Teenage kicks - John Peel ist tot
Anfang der achtziger Jahre hockten junge Leute in der DDR in ihren kleinen Zimmern und starrten gebannt auf ihre Kofferheulen und Radios. Sie stellten den britischen Soldaten-Sender BFBS ein und warteten auf die Stimme des Radio DJs John Peel. Seine Stimme war längst eine Legende - selbst in der DDR-Subkultur. Seine Sendung "John Peels Music" war ihr akustisches Fenster in die Welt. Ein Stück singende-klingende Freiheit. Ein schepperndes Stück Individualität im Land der Singebewegung und der Schallplattenunterhalter. John Peel ist am 25. Oktober dieses Jahres an einem Herzinfarkt in Peru gestorben. Er war der legendärste Radio DJ der Welt. Und dieser Mann war Teil meiner Jugend. Ein wichtiger. Er prägte den Musikgeschmack ganzer Generationen in sehr vielen Ländern. Auch in Deutschland hatte John Peel eine eingeschworene Fan-Gemeinde.
Peel war bei der BBC fast 40 Jahre für Radio 1 tätig. Oft war er der erste, der Demotapes von unbekannten Künstlern spielte. Mit seiner Begeisterung trug er immer wieder zum späteren Erfolg dieser Interpreten bei. Peel förderte Musikstile wie Reggae, HipHop, Electronic und Punk in der eher konservativen BBC. Die Einladungen zu Peels legendären Studiosessions waren begehrt, zahlreiche Aufnahmen wurden später in der Alben-Reihe "John Peel Sessions" veröffentlicht. Radio-1-Chef Andy Parfitt würdigte den Verstorbenen als "Hörfunk-Legende" und erklärte: "Johns Einfluß hat die Entwicklung der populären Musik nahezu vier Jahrzehnte überragt und sein Beitrag zur modernen Musik und zur Musikkultur ist unermeßlich."
Peel, der 1939 als John Ravenscroft in der Nähe von Liverpool auf die Welt kam, hatte sein musikalisches Schlüsselerlebnis mit einem Elvis-Presley-Song "Heartbreak Hotel". In den frühen 60er Jahren ging Peel nach Dallas, wo ihm seine Herkunft aus der Heimatstadt der Beatles zu seinem ersten Radioengagement verhalf. Als er Mitte der Sechziger nach England zurückkehrte, betrieb er dort erst einen Piratensender; sein "Radio Caroline" funkte von einem Schiff vor der Küste. John Peel war das Piratenpseudonym, das Ravenscroft sich für seine Sendungen gab - und auch beibehielt, als er 1965 von der BBC abgeworben wurde.
Damals saßen noch richtige Menschen mit einer richtigen Plattensammlung in den Stationen. Menschen mit einer Leidenschaft für die Musik, die sie auswählten und spielten. John Peel hat uns mit seinen Sendungen soviel geschenkt, uns Offenheit gelehrt. Er hat meine musikalische Sozialisierung extrem beeinflußt. Wir wußten ja nicht, das hinter dieser elenden Mauer so ein großartiger Kosmos an unfaßbarer Musik lebte. Denn da erklang die Musik der Zeit. The Clash! Die Sex Pistols, Joy Division, die irischen Kultpunks The Undertones, deren "Teenage kicks" Peel Lieblingssong war. Die TV Personalities, Undertones, Passmore Sisters, Half Man Half Bisquit, The Room, die famosen Go Betweens, Yeah Yeah No unvergessen.
Reggae lernte man durch ihn lieben, World Music und all das. Durch ihn lernte ich The Fall für das ganze Leben schätzen. Er hat uns mit The Smiths für immer infiziert. Er spielte Velvet Underground, Marc Bolan, David Bowie lange vor allen anderen. Die großartige Welt der 7" Singles. Das Mixen der Stile, das Akzeptieren des anderen. Wir lechzten nach dem ganzen heißen Stoff, den man nirgendwo sonst im Radio hören konnte. Das war Lebens-Elexier pur. Gierig saugten wir sein Worte und diese Musik auf. Peel war ein Patron der Popmusik, wie es neben ihm keinen anderen gab. Und keinen mehr geben wird.
Bands aus der DDR, Polen, Ungarn, CSSR oder der Sowjetunion schickten ihm über krude Umwege ihre Musik zu, die er auch spielte und damit die Jugendlichen in diesen Ländern miteinander verband und informierte. Bands aus aller Welt schickten ihm ihre Aufnahmen, ob auf Platte oder Kassetten. Und er hat dieses Zeug gespielt. Wir schnitten aufgeregt mit, diese ORWO-Kassetten waren purer Goldstaub. Mit den Aufnahmen aus "John Peels Music" auf BSBF begannen wir unsere Independent-Disko "X-Mal" in Berlin-Trepow Mitte der Achtziger. Und sie haben alle getanzt. Oft spielte Peel auch Musik, die in ihren, vor allem osteuropäischen Herkunftsländern nicht zu hören war; Musik, die über dunkle Kanäle den Weg in Peels Sendung fand und über den Umweg BFBS dann doch wieder dort ankam, wo sie eigentlich verboten war. So war man immer ganz gut über die Aktivitäten anderer informiert.
Mitte der Neunziger kam er nach Ost-Berlin. Einstige Punks und alte Aktivisten hatten zu einem Wiedersehen geladen. Am 24. September 1995 legte das Fahrgastschiff "Kreuz As" ab und John Peel war an Bord. Denn der Punk-Pabst hatte immer wieder auch einige rumplige Tapes von DDR-Bands gespielt. Etwas verloren und ratlos saß die "Stimme des Punk" dann zwischen all den Gästen an Bord. Was mag er wohl empfunden haben?
Seine Sendung blieb immer seine Sendung. Peel spielte als erster die Musik der Berliner Elektronik-Szene, Bands wie Rechenzentrum, To Rococo Rot und Tarwater, die er ganz besonders schätze. In den letzten Jahren produzierte er die in seinem eigenen Tonstudio im Keller seines Hauses. Er spielte Ska, Acid, Rave, Dub-Reggae, Gabba, Folk voller Neugier auf neue Bands, noch nicht gehörte Stile und Schulen und Sounds. Der Mann war dermaßen offen und tolerant, wie man das zwischen den Musikszenen so nicht fand. Weil er sich für Musik interessierte, sie geliebt hat. Seine Größe wuchs aus seiner Unabhängigkeit. Sein Umgang mit Menschen glich dabei seinem Umgehen mit Musik. Er verachtete Hierarchien und Umsätze, ihm ging es vielmehr um Ursprünglichkeit, Originalität und Hingabe. Seine Offenheit und Neugier ließen ihn einfach nicht zur Ruhe kommen. Es gab noch soviel zu entdecken. Nun ist er gegangen. Der Schmerz ist fühlbar.
Er war unser Radio-Gott! Danke, John.
Rest in Peace! (hoffentlich ist da spannende Musik für dich)
Ronald Galenza im Oktober 2004