Pogo unterm Riesenrad

 

Saufen, Kotzen, Karussellfahren: Riesenrad und Geisterbahn lockten Anfang der achtziger Jahre nicht nur junge Familien in den bekanntesten Vergnügungspark der DDR. Im Berliner Plänterwald fühlten sich auch ostdeutsche Punker frei und unbeobachtet - ein gefährlicher Irrtum.

 Von Anna Mielke (einestages.spiegel.de)

Hinter dem windschiefen Maschendrahtzaun reckt ein Dinosaurier seinen schmalen Schädel in die Höhe. "Betreten verboten" steht auf dem Schild am Zaun. Der Saurier regt sich nicht, er ist aus Kunststoff. Genauso still steht dahinter ein großes Riesenrad. Auf dem brackigen Tümpel dümpelt ein Wikingerschiff vor sich hin. Gondeln und Boote liegen verstreut im Laub, als hätte ein Wirbelsturm sie eingesogen und wieder ausgespuckt. Es sind die Ruinen eines Vergnügungsparks. Der Plänterwald im Berliner Stadtteil Treptow.

Sechs S-Bahn-Stationen vom Alexanderplatz entfernt liegt das Gelände des bekanntesten ostdeutschen Rummelplatzes, umgeben von Wasser und Wald am Ufer der Spree. Ab und zu schippert ein Ausflugsboot den Fluss hinunter, kommen ein paar Jogger vorbei. Ansonsten ist es still. Unwirklich still für einen Ort, an dem in den achtziger Jahren der Punk tobte - und manche Ostberliner Familie auf ihrem Ausflug in den "Kulturpark Plänterwald" in Angst und Schrecken versetzte.

Als eine Art fest installierte Kirmes war der Freizeitpark mit Fahrgeschäften und Imbissbuden 1969 eröffnet worden, ein Ort der Erholung für jedermann. Eintritt: 1,05 Mark, einschließlich 5 Pfennig Kulturabgabe. Die kulturellen Begegnungen allerdings hatte sich die DDR-Staatsführung vermutlich anders vorgestellt. Denn der Plänterwald wurde bald nicht nur zur Pilgerstätte junger Eltern und ihrer Kinder, sondern auch der ostdeutschen Punkszene. Anfang der Achtziger tauchten zwischen Geisterbahn und Riesenrad immer öfter auch rote, gelbe und grüne Irokesenkämme auf. Anders als an vielen anderen Treffpunkten der Punks griff die Polizei hier jedoch nicht ein. "Abschaum der DDR" nannte Stasi-Chef Erich Mielke die ostdeutsche Punkszene - im Plänterwald war der Bürgerschreck geduldet, so schien es. Die Rebellen fühlten sich frei - und offenbar unbeobachtet.

"Umfallen oder kotzen"

"Manche Punks haben sich in den Mülltonnen versteckt", erinnert sich Ronald Galenza, der damals mit dabei war. Manchmal seien sie auch mit dem Kinderkarussell gefahren und hätten dann immer auf so einem ganz stolzen weißen Schwan gesessen. "Die Punks wollten natürlich die Spießer und die sozialistischen Vatis und Muttis erschrecken. Manche sind auch extra nach dem Trinken Kettenkarussell gefahren und danach entweder umgefallen oder haben gekotzt. Das war natürlich ein Riesengaudi, eine Art Mutprobe", erzählt der gebürtige Berliner. Seine Erinnerungen an die Ostberliner Punkszene hat Galenza in dem Buch "Wir wollen immer Artig sein. Punk, New Wave, Hiphop und Independent-Szene in der DDR von 1980 bis 1990" dokumentiert. Viele Plänterwald-Besucher waren ob der Punks irritiert, manchmal gar verängstigt. Einige spendierten ihnen aber auch ein Bier oder etwas zu essen. Der Szenetreff im Plänterwald war nicht nur auf Ostberlin beschränkt. Aus verschiedenen Städten der DDR reisten Punks zu Konzert im Kulturpark an. "Da wusste man: Heute sind die Leipziger da, zum Beispiel von der Band Wutanfall, oder die Erfurter: Otze mit seinen Schleimkeim-Jungs, auch so eine Band. Das waren richtig räudige Proll-Punks", sagt Galenza.

Harte Punkbands wie Wutanfall oder Schleimkeim durften allerdings nicht selbst im Plänterwald auftreten. Ihnen fehlte die "Einstufung", wie die Auftrittserlaubnis im DDR-Kulturverwaltungssprech hieß. Auf der Freilichtbühne im Park spielten eher gemäßigte Rock- oder New-Wave-Bands, die gelegentlich unerlaubter Weise auch Punksongs in ihr Repertoire aufnahmen. Galenza erinnert sich an einen Auftritt der Gruppe Keks, die sonst New-Wave spielte: "Die waren clever und haben drei bis vier Titel von den Sex Pistols in ihrem Programm gehabt. Darauf haben alle Punks immer gewartet. Wenn dann 'God save the Queen' kam, gingen hundert Leute sofort zum Pogo über."

 "Vom Imperialismus gelenkt"

Im Kulturpark fühlten sich die Punks relativ unbeobachtet - anders als im Ostberliner Zentrum am Alexanderplatz, wo sie sich im Café "Tute" oder im Selbstbedienungs-Restaurant am Fuß des Fernsehturms trafen. "Der gesamte Alex war videoüberwacht, da wurden sehr viele der jungen Punks weggefangen. Die fuhren dann ins Hauptquartier der Ostbullen ein, das gleich in der Nähe war," erzählt Galenza. Meist seien Kleidungsstücke oder Anstecker beschlagnahmt worden. "Wenn du einen Iro hattest oder eine richtige Punkfrisur, waren sich die Bullen auch nicht zu fein, dir einen neuen Haarschnitt zu verpassen." Für Punks hagelte es Verbote, manche bekamen Innenstadt-, Disco- oder Gaststättenverbot. Missbilligend hatten sich die SED-Ideologen schon 1978 über die Punk-Bewegung in Westdeutschland geäußert - im eigenen Land griffen sie durch. Punk würde "von der imperialistischen Propagandamaschinerie geschickt gelenkt und umgelenkt, um abzulenken von den Ursachen und Verursachern der sozialen Misere der Jugend", war dazu im DDR-Propagandablatt "Neues Deutschland" zu lesen.

Ihre Vorbilder hatten die Punks tatsächlich im Westen. Musiksendungen von DJ John Peel, die nachts auf dem britischen Truppensender BFBS ausgestrahlt wurden, genossen in der Szene Kultstatus. Beim Besorgen von Schallplatten der Sex Pistols, Throbbing Gristle oder den Einstürzenden Neubauten half die West-Oma. Ihre Klamotten bastelten sich die Punks selbst. Wer einfallsreich war, fand überall das passende Rohmaterial - zum Beispiel für Geschmeide aus Klo-Ketten. Man trug die DDR-Arbeitsstiefel G5, darüber Röhren- oder Hochwasserhosen.

"Wer auffiel, wurde verfolgt"

Die Punkkultur der DDR, so betont Galenza, sei mehr gewesen als Pogo-Tanz und Saufen. Vor allem die Punks der ersten Welle seien in den Jahren 1980 bis 1983 politisch aktiv gewesen. "Die Politisierung kam ganz automatisch", sagt Galenza. "Da wurden 16-Jährige, die sich anders anzogen, um aufzufallen, verfolgt und das auf allen Ebenen." Punks bekamen Probleme in der Schule, verloren ihre Lehrstelle oder wurden von der Straße weg verhaftet. "Das war ganz normal, das hat fast jeder erlebt, da musstest du gar nichts machen. Du musstest nur anders aussehen." Punks waren der Polizei und später der Staatssicherheit ein Dorn im Auge. 1983 zog diese die Zügel an: Stasi-Chef Mielke befahl "Härte gegen Punk". Anhänger wurden verhaftet, eingeschüchtert, in die Armee eingezogen oder in den Westen abgeschoben, Bands aufgelöst. Im gleichen Jahr kamen so etwa die Mitglieder der Gruppe "Namenlos" 1983 ins Gefängnis. Dass etliche der Hauptaktivisten um 1983 bei der NVA oder im Gefängnis waren, spürte nicht nur die Szene: Im Kulturpark Plänterwald ließen sich nur noch wenige Punks sehen. Der Freiraum, den sie dort genossen hatten, erwies sich als Schein. "Erst im Nachhinein haben wir erfahren, dass die Szene dort bestens beobachtet wurde. Da hatte man uns natürlich alle auf einem Haufen", sagt Galenza. Stasi-Mitarbeiter filmten oder machten Fotos, für einige war das schon damals zu erkennen. Die eigentlichen Stasi-Aktivitäten aber sahen anders aus.

 "Verletzt und wütend"

Zur "Bekämpfung gesellschaftswidriger Verhaltensweisen Jugendlicher" versuchte die Stasi die Köpfe der Szene als Inoffizielle Mitarbeiter (IM) anzuwerben - teilweise mit Erfolg. Einige bekannten sich später offen dazu - wie Mitglieder der Band "Die Firma". Andere wurden durch die Aufarbeitung der Stasiakten aufgedeckt, wie die IMs in den Bands "Freygang", "Der "Expander des Fortschritts", "Die Vision", "Müllstation" und "Kein Talent". Späte Erkenntnisse, an denen so manche Freundschaft zerbrochen ist. "Es gibt die Fälle, dass Leute bis heute nicht mehr miteinander reden, verletzt sind, wütend", sagt Galenza. Die "Härte gegen Punks", die Mielke befohlen hatte, hinterließ Spuren, sie schwächte die erste Punkwelle. Doch junge Punks wuchsen nach. Als Treffpunkt verlor der Kulturpark Plänterwald in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre an Bedeutung. 1986 lockerte die SED-Führung ihre Kulturpolitik. Nun durften auch außerhalb des Vergnügungsparks Punkkonzerte stattfinden, beispielsweise auf der Insel der Jugend, schräg gegenüber. Zusammen mit Freunden organisierte Ronald Galenza 1986 dort die Discoreihe "X-mal Musik zur Zeit". Sie spielten Rock- und Punkmusik, die sie aus dem Westradio auf Kassetten aufgenommen hatten - der Kulturpark gehörte wieder den Familien, das Schwanenkarussell den Kindern.

1991 wurde der ehemals volkseigene Kulturpark verkauft. Die Spreepark Berlin GmbH wollte daraus einen Freizeitpark nach westlichem Vorbild machen. Doch die erhofften Besucherzahlen blieben aus. Nach der Saison 2001 musste der Park schließen. Seither rätselt Berlin, was weiter mit dem Park geschehen soll. Eine Investorensuche des Landes Berlin gestaltet sich schwierig, weil seit dem missglückten Geschäft in den neunziger Jahren auf dem Grundstück Millionenschulden lasten.

Es ist still im Plänterwald. Und es wird wohl noch eine Weile still bleiben. Die Dinosaurier halten Wache.