Totentrompete - Die Geschichte vom armen Trompeterlein
Radio-Feature
- Musik: Tödliche Doris - "Totentrompete"
Hier geht es um die Einsamkeit des Trompeters. Das Alleinsein am Blech. Es geht nicht um die unüberschaubaren Kolonnen von Blaskapellen, die berauschten Bierzelt-Quartette, die Kirchturmbläser oder die Fanfaren der Schlachten. Denn der Trompeter ist allein. Er hat nur sein Instrument.
- Musik: June Brides - "Every conversation"
Da steht er, hinten am Bühnenrand, unscheinbar und unbeachtet. Erst wenn er in sein Horn stößt, schreckt man kurz auf, ach, die haben ja eine Trompete dabei. Und er steht wieder eine Viertelstunde allein und vergessen für sich und fragt sich zum hundersten Mal: mußte es denn unbedingt die Trompete sein? Hätte ich nicht Gitarrist werden sollen, immer voll im Licht vorn an der Rampe, wo alle Mädchenaugen blitzen. Oder Trommler? Mit muskulösen den Rhythmus treibend, sanfte Härte im Gesicht. Oder wenigstens Bassist? Da steht er nun im Schatten und wartet auf seinen Einsatz. Wenn er endlich dran ist, gibt er sich die größte Mühe, aber das merkt kaum jemand. Er bläst um Anerkennung, zumindest etwas Sinn in seinem Tun. Aber er ist eben nur der kleine Trompeter.
- Musik: Billy Bragg - "Levi Stubb's tears"
Irgendwie merkt er, daß sein Spiel für die meisten nur warmer Wind ist, sinnloses Gehupe, das Signal zum Jagdbeginn, wo doch die Gitarrenriffs so schön reinbrettern. Was will dieses Männlein überhaupt, soll er doch im Wald hupen oder im Stadion tuten. Er schiebt seinen Dämpfer auf und hofft, ha, das werden die ja wohl merken müssen. Aber er hört nur, wie einige offensichtlich über ihn lachen.
- Musik: Virgin Prunes - "Decline and fall"
Nachher muß er im klapprigen Bus wieder ganz hinten sitzen, auf dem Notsitz, wo sich das Fenster nicht mehr richtig schließen läßt und es ewig zieht. Auch kann man da nicht ganz aufrecht sitzen, alles ist vollgestopft mit Koffern, Kabeln, Boxen, Instrumenten. So sieht er auch nichts von der vorrüberfliegenden Landschaft und weiß nie so recht, wo sie gerade sind. Das macht ihn unsicher und nervös. Dabei ist vorne im Bus heitere, ja ausgelassene Stimmung. Aber da sitzen auch die Helden, die Abräumer. Während sie schon Autogramme geben und die Mädchen klar machen, muß er noch beim Abbauen helfen. Mißmutig wuchtet er ihre Instrumente in den Wagen, die steile, enge Treppe hinauf. Armer kleiner Trompeter
- Musik: Element of Crime - "He's gone"
Dabei denkt er zurück; war am Anfang doch alles ganz einfach. Als schmächtige Buben sangen sie immer ganz harmlos: "Eine Muh, eine Mäh, eine Tätärätätä!" Muh und Mäh waren klar, Viehzeug hatte im Dorf doch irgendwie jeder. Aber wo kam bloß dieses Tätärätätä her? Das reizte ihn, das mußte er heraus finden. So blies er bald auf allem, was ihm in die Hände fiel: Gießkannen, Gummischläuche, Kämme, Milchflaschen, Trillerpfeifen, Revolverläufen, Luftpumpen, Schlüsseln.
- Musik: Anna Domino - "16 tons"
Die Eltern hatten rasch ein Einsehen und schenkten ihm eine schillernde, glänzende, blinkende, goldene Trompete. Der sollte er nun dieses Tätärätätä entlocken. Zwar nörgelten die Nachbarn, die Geschwister schauten gequält, der Besuch beschwerte sich. Er aber übte eifrig und unverdrossen die lauten, schnellen Tonfolgen.
- Musik: Adam Ant - "Friend of foe"
Im Ferienlager stand er lange vor allen anderen auf, schaute dem Sonnenaufgang zu und lauschte den frühen Vögeln. Während sich alle anderen noch schlaftrunken von den Neckereien des Vorabends in ihren Liegen wälzten, durfte er pünktlich um 7 Uhr sein blitzendes Instrument an die aufgeregten Lippen setzen und zum Wecken blasen. Wie klar und frei erscholl sein Signal über den Wäldern, flog leicht und unbeschwert über die Zelte hinweg und in den Schlaf der Kameraden, die sich unwillig aus den Betten quälten.
Oder später auf dem Appellplatz, als die anderen sich in den eingeteilten Karees drängten, stand der allein und gut sichtbar vorn am Fahnenmast und blies der aufsteigenden Flagge die herrliche Begleitung. Hier kannten ihn alle und bewunderten ihn und sein goldenes Instrument.
- Musik: The Men They Couldn't Hang - "Iron master"
Allerdings, eine kleine Zurückstellung empfand er damals schon. Denn am Abend, wenn die Feuer knisterten, die Kastanien knackten und die Freunde fröhlich sangen, wollte niemand etwas von seiner Geliebten, der Trompete, hören. Kein Interesse. Da waren die Gitarren, Flöten und Mundharmonikas im Vorteil, denn die tanzten ums Feuer. Sie spielten in der warmen Dunkelheit die alten Lieder und alle sangen mit, nur er nicht. Und wie wurden die Gitarren- und Akkordeonspieler schon bewundert! Die Feuer blitzen in den Augen mancher Mädchen. Aber er dachte dann einfach an den folgenden Morgen und seinen Soloauftritt, bei dem wieder alle Augen nur auf ihm ruhen würden.
- Musik: Housemartins - "Think for a minute"
Später dann, beim traditionellen Maiumzug, spielte er schon nicht mehr allein; sie waren acht Trompeter im Spielmannszug. Aber es war ein riesiger Spaß! Der ganze Ort war unterwegs, viele winkten ihnen zu. Wie ihre Uniformen blinkten, die Trommeln dröhnten und ganz vorne schwang der dicke Tambourmeister seinen Zauberstab. Voller Eifer blies er in sein schallendes Horn und die Kinder folgten ihnen begeistert.
- Musik: Rico - "We want peace"
Aber irgendwann empfand er nicht mehr die alte Freude an diesen Unzügen. War er zu alt geworden? Es war ihm fast peinlich, so als kräftiger junger Mann zwischen den viel Jüngeren mitzuziehen. Aber verstecken konnte er sich nicht hinter seiner Trompete, also ließ er es eines Tages ganz sein.
- Musik: The The - "Infected"
Auch als er dann bald durchs Land trampte, von den Bergen ans Meer, von Fluß zu Fluß, von Dorf zu Kneipe, war das sperrige Instrument im schwarzen, eckigen Koffer nur im Weg gewesen. Bei den oftmaligen, langen Fußmärschen scheuerte und schlingerte das Blech am Körper. Er fragte sich, wie all die Gitarreros ihre bauchigen Klampfen durchs Gelände transportierten, denn die traf man ja überall. Die handliche Mundharmonika paßte sowieso in jede Jackentasche.
- Musik: Brilliant Corners - "Delilah Sands"
Erst einige Jahre später, er war inzwischen Student, besann er sich auf die kindliche Leidenschaft. Er trat einem Sangeshaufen, einem Singeclub bei und kramte sein Instrument wieder hervor. Sie traten nicht sehr oft auf, aber ihm machten die Proben sowieso viel mehr Spaß. Da war er nicht nur auf kurze Passagen beschränkt, sondern konnte sich ungehemmt entfalten. Oft war er schon früher da. Zwar nörgelten einige, er nerve mit seinem endlosen Gehupe, aber das spornte ihn nur an. Fast schien es, al wolle er die versäumten Jahre nachholen, durch seine wilden Trompetenstöße zurück pfeifen.
Er galt sowieso als Exot. In anderen Gruppen gab es zwar Banjos, Flöten, mal eine Klarinette, aber nie eine Trompete. Ihn machte das eher stolz. Dadurch bekam ihre Musik etwas hymnisches, feierliches. Er war jedenfalls immer ganz ergriffen.
- Musik: Marc Almond - "Saint Judy"
Aber das Studium ging zu Ende, alle waren sehr beschäftigt, niemand hatte mehr richtig Zeit. Die Gruppe zerfiel. Er mußte auch feststellen, daß ihm in letzter Zeit des öfteren das Gebiß weh tat. Die Vorderzähne schmerzten bei jedem Eis. Aber eine neue Arbeit, eine neue Stadt erwarteten ihn. Die Noten wurden weggeschlossen, die Trompete verstaubte. Es gab soviel neues zu entdecken.
- Musik: Fine Young Cannibals - "Johnny"
Aber nach einem Jahr kannte er alles zur Genüge: die Wege waren die immer gleichen, die Arbeit monoton, die Kollegen nervend und die Stadt langweilig. Manchmal las er ein paar Seiten, am liebsten ging er aber spazieren. Allein in den großen Park oder von Zeit zu Zeit in den örtlichen Zoo. Und da, eines zufälligen Vormittags, geschah es! Er traute seinen Ohren kaum, was erscholl da für ein himmlischer Ton? Hörte er die Engel singen oder war es nur eine Vision? Welch ein schneidiger Klang, welch entfesselte Kraft! Er hatte noch nie einen solch intensiven Trompetenstoß vernommen. Er mußte wissen, wer da so göttlich blies. Er ging diesem Ton nach, lauschte konzentriert in alle Richtungen. Probte da das Zoo-Orchester oder gar nur ein einfacher Amateurspieler? Er mußte es unbedingt herausfinden.
- Musik: Brilliant Coners - "Is there anybody home?"
Bald hatte er den kundigen Bläser aufgespürt, wie war er aufgeregt! Aber welch Entsetzen, welch ein Schock! Der alte, dicke Elephant blies da sein mächtiges Instrument. Mit aller Kraft und letzter Wut! War es Angst, die sich da so rein befreite? Denn kurz darauf verstarb das alte Tier. Und unser Trompeter? Er wachte auf. So konnte es nicht weitergehen mit ihm, er mußte etwas unternehmen. Er schmiß die Arbeit hin und zog in eine neue Stadt. Bald hatte er die richtigen Leute kennengelernt und schloß sich einer Band an. Die Trompete fortan immer dabei.
- Musik: Beatitudes - "Catch up with you"
Und da steht er nun am Notausgang, voller Erinnerungen, einsam und unbeachtet. Dabei gibt er sich solche Mühe. Die Hände umkrampfen mechanisch das goldenen Blech, mechanisch drücken die Finger die Hebel. Hört ihn denn niemand, schaut keiner auf, versteht niemand dieses Keuchen und Hecheln? Er bläst durch Augen, Mund und Nase, aber wir wollen hier kein Trübsal blasen. Ach, armer Trompeter...
- Musik: Element of Crime - "Something was wrong"
Also doch lieber in die Vergangenheit abtauchen? Möglicherweise hätte er ja bei den alten griechischen Olympischen Spielen im Trompetenblasen einen Medallienrang geschafft, wer weiß? Aber gegen den dreifachen Sieger, Achia, hätte er wohl auch keine Chance gehabt.
- Musik: Miles Davis - "Time after time"
Oder noch besser, das Signal bei den römischen Gladiatorenkämpfen zu geben. Das gesamte Colosseum schaute zu ihm auf! Zwar hatten die damaligen Trompeten, Tuba und Cornú genannt, noch keine Ventile, außerdem mußte man Priester sein, aber das hätte er schon irgendwie in den Griff bekommen. Größere Probleme sah er allerdings bei der tibetanischen Riesentrompete, dem Dung. Denn die war immerhin fünf Meter lang und mußte deshalb auf dem Boden aufgesetzt werden. Heute bräuchten sie dafür gleich einen Sattelschlepper, aber das sieht immer sofort nach Supergruppe und Stadionrock aus. Besser nicht.
Dann doch lieber gleich den Triumphmarsch in "Aida" blasen. Phantastisch, der alte Verdi. Hat extra Trompeten bauen lassen, deren Klang besonders durchdringend und glänzend sein sollte. Das fährt einem direkt ins Mark.
- Musik: Verdi - "Aida - Triumphmarsch"
Wobei, am günstigsten wäre es wohl bei den alten Israeliten gewesen. Da hätten seine Eltern auch endlich was zu staunen und bewundern gehabt. Er, das arme Trompeterlein, bläst ein heiliges Instrument. ER als die Stimme der Engel oder gar des Herrn! Unglaublich.
Andererseits hätte er auch Ärger bekommen können, denn in Leipzig wurde noch 1727 gegen einen Trompeter prozessiert, der es gewagt hatte, als Nicht-Zunftmitglied in der Öffentlichkeit unerlaubt auf seiner Trompete zu blasen.
- Musik: The Clean - "Getting older"
Aber ganz egal ob fanfarenartig oder dramatisch, ob als Turmbläser, Feld- oder Hoftrompeter, fahrend oder in einer Zunft, er hätte schon sein Auskommen gehabt. Abgesehen von seinem widerlichen Zahnweh, er könnte bestimmt alles spielen, egal ob Englische Zugtrompete, Naturtrompete, Klappentrompete, Fanfarentrompete, Inventionstrompete, das Kornett oder die moderneren B- oder Hoch-B-Trompete. Denn ans Aufhören denkt er nun doch nicht. Denn, so hofft er, eines Tages erobert die Trompete die Popmusik. Er zumindest ist bereit mit seiner Totentrompete.
- Musik: John Cale - "Dead or alive"
R. Galenza für Jugendradio DT 64, Erstsendung: "montages extra" 18.1. 1988