Tätowierte Herzen

 

Ein Dokumentarfilm befragt eine Szene: "ostPunk! too much future" von Carsten Fiebeler

Ronald Galenza

Punk in der DDR war ein Unding. Eine Subkultur in der Diktatur der Arbeiter & Angepassten - das sollte nicht gut gehen. Wenn man im Osten etwas über Punk erfahren wollte, musste man schon selbst Punk sein oder aber gute Freunde haben. Interessant, wie komplex die Geschichte der DDR-Subkultur inzwischen von einstigen Aktivisten in Büchern, Ausstellungen und Filmen aufgearbeitet wurde. Der verschollene Osten rekapituliert gelebtes Leben längst weit umfassender und medienwirksamer als der alte Westen. Sind die Lager der alten BRD-Subkulturen oft zerstritten, rotten sich einstige Ost-Aktivisten noch mal zu einer spannenden Geschichtsoffensive zusammen. Nach jedem neuen Fund Ekstase!

Doch brecht jetzt nicht schon wieder in Euphorie aus, so als wäre dies der erste Bericht aus der Steinzeit. Als gäbe es bisher noch nichts über diese bizarre Subkultur aus der Grabungsstätte DDR. Mechthild Katzorke und Cornelia Schneider zogen in ihrem Dokumentarvideo "Störung Ost" bereits 1996 eine erste, wehmütige Bilanz der Ost-Punkszene. Der Spielfilm "Wie Feuer und Flamme" von Connie Walther nahm sich 2001 der Punkexistenz zwischen Ost und West an und wollte die Geschichte der Band Planlos adaptieren. Nun also "ostPunk! too much future" - ein neuer Film über Punk als Lebensplattform, über den Versuch, bei sich und seiner Biografie zu bleiben. So wird, wenn man sich stolz an seine Jugend erinnert, manches heroisiert; anderes schmerzt heute noch, als sei etwas für immer kaputt gegangen.

Regisseur Carsten Fiebeler fiel zuletzt mit "Die Datsche" und "Kleinruppin forever" positiv auf. In "ostPunk! Too much future" porträtiert er nun sechs ehemalige Punks aus Berlin, Leipzig und Dresden. Bedauerlicherweise werden nur gute Freunde und einstige Mitstreiter der Drehbuchautoren Michael Boehlke und Henryk Gericke befragt, das Umfeld der Szene fehlt. Star des Films ist die Malerin Cornelia Schleime: Sie hat in Dresden Kunst studiert und dort auch die Anfänge von Ost-Punk miterlebt. Ihre Erkenntnis: Die Sachsen waren viel zu gemütlich für Punk. 1981 bekam Schleime Ausstellungsverbot. Bevor sie 1984 von Ost- nach Westberlin übersiedelte, spielte sie unter anderem mit dem Dichter und Stasi-IM Sascha Anderson in der Künstlerband Zwitschermaschine. Schleimes Fazit heute: "Der Ostpunk ist einsam hochgekommen und einsam gestorben."

Schleime weiß sich prächtig zu inszenieren. Mit ihrer Zwitschermaschine passt sie so gar nicht in das Spektrum der anderen hier vorgestellten Punks. Damals, in Ost-Berlin, gehörte Colonel zu den Punks der ersten Stunde. Die Bilanz seiner wilden Jugend: sechs Monate Jugendhaft, ein Jahr und vier Monate Strafvollzug, ungezählte Verhöre, Schikanen aller Art. Und jede Menge Spaß, wie er hervorhebt. Schließlich Abschiebung in die BRD. Colonel fühlt sich heute im Westen wie ein pensionierter Krieger. Mike Göde spielte und sang ab 1980 in den Bands Bandsalat und Betonromantik. Heute ist Göde Gerüstbauer. Daniel Kaiser war früher Bassist bei Planlos; heute ist er technischer Direktor eines Opernhauses. Resigniert fast er die Ost-Punkszene zusammen: "Damals standen die sehr wenigen Punk-Frauen einer riesigen Horde von paarungswilligen Punk-Männern gegenüber." Er wirkt irgendwie enttäuscht.

Eine der interessantesten Zeitzeugen des Films ist Mita Schamal, seinerzeit in der von der Stasi aufgelösten Band Namenlos. 1983 musste sie, noch minderjährig, sieben Wochen in U-Haft. Danach litt sie zeitweise unter Verfolgungswahn. Sie kam eher als ihre Bandfreunde aus dem Gefängnis und zu dem bitteren Schluss: "Das Bewusstsein, in die Freiheit entlassen zu sein und nicht frei zu sein - das war das Schlimmste." 1984 stand Schamal für den Super 8-Film "Das Puttennest" von Cornelia Schleime vor der Kamera. Dass auch Schamal im Umfeld von Sascha Anderson agierte, davon erfährt man im Film nichts. Stattdessen wird ein Stasi-Vernehmer vorgeführt, der durch Null-Aussagen glänzt. Bewegend zu sehen, wie Mita Schamal heute mit Yoga und grundgutem Optimismus das Trauma zu verarbeiten sucht. Da spürt man immer noch die alten Schatten. Mancher Schmerz ist auch nicht nacherzählbar.

Manche Auskünfte wirken insiderhaft; das liegt in der Natur der Sache. Private Mythen werden etwa beschworen, wenn sich Colonel und ein Mit-Punk aus alten Zeiten im Knast wiedertreffen. Mitunter wirkt das Erlebte vernettet bis komisch, manche Mitteilungen bleiben seltsam unpolitisch. Natürlich werden Knast, Stasi und Ausreise in den Westen thematisiert; politische Fixpunkte - vom polnischen Kriegsrecht bis hin zu Gorbatschow - spielen allerdings keine Rolle. Auch die Situation in anderen DDR-Bezirken bleibt unerwähnt. Vielleicht hätte dem Film ein Kommentar geholfen.

Die Ikonografie des Sozialismus wird hier indes schamlos überreizt, ständig sind Mai-Paraden, Militäraufmärsche, FDJ-Hemden und Propagandabilder zwischen die Interviews geschnitten; auch der obligatorische Stasi-Schulungsfilm fehlt nicht. Bilder jedoch, die man so noch nicht sah, fehlen dem Film. Die Interviewten sitzen einfach in ihren Gesprächssituationen herum. Ihre sechs Biografien können nicht für die ungezählten anderen sprechen. Man hätte sicher bessere, exemplarische Geschichten auswählen können. Zumindest aber hätten die ausgewählten weitaus berührender inszeniert werden können.

Viele Kinogänger glauben, dass die Stasi-Problematik in "Das Leben der Anderen" umfassend behandelt sei. So wie viele junge Westmenschen irrtümlich meinen, das Leben in der DDR hätte sich wie in "Good bye, Lenin!" oder "Sonnenallee" abgespielt. Auch viele Zuschauer von "ostPunk! Too much future" werden glauben, dass sie nun alles über Punk im Osten wüssten. Dem ist nicht so. Das Fazit zum Film spricht Cornelia Schleime gleich anfangs: "Wenn man einen Film über Bewegung machen will, muss man den da machen, wo Bewegung ist. Wenn man einen Film im Nachhinein über eine Bewegung macht und Bewegung beschreibt, liegt in der Beschreibung schon der Affe begraben." Dies ist ein streitbarer Film, gut dass es ihn gibt.

“ostPunk! too much future”, Dtl. 2006.

Regie: Carsten Fiebeler, Michael Boehlke, Drehbuch: Michael Boehlke, Henryk Gericke, Carsten Fiebeler, Kamera: Robert O.J. Laatz, Daria Moheb Zandi; 93 Minuten, Farbe, S/W.

 Berliner Zeitung, 23.8.2007