RAVE - The groovy Train
Rave - das neue musikalische Ding aus England oder wieder nur ein neues, geschickt plaziertes Komplott, das die Schallplattenindustrie und die Medien geschmiedet haben? In diversen Zeitungen war in der letzten Zeit zu lesen, die Kölner "Spex" rief sogar schon die "Rave-o-lution" aus. Was aber ist Rave eigentlich?
Rave heißt laut Wörterbuch übersetzt: phantasieren, spinnen, toben, delieren und schwärmen. Im Zusammenhang mit der aktuellen Musik meint Rave eine Party feiern, Tanzen bis zur Besinnungslosigkeit, Vergnügen ohne Reue und ohne Rücksicht auf Verluste, Spaß haben eben. Das fällt nicht schwer bei den konstant hohen Arbeitslosenzahlen in Großbritannien, da suchen die Kids nach einer leichten Flucht aus dem tristen, langweiligen Alltag. So vertreiben sie sich die Zeit eben nachts im ekstatischen Tanzrausch mit leichten Modedrogen, das Leben ist schon langweilig genug.
Die Happy Mondays aus Manchester waren eine der ersten Bands, die die Rave-Bewegung musikalisch begründeten. Sie waren zuvor eigentlich eine der ungezählten Indie-Gitarren-Bands, bis sie der Club-DJ Paul Oakenfold eines Tages fragte, ob er sein Stück von ihnen neu mischen und remixen dürfe. Er durfte. Mit "Wrote for luck" stieg Ende 1989 der erste Rave-Song in die offiziellen britischen Single-Charts ein. Damit ging es aber erst richtig los. Immer mehr Bands verfielen dem Tanzfieber, Rave war geboren. Ehemalige Gitarrenbands wie The Farm, Primal Scream, Soup Dragons oder die Inspiral Carpets entdeckten den coolen Groove und schafften aus ihrem vorherigem Schattendasein den Sprunge auf vordere Chartsplätze. Das roch nach Geld und neuem Sinn.
Primal Scream gaben bis dahin normalen Sixties-Rock. Zu ihren neuen Motiven erklärte ihr Label-Chef Alan McGee: "Die Leute sagen, ihr seid eine Rockband, ihr könnt doch so etwas nicht machen. Aber wir wollen von dieser Mentalität wegkommen. Wir haben Konzerte mit blöden Vorgruppen, Dire Straits-Musik in den Umbaupausen und Leuten, die herumstehen und glotzen, um danach einfach nach Hause geschickt zu werden, immer gehaßt."
Shaun Ryder, der Sänger der Happy Mondays, begründet diesen Wechsel von Rock zu Dance so: "Sicher, wir kamen vom Punk. Aber wir hatten gleichzeitig all diese Funk-Einflüsse, hörten uns auch Hendrix an, all die Motown-Sachen, dazu Barry White, Cpt. Beefheart, Bowie, die Beatles. Mit 13 waren wir schon die totalen Clubfans." Ganz clever stellten es auch die Soup Dragons an. Sie unterlegten ihre Gitarren mit tanzbaren Beats und verschraubten das dann mit dem alten Stones-Song "I'm free". Und es wurde ein mächtiger Hit, so einfach ging das.
Vorbereitet wurde diese plötzlich überschäumende Rave-Welle in Großbritannien maßgeblich von den House- und Acid-Parties in den Endachtzigern, als sich die Kids illegal in leer stehenden Lagerhallen zu ekstatischen Tanznächten trafen. Rave verbindet musikalisch drei längst bekannte Strömungen. Zum einen die monotonen Dancefloor-Grooves, dazu kommen die psychedelischen Gitarrensounds der Sixties-Bands und der Balearic-Beat der sonnigen Discos auf Ibiza, wo viele Briten traditionell ihren Urlaub verbringen. Andy Weatherall, neben Oakenfold, der bekannteste Rave-Produzent relativiert aber: "Man redet jetzt so viel über Indie-Dance. Aber für mich heißt das nichts anderes, als die Freiheit, einen Smiths-, ein House- und ein Reggae-Stück an einem Abend spielen zu können".
Hauptstadt und Zentrum von Rave ist unbestritten Manchester. Von hier kommen auch die wichtigsten Rave-Bands wie eben die Happy Mondays, The Shamen, die Charlatans, Inspiral Carpets oder Flowered Up. Dabei war die Stadt Manchester längst auf dem Weg zum Symbol für den Verfall des industriellen Norden Englands. Aber alte Industriegebäude werden inzwischen wieder aufgewertet und gerettet, durch die vielen monotonen und oft deprimierenden Straßen ziehen heute knallbunte Jugendliche in weiten Klamotten. Denn Rave hat längst, wie de facto jeder andere Stil zuvor, eine eigene Kleiderordnung heraus gebildet. Alles muß aussehen wie ein Sack, léger und labbrig, die Sachen müssen bequem sein, um beim Tanzen nicht zu stören. Man trägt rutschfeste Turnschuhe, ultraweite Elephanten-Jeans mit Schlag, weite Schlabber-T-Shirts mit psychedelischen Mustern und dazu wahlweise Kapuzen oder Pilskopf-Frisuren.
Ein großes Problem von Rave: die Drogen. Um die nächtlichen Tanzexzesse überhaupt durchzustehen, nehmen die Kids alle möglichen Substanzen ein. Das reicht von Grass über die neue Droge Ectasy bis hin zu LSD. Happy Mondays-Sänger Ryder bekennt auch ganz offen: "Drogen waren immer mein Treibstoff. Ich werde niemals aufhören, Pot zu rauchen. Ich bin ein Drogenabhängiger und werde es immer bleiben." Vor kurzem mußte Ryder dann auch folgerichtig in eine Klinik eingeliefert werden, Diagnose: exzessiver Heroinkonsum. Auch die Band Northside singt ganz öffentlich "Shall we take a trip?"
Ihren Höhepunkt erreicht die Rave-Mania im Herbst 1990 in England. Fast die Hälfte der Top 20 stellten Rave-Bands, für die neue Happy Mondays-LP gab es 200.000 Vorbestellungen. Die Mondays spielten dann mehrere Abende hintereinander vor über 10.000 Leuten in der Londoner Wembley-Arena. Aber was dann kam, kennt man schon. Die Plattenindustrie hatte sehr schnell mitbekommen, daß man mit diesem neuen Trend ordentlich Geld verdienen kann. Es begann ein altes, gutgeöltes Spiel: Ausverkauf & Vermarktung. Richtig Pech dabei hatten die erfolgreichen Stone Roses. Nach vorderen Chartplazierungen und kurzzeitigem Ruhm überwarfen sie sich mit ihrer Record Company. Um jetzt überhaupt irgendwie aus diesem Vertrag rauszukommen, müssen sich die Stone Roses wahrscheinlich sogar auflösen. Fools gold.
Nicht nur die Bekleidungsfirmen hatten schnell geschaltet, Kapuzen-T-Shirts und weite Hosen gab es auf einmal in jedem Landkaufhaus. Die Plattenfirmen gingen schnell dazu über, schon vorhandenes Musikmaterial neu zu bearbeiten oder remixen zu lassen. Beste Beispiele dafür sind die nachbehandelten Remix-Alben von The Cure oder Beloved. Auch alte Clash-Nummern mußten dran glauben und eine junge Londoner Band namens St. Etienne macht sich über den Neil Young-Song "Only love can break your heart" her, bei dem nun allerdings vom alten Neil Young nichts mehr zu erkennen ist.
Die Plattenfirmen drücken einfach vielen ihrer neuen Produkte den Stempel Rave auf, auch wenn es überhaupt keiner ist. Aber dieser Trend verkauft sich halt. Es entstanden, wie immer bei kurzlebigen Moden, die One-Hit-Wonder, die nach der ersten Single nichts mehr zustande bringen. Andererseits wurden nur mäßig erfolgreiche Bands von ihren Labels gedrängt, schnell noch einige Dance-Beats in ihre Titel zu mischen und ihr Image dem aktuellen Trend anzupassen. Jede große, namhafte Plattenfirma hält sich noch schnell eine Rave-Combo, weil das gerade modern und schick ist. Dazu gehören auch EMF, ein typisches, schnell aufgebautes Projekt ihrer Company.
Rave ist ein bunter Bonbon aus Licht, Drogen und Musik, der sich langsam auflöst. Denn nur wenige Bands sind wirklich innovativ und eigenständig Rave scheint bereits im Sommer 91 wieder zu versanden. Was bleibt sind einige frische Songs und die Aufgeregtheit eines Sommers als die Gitarren tanzen lernten.
R. Galenza Deutschland-Sender: "Phänomene des Rocks" am 7. März 1991, 23-24 Uhr