Aljoscha Rompe - Lied einer unruhevollen Jugend
Ein Nachruf
Der Weise betrachtet Leben und Tod wie Morgen und Abend.
Sie-Hoei
Aljoscha Rompe ist tot. Das war, als wären Rio Reiser und Tamara Danz noch einmal gestorben.
Für ihre jeweiligen Szenen. Jeder möge mit seinen Erinnerungen an Aljoscha leben, den positiven wie negativen. Feeling B hatten sich nach dem Comeback von 1993 mit neuen Leuten
1999 endgültig aufgelöst, unter anderem wegen intensivem Drogenkonsum einiger Bandmitglieder. Aber vielleicht pulst ja für viele, die Aljoscha kannten, so ein Feeling A weiter.
Mix mir einen Drink, der mich woanders hinbringt (Feeling B, 1990)
Ich geisterte damals Anfang der Achtziger mit meiner verwirrt-verzweifelten Jung-Männer-Lyrik durch die Szene. Einsamkeit und Verlust waren mein Lied. Durch krude Typen und windige Schattenmänner geriet ich an einen gerüchteumtosten und legendbildenden Kerl namens Aljoscha. Der fiel mir als fröhlicher Hektiker auf, wollte seine Lebensentwürfe und Spaß-Revolte doch lieber alleine dichten. Mich verschlug es in andere Kathedralen der Kumpanei. Aber wir blieben in wohlwollender Verbindung. Rompe war ein schillernder Scharlatan, ein größenwahnsinniger Realist und Netzwerker. Ein kundiger Kulissen-Schieber, ein charismatischer Chaot, ein machiavellischer Macher. Er gab vielen Leuten in der familiär-totalitären DDR neuen Sinn und Mut. Und er war immer er selbst.
In den Siebzigern hat er sein Physik-Studium abgebrochen und in den Wäldern um Berlin Vogelstimmen aufgenommen und gesammelt. Er kam in Kontakt mit der oppositionellen Kunstszene und ging wegen der Beteiligung an einem pseudo-subversiven Kalender für drei Monate in den Knast. Die Stasi nannte seinen Beitrag staatsfeindliche Hetze. Danach haben sie
versucht, ihn in die sozialistische Produktion einzugliedern, ironischer Weise in einem Staatsbetrieb, der Überwachungskameras herstellte. Aljoscha ließ sich nach einer Woche krank-
schreiben und anschließend von seinem Vater als persönlicher Sekretär einstellen. Das sind Rock-Laufbahnen unter Knechtschaftsverhältnissen.
Ohne Bewußtsein, das muß kein Verlust sein (Feeling B, 1990)
Er traf Paul und Flake. Alexander Kriening, heute Fakir, ertrommelte Feeling B bei der obligatorischen Einstufung auf Anhieb die Sonderstufe. Feeling B waren nie Underground! Aljoscha besorgte sofort einen Bandbus, eine PA samt Techniker. Davor schlugen sie sich als trinkfreudige Kneipenband durch, die auf Konzerten ihre selbstgebastelten Ohrringe verhökerte.
Feeling B trafen beizeiten Vorbereitungen, sich bei ernsthaften Problemen klammheimlich nach Polen zu evakuieren, wurden aber nie verboten. Aljoscha war da schon ein Nischen-Besetzer und Türenöffner. Er inspirierte und motivierte junge Bands, erklärte Feeling B bei der DEFA-Produktion "flüstern & Schreien" als unverzichtbar und hat die staatlichen Filme-Macher auch gleich mit hochwertiger Tontechnik ausgestattet. Er hat vorsichtig beim VEB Amiga angeklopft, um sich dann gleich für drei Monate im teuersten Studio der DDR in der Brunnenstraße einzunisten. Während Paul den überrumpelten Toningenieuren West-Punkplatten vorspielte, veranstaltete Rompe ausufernde Grill-Parties und nächtigte besoffen in der sozialistischen Talente-Schmiede.
Aber: Aljoscha konnte all das relativ problemlos machen, denn er war doppelt abgesichert. Zum einen durch seinen Schweizer Pass, den er Anfang der Achtziger bekam. Zum anderen saß sein Stiefvater in hochrangiger Position im Zentralkomitee der Genossen und war ein wichtiger Apparatschik der Stasi. Er war Mitglied im Nationalen Forschungsrat und leitete da die komplette Ost-Wirtschaftsspionage. Und mit Prof. Friedrich K. Kaul stand Aljoscha einer der renomiertesten Anwälte der DDR zur Verfügung. Da kann man dann schon ganz anders an den sozialistischen Mühlsteinen drehen, als so viele andere.
Also machte sich der Punk-Pate Ostberlins auf gen Westen. Einerseits um teure West-Technik in den Osten zu transferieren, Kontakte zu Medien und Plattenfirmen aufzubauen oder einfach nur stundenlang zu telefonieren, agitieren, organisieren und zu quatschen. Andererseits wohnte er zeitweise in der Dresdener Straße in Kreuzberg, war aber von den Alternativen und selbstgewissen Rhetorikern schwer enttäuscht und angeödet.
Diese Zerrissenheit war sowieso ein großes Problem des Aljoscha R. Die sieche DDR konnte er nicht mehr ernstnehmen. Viele der neuen dandyesken Bands im Osten verachtete er, das verbiesterte Dissidentengehabe vieler Wichtigtuer nervte ihn, die offizielle Kirchenpolitik und das angepasste Kunstverständnis war ihm einfach nur langweilig. In West-Berlin kam er nie an, er haßte das aufgeblasene Gehabe und gönnerische Besserwissen der dortigen Aktivisten.
Alles was sie taten, drehte sich im Kreise, immer auf die gleiche Weise (Feeling B, 1992)
Feeling B waren liebenswerte Dilettanten voller energischem Elan und köstlicher Frische, sie verstanden sich als Guerilla-Kommando. Welche brachial-heroischen Nächte verbrachten wir bei ihren orgiastischen Slammer-Konzerten. Wieviel frivolen Spaß schenkte uns die Magdalene-Keibel-Combo mit Paul und Flake, wieviel aktionistischen Irrwitz versprühte Aljoschas Santa Clan-Projekt. Aber, das Leben ging ja immer weiter, als die Mauer brach, spielten Feeling B schon im Westberliner Pike. Paul und Flake stiegen 1993 aus und starteten Rammstein. Szene-Quirl Rompe machte mit anderen weiter. 1994 überreichte er mir mit seinem scheppernden Lachen im nebligen Proberaum in der Schönhauser 5 eine neue Demo-CD, die schwere Metal-Gitarren mit Acid-Beats kreuzte.
Für Aljoscha waren bei allem unsteten Piratentum immer Orte wichtig. Hiddensee. Die Fehrbelliner Straße 7: Headquarter und Schaltzentrale der Ostberliner Punkszene. Die Schönhauser Alle 5: in diesem kurz vor der Wende besetzten Haus residierte Aljoscha wie ein diabolischer Dialektiker. Die Schönhauser wurde schnell zu einem Gemeinwesen und Schnittstelle der Ostberliner Szene mit eigenem Piraten-Sender, Radio P, Kino, Probekeller, Studio und Bar. Doch der Kapitalismus zeigte alsbald seine geldgeile Fresse, die Schönhauser 5 wurde vom neuen Eigentümer rasch kalt entmietet. Aljoscha wehrte sich bis zum Schluß gegen dessen Methoden, bis man ihn zum Auszug zwang.
Die Freiheit, die eingene Identität zu definieren, wird zur Unsicherheit, deren Sympton ist die Depression Sandra Janssen
Aljoscha ist in den Neunzigern viel durch die Welt gefahren, für ihn wurden Mexico oder Frankreich wichtiger als dieses unselige Deutschland. Immer wieder zog es ihn nach Goa, Indien, auf der Suche nach spiritueller Labsal, aber auch um die dortige Goa-Szene und ihre Rauschmittel und Fluchtwege kennenzulernen. Er wurde nicht nur immer dünner, seit seiner Kindheit litt er an Asthma, sondern auch ein Ego-Esotheriker. An einem langen Abend im Kaffee Burger hielt er mir einen beeinduckenden Vortrag über seine Konspirations-Theorien und Welterlösungs-Pläne. Da war immer noch diese nervöse Flinkheit in ihm, aber nicht mehr diese überschäumende, faszinierende Energie. Aus seinem atemlosen, sich überschlagenden Tatendrang wurde ein manischer Monolog. Das Selbstzerstörerische überlagerte das Schöpferische zusehends, sein schillernder Aktionismus lief zunehmend ins Leere. In den letzten Jahren wurde Aljoscha ein suchender Mensch irgendwo zwischen Indianer und Visionär voller Unrast, Unstetigkeit, Unruhe und Unzuverlässigkeit. Viele der alten Weggefährten reagierten verwirrt und fühlten sich abgestoßen, aber er fand neue Begleiter.
Alexander Aljoscha Rompe starb am 23. November 2000, erstickt während eines Asthma-Anfalls. Bauarbeiter fanden ihn in seinem Camping-Bus. Er wurde 53 Jahre alt.
Du wirst uns fehlen, Aljoscha.
Jedenfalls blieb die große Übersicht und ein Denken, das von der sphärischen Gestalt der Erde und der Orientierung an den Himmelskörper geprägt war, ausschließlich den großen Piraten vorbehalten. Es stand im Widerspruch zu einer flachen, viereckigen Erde und einem Wissen, das sich an Königreichen und Empires ausrichtete und sich auf das beschränkte, was man unter den Bedingungen lokaler Voreingenommenheit lernen konnte. Nur diese großen Piraten erfreuten sich ihres exclusiven Wissens von der Welt und ihren Vorräten.
Buckminster Fuller (Bedienungsanleitung für das Raumschiff Erde)
Ronald Galenza, im Dezember 2000