Stechapfel & Tollkirsche

Drogen in der DDR



DDR-RauschBlauer Würger und so weiter und so fort

 

Von Christian Schlüter

 

So muss es wohl gewesen. Es war ein besinnlicher Abend in der gut besuchten Staatsgalerie Prenzlauer Berg. Dreißig Besucher lauschten dem Schriftsteller Ronald Galenza und dem Musiker Olaf Tost beim innigen Erfahrungsaustausch: „Seid bereit – dauerbreit!“

 

Lauter Drogengeschichten aus der DDR. Und viel Sozialismus mit menschlich, allzumenschlichem Antlitz.

 

Faustan, Rudotel, Radedorm, Radepur, Kalypnon, Dormutil, Gastrobamat und Papatral. Aponeuron, Exponcit und Sedafamen. Eucopon, Dolcontral und Gelonida... Sage niemand, dass es in der DDR keine Auswahl gab. Das volle Drogenprogramm: Tranquilizer, Stimulanzien und Opiate – mehr oder weniger schwer zu bekommen und nach der Wende sofort verboten. Ohne großen Aufwand ließen sich sogar Kombipräparate von durchschlagender Wirkung mixen, etwa das „Schlafmittel“ Faustan, das einem der Arzt bei Unruhe oder Nervosität sofort verschrieb, mit dem wegen der Farbe des Flaschenetiketts auch Blauer Würger genannten Kristall-Wodka. Der hinreichend billige Fusel bot immerhin 40 Volumenprozente und verstärkte die Wirkung der ihm beigefügten Arznei zuverlässig. Mehr noch, er ging wegen seiner überzeugenden Rauschperformanz sogar in das DDR-Liedgut ein.

 

Vom Blauen Würger und einem Blindenhund war da zum Beispiel die Rede, ein gewisser Christian Koch dichtete das 1984 folgendermaßen zusammen: „Eine Flasche Blauen Würger, trinken wir im Handumdrehn, und für jeden ganz normalen Bürger, kostet der nur Vierzehn-zehn, eine Flasche Blauen Würger, trinken wir, der macht nicht fett, im Gegenteil, jeder Bürger, sieht dann aus wie’s Etikett (...) Die dritte Flasche Blauen Würger, trinken wir kaum noch im stehn, und jeder ganz normale Bürger, kann dann nicht mehr richtig sehn, die nächsten Flaschen Blauen Würger trinken wir und denken uns nichts bei, denn für jeden ganz normalen Bürger, gibt’s den Blindenhund dann frei.“

 

Die Drogen-Welle der Techno-Kultur

 

Fraglos ein Manifest des unbedingten Rauschwillens, der im sozialistischen Menschenbild allerdings nicht vorgesehen war. Walter Ulbricht hatte sich einen Musterstaat „ohne K“ gewünscht, ohne Kneipen und Kirchen. Mit fatalen Konsequenzen: Gleich zu Beginn wurde das Blaue Kreuz verboten, ein evangelischer Verein, „um die Opfer der Trunksucht und des Wirtshauslebens zu retten“; in der Sowjetischen Besatzungszone gab es Opium-Büros, die zwar nach nationalsozialistischem Vorbild eine rigide Kontrollpolitik verfolgten, doch bis auf die Berliner Zentrale alsbald aufgelöst wurden. Stattdessen versuchte die Partei mit Klubgaststätten, die „Trunkgebundenen“ in Schach zu halten.

 

Doch boten finstere Spelunken die Kleinen Klaren auch weiterhin im Metermaß an, floss auf Brigadefeiern das Bier immer noch in Strömen und lief des Morgens allerorten die Produktion mit Hochprozentigem warm. Erst ab 1965 sollte sich etwas ändern. Man ging allmählich dazu über, die Alkoholabhängigkeit als Krankheit überhaupt anzuerkennen und die Kosten für den Entzug zu übernehmen. 1973 trat endlich das restriktive Suchtmittelgesetz in Kraft. Zu spät, der volkseigene Pegel stieg weiter, was der DDR einen besondern Weltmeistertitel eintrug: 1988 schluckten ihre Bürger 16,1 Liter Spirituosen, dazu 143 Liter Bier und 12,1 Liter Wein im Jahr. Das schaffte auch der Westen nicht.

 

Von dem übrigens nach der Wende keine Welle harter Drogen – Kokain oder Heroin – gen Osten schwappte. Das sollte sich erst sehr viel später mit der neuen Techno-Kultur ändern. Aber da war das drogenselige Biotop namens DDR schon vergessen: Opa und seine Fliegenpilze und Stechäpfel und Tollkirschen oder, geradezu rührend, vier mal aufgebrühter schwarzer Tee auf Studentenpartys oder die großen Hanfplantagen in der Prignitz oder die von den ahnungslosen Nachbarn wegen ihrer Schönheit bestaunten Hanfpflanzen im Vorgarten. Apropos die Prignitz: Unbedingt erwähnenswert ist auch Stefan Masuck. Der nach einem Unfall beinlose Invalidenrentner schmuggelte in seinem Behinderten-Trabbi und speziell präparierten Krücken aus dem Nordwesten Brandenburgs feinstes Dope direkt nach Kreuzberg – gegen Valuta, versteht sich.

 

Berliner Zeitung, 21/01/2012

 



 Der Teufel hat den Schnaps gemacht

DETLEF KUHLBRODT

DROGEN Mohnanbau, Knaster, rezeptfreies Speed und Saufen wie nichts Gutes: Welche Rolle Drogen in der DDR spielten, besprach am Donnerstag eine dreiköpfige Expertenrunde in der Staatsgalerie Prenzlauer Berg

Alles passte an diesem Abend: Am U-Bahnhof Kottbusser Tor bat ein junger Mann um 20 Cent für einen Fahrschein. Er war ziemlich drauf und bedankte sich mit einem "Gott segne dich". Eine halbe Stunde später, in der Staatsgalerie Prenzlauer Berg, unterhielt sich der Radiomoderator, DDR-Undergroundfachmann und Beat-Poet Ronald "Electric" Galenza mit Olaf Tost, dem ehemaligen Sänger der DDR-Undergroundband Die Anderen, und Henryk Gericke über Drogen in der DDR.

Der Name der Staatsgalerie Prenzlauer Berg ist eine "Amtsanmaßung", mit der Gericke auf grassierende prenzelbergische Überhöhungen wie "Winsgärten" oder "Immanuelkirch-Carré" reagiert. Außerdem stehe "Galerie" in der Gaunersprache für "Diebesbande", betont der Galerist, der an die Zeit vor der Heidelbergisierung des Exszenebezirks anknüpfen möchte.

Wie auch immer. 30 Leute waren gekommen, um dem Fachgespräch zu lauschen, das Galenza mit einem berühmten Heiner-Müller-Zitat eröffnete: "Die Droge ist der Verbündete des Menschen im Kampf gegen die Maschine. Denn Drogen bedeuten Zeitgewinn für das Subjekt, Maschinen bedeuten Zeitverlust." Danach erzählte er vom Alkohol in der DDR. Trunkenbolde waren in der frühen DDR als "Trunkenhunde" bekannt. Da die Trunksucht nicht ins sozialistische Menschenbild passte, war sie lange kein Thema, obgleich gesoffen wurde wie nichts Gutes.

Die größte Schnapsbude

Die Alkoholproblematik wurde erstmals 1981 mit der Polizeiruf-Folge "Der Teufel hat den Schnaps gemacht" öffentlich verhandelt. Zwischen 1982 und 1989 war die DDR sogar Weltmeister im Trinken: der Bierkonsum lag zwar nur knapp über dem der BRD; in Sachen Schnaps ließ sich der sozialistische Staat jedoch kein X für ein U vormachen: 15,5 Liter Schnaps im Jahr, mithin zweieinhalb mal soviel wie der Westler, trank der durchschnittliche DDR-Bürger im Jahr. Der VEB Nordbrand war die größte Schnapsbude Europas.

1985 bezifferte man die Zahl der Alkoholiker offiziell auf 5.000, ging intern allerdings von 250.000 aus. In zwei gesellschaftlichen Bereichen, Sport und Militär, war Alkohol tabu - mit allen Nebeneffekten der Prohibition: 86-prozentiges Methanol kam hier zum Einsatz. Gern berauschte man sich auch an anderen Dingen, schnüffelte etwa Mittel, die eigentlich dazu dienten, Maschinen zu entfetten, rauchte auf dem Land "Knaster", eine Mischung aus Hanf und Tabak, und baute ganz offiziell in großem Stil in Thüringen Mohn an, was sofort nach derWende verboten wurde.

Da an die im Westen populären Drogen nicht so leicht ranzukommen war, verlegte man sich etwa in der Punkszene von Berlin-Mitte auf verschiedene Stoffe, die es rezeptfrei in der Apotheke gab - Schlafmittel, Appetitzügler, Psychopharmaka, Speedähnliches - und kombinierte sie mit Alk. Irgendwann gab es auch das Gerücht, dass schwarzer Tee high macht, wenn man ihn viermal aufbrüht. In den 80ern brachte die Loft-Chefin aus Westberlin manchmal Hasch mit. Manche züchteten auch Hanf aus Vogelfuttersamen. Leute aus der chilenischen Community lieferten potentere Hanfsamen. Der Anbau ging ganz gut, da nur die wenigsten wussten, wie Hanfpflanzen aussehen. Kinder von Diplomaten kauften ihre Drogen in Diplomatenkneipen gleich bei der Weltzeituhr.

Es machte viel Spaß, den Referenten zuzuhören, wenn sie allerlei Anekdoten erzählten. "Wir haben unsre ganzen Drogen von dem Schlangenbeschwörer des russischen Staatszirkus bekommen", erzählte jemand. Es gab auch einen Mann ohne Beine, der in der Prignitz Hanf anbaute und das in seinen Krücken versteckte Marihuana in den 80ern in Westberlin verkaufte. Nach der "Zusammenlegung" der beiden deutschen Staaten wurden Drogen zwar nicht, wie befürchtet, zu einem Massenphänomen im Osten; viele Ost-Punker sind allerdings gleich heroinsüchtig geworden, einige starben dann.

taz, 21.1.2012