer persönlichen Analyse heraus auf.
J.D.: Sobald von mehreren Leuten Interesse besteht, über ihre private Wahrnehmung von Wirklichkeit zu sprechen, wird aus diesem Privaten ein Politikum, wie es zum Beispiel bei Leuten wie Dylan, Cohen, Degenhart oder derzeit beim HipHop passiert ist. Die erzählen auch ihre ganz persönlichen Probleme von ihrer Straße, ihrem Viertel. Das betrifft dann aber viele, so entsteht ein übergreifendes Verständnis. Was mich an Popmusik immer fasziniert hat, was aber gleichzeitig auch eines der größten Probleme mit Popmusik für mich darstellt, ist, daß ich meine eigene Bedeutung in die Begriffe legen kann, daß dann aber darüber hinaus eine Verständigung entstehen kann, die nichts damit zu tun haben muß mit dem, was ich da reingelegt habe. Da ist dann die Frage, ob man bewußt damit arbeitet; ich hoffe aber, bei mir ist es nicht so. Ich lasse die Wirkung meiner Texte völlig draußen.

cpt-kirk.jpgIn Hamburg gibt es jetzt einige sehr interessante junge Gruppen, die eher unkonventionell mit deutscher Sprache umgehen. Da gab es die Erde, die Kolossale Jugend und heuer Milch, die Ostzonensuppenwürfel und euch. Gibt es denn zwischen diesen Bands so eine Art gemeinsame Haltung oder gar Ideologie?
T.L.: Also natürlich macht erstmal jeder seins. Es gab aber bestimmte Leute und Bands, die sich ohnehin trafen, deren Interesse an dem, was der andere macht, erheblich weitergeht, als das übliche Rock-Blah-Blah. Die Gespräche zwischen diesen Leuten haben ganz direkten Einfluß auf das, was man dann kreativ zu Hause tut. So haben die Bands Blumfeld, Brüllen und Cpt. Kirk ein Konzert, also eine Art Werkschau gemacht, das hieß "Verfolge den Prozeß, Publikum". Dabei ging es uns besonders um den Prozeß, die Entwicklung dieser Bands. Das geht jetzt weiter mit "Verfolge das Publikum, Prozeß". Dabei gibt es keine einheitliche Ideologie, sondern viele endlose Gespräche über Dinge, die den Bands wichtig sind.

Jochen Distelmeyer agiert auf der Bühne scheinbar abwesend und völlig introvertiert. Er hat einen Babyschnuller um den Hals und holt Zeilen wie diese aus seinem Innern: "Ich hab nichts gegen Menschen als solche, meine besten Freunde sind welche/ aber leider lebenslänglich mein Platz an der Seite derer, die randvoll Beischlaf morden / als Lügner gefiel ich dir besser."
Die erste volle LP von Blumfeld kommt dieser Tage in die Läden und bildet einen hoffnungsvollen Lichtblick im anbrechenden Jahr, denn beide Bands gehören unzweifelhaft zum Spannendsten und Wichtigsten in diesem Land, weil deutsche Rockmusik hier wieder eine eigene Identität erlangt.

Ronald Galenza

Februar / März 1992 NMI & Messitsch Berlin 1/92 S. 39