Verwende deine Jugend

neubau2.jpgDer Film "Seele brennt" über die Einstürzende Neubauten

Dieser Film beginnt mit einem gequältem Schrei, als ob ein einsames Tier stirbt. Aber es brennt nur die Seele von Blixa Bargeld. "Seele brennt" heißt dann auch die einstündige Dokumentation über die Berliner Band Einstürzende Neubauten von Birgit Herdlitschke und Christan Beetz. Die Neubauten schafften es aus Bunkern ins Feuilleton und nun in einen Film: Verwende deine Jugend. Es waren wilde Zeiten damals, 1980 in Berlin-West. Zwischen der Mauer und Abbruchhäusern bricht eine neuartige Kapelle mit dem Ziel auf, alle musikalischen Strukturen zu zerstören. "Seele brennt" erzählt die Entwicklung der Band chronologisch anhand von exklusiven Interviews und diversem unveröffentlichtem Filmmaterial. Die ersten Aufnahmen im stählernen Innenraum einer Autobahnbrücke sind hier zu sehen. "Höre mit Schmerzen" war das Arbeitsprinzip dieser bleichen, ausgezehrten Burschen. Der Australier Nick Cave sagt im Film über den Blixa Bargeld jener Zeit: "Ich habe noch nie jemanden gesehen, der so zerstört und krank wirkte."

Die Neubauten gründeten sich im Zuge der Punk-Bewegung und zählten anfangs zu den "Genialen Dilettanten". Sie waren verwirrte, hospitalistische Punk-Kinder, zerschunden und morbid labten sie sich an ihrem fahlen apokalyptischen Sound. Sie konnten kaum ein Instrument spielen, wüteten mit Preßlufthämmern, Ölfässern, Schneidbrennern, Motorsägen und einer Waschmaschine! Alle negativen Lebensgeräusche wollten sie vereinen, gemäß ihrem Konzept "zerstören, um aufzubauen" samt Drogenexzessen. Einst galten die Einstürzenden Neubauten als aggressiv, wild und gefährlich - sie schenkten der geteilten Stadt Berlin einen Mythos für die achtziger Jahre. Zu Bildern von Hausbesetzungen und -erstürmungen kreischt Bargelds hysterische Stimme "es ist Krieg in den Städten". Man sieht beeindruckende Aufnahmen von einer Live-Performance, wo die Jungs auf einer Straßenkreuzung mit schwerem Gerät scheppernde Klangforschung betreiben. Der Film beschreibt kundig die Arbeitsweise der Band, Interviews mit den Musikern und engen Wegbegleitern wechseln mit Live-Aufnahmen aus verschiedenen Phasen. Glänzende Farbaufnahmen brechen die wackligen, körnigen Schwarz-Weiß-Fetzen aus einer lichtlosen Zeit. 1983 unternahm die Krach-Kapelle ihre erste US-Tour. Mitte der Achtziger galten die Neubauten als spannendste deutsche Band im Ausland, das konnten nicht mal ihre kryptischen Texte verhindern. In Japan begeisterten sich 4000 kreischenden Teenies an den Stahlwerk-Sinfonien aus Berlin. Die Neubauten hatten schon lange vor Rammstein mit offenem Feuer auf der Bühne hantiert. Der Streifen zeigt auch das 1985 entstandene das erste Video der Gruppe. Der bekannte japanische Regisseur Sogo Ishi verbindet in "Z.N.S." den avantgardistischen, deutschen Lärm mit experimentellem japanischen Voodoo-Tanz.

Spätestens seit 1985 jedoch, als Depeche Mode sie für ihr "People are people" sampelten, waren die Neubauten berechenbar geworden. Sie polterten auf der "Dokumenta" und der Pariser "Bienale" rum. 1986 folgten sie heftig umstritten dem Ruf von Peter Zadek an das Hamburger Schauspielhaus für sein Musical "Andi". Das Feuilleton und die Boulevardpresse entdecken die Band. Das Goethe-Institut schickt sie 1986 zur Expo nach Vancouver. Die Einstürzenden Neubauten werden deutsches Kulturgut. Bargeld kutscht posend in einem Rolls Royce durchs Bild, er galt inzwischen als egozentrischer, zickiger Dandy. Aus anfänglicher, gegenseitiger Bewunderung wurde eine angespannte Geschäftsbeziehung. Nachts tanzt die Wahrheit mit der Lüge. Im Herbst `89, genau 42 Tage nach dem großen Loch in der Mauer, standen sie auf der Bühne in Berlin-Ost und hatten Heiner Müller mitgebracht. Den kannten sie schon länger, hatten sie doch auf dem Areal des Staatlichen Rundfunks für die "Stimme der DDR" zwei Hörspiele aufgenommen. Im Kultursaal des VEB Elektrokohle, wo eben noch die trostlose Brigade-Polonaise zum Jahrestag des Arbeiter-Bauern-Paradises geschunkelt hatte, gaben sie zwei gefeierte Konzerte. "Seele brennt" dokumentiert, wie Heiner Müller mit der halben französischen Regierung die Combo backstage beehrt. Aber die Spontanität früherer Tage war einer immer stärker konzeptionellen Arbeitsweise gewichen.

neubau.jpg1994 agierten sie im Hans-Otto-Theater in Potsdam in Werner Schwabs "Faust: Mein Brustkorb: Mein Helm". Die revolutionäre Energie war weg, das beschreibt er Film ganz glaubwürdig. 1994 verläßt zuerst Baßist und Finanzchef Marc Chung die Band, wenig später geht der musikalische Kopf F.M. Einheit im Streit. Er erklärt zurückschauend: "Die Neubauten sind nicht mehr eingestürzt". Über seinen Ausstieg ist Bargeld im Film heute noch beleidigt. Das bleibt der einzige Reibungspunkt in diesem Streifen. Man erfährt einiges über die Musiker, über Privates erfährt man nichts. Auch wirken die ständigen Live-Aufnahmen auf die Dauer gleichförmig. Die Geschichte der Band ist überraschend gut dokumentiert, irgendwie hatten sie immer eine Kamera dabei. Leider zeigt der Streifen nicht mehr die letzten Aktivitäten der Neubauten, wie ihr Konzert in der entkernten Ruine des Palastes der Republik, als Musik und Architektur gültig zusammen fanden. Wer die Musik der Einstürzenden Neubauten kennt, für den ist "Seele brennt" klingende Zeitgeschichte. Für alle anderen ist der Film eine laute, intensive Herausforderung.

"Einstürzende Neubauten - Seele brennt"
Von Christian Beetz und Birgit Herdlitschke
Mit Blixa Bargeld, N.U. Unruh, F.M. Einheit, Alex Hacke, Marc Chung, Nick Cave u.a.
BRD 2004, 61 min.

Ronald Galenza Berliner Zeitung 25.8.2005